Kinderbilderbuch aus den USA: Posada und Piñata
Wie mexikanische Kinder in den USA Geburtstag feiern, zeigt das unglaubliche Buch "Eine Piñata zum Geburtstag".
Kinderbücher, die den Alltag von Kindern in anderen Teilen der Welt beschreiben, sind selten geworden. Obwohl oder gerade weil das Erleben anderer Kulturkreise durch Migration und Globalisierung für Kinder und Jugendliche immer mehr zur "Normalität" wird, scheint das Interesse zumindest aufseiten der Verlage nicht groß zu sein.
"Eine Piñata zum Geburtstag", das soeben neu erschienene Bilderbuch in deutscher und spanischer Sprache, macht da eine erfreuliche Ausnahme. In unglaublichen Farben und Bildern, auf denen eine Menge passiert, erzählt die in Texas aufgewachsene Malerin Carmen Lomas Garza von den eindrücklichsten Momenten ihrer Kindheit in den Sechzigerjahren innerhalb der mexikanischen Community.
Erstmals wurde dieses Buch 2006 vom Schweizer Kinderbuchfonds Baobab herausgegeben, war danach schnell vergriffen und liegt nun in einer überarbeiteten Neuauflage vor. Mit dem Ziel, die gleichberechtigte Darstellung unterschiedlicher kultureller Identitäten zu fördern, wählt Baobab jedes Jahr einige Kinder- und Jugendbücher aus Asien, Afrika, Lateinamerika oder dem Nahen Osten für die deutschsprachige Veröffentlichung aus.
Dieser Artikel ist aus der aktuellen sonntaz vom 18./19. Juli 2009 - ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk erhältlich.
In "Eine Piñata zum Geburtstag" begleiten kurze Texte in Deutsch und Spanisch die Bilder Carmen Lomas Garzas. Sie beschreiben Aufregung und Freude, jährliche Feste, Rituale und andere besondere Momente. Sie enthalten - im Spanischen etwas ausführlicher - auch in der deutschen Übersetzung "anwenderfreundlich" die notwendigen Hinweise, um zum Beispiel auf dem nächsten Kindergeburtstag selbst eine Piñata veranstalten zu können.
Eine bunte Figur aus Karton oder Pappmaché wird randvoll mit Süßigkeiten gefüllt und an einem Baum oder der Zimmerdecke aufgehängt. Mit verbundenen Augen darf jedes der Kinder nacheinander versuchen, die Piñata mit einem Stock zu zerschlagen. Wenn der süße Inhalt dann endlich herausplatzt, können sich alle Kinder darauf stürzen.
Und es gibt eine ganze Reihe weiterer festlicher Anlässe: Die Posada, eine Art mexikanisches Weihnachtsspiel, oder die Quinceañera, das Fest für die fünfzehnjährigen Mädchen, der Cakewalk - eine aus der US-Kultur übernommene Wohltätigkeitsveranstaltung. Einmal im Jahr backt die Familie für Nachbarn und Freunde Empanadas oder kocht Tamales, deren Rezepte zum Nachahmen im Anhang des Buchs zu finden sind.
Aber in diesem Bilderbuch geht es nicht nur um Feste und Rezepte, sondern auch um erlebte kulturelle Differenz zwischen mexikanischer Tradition und modernem Leben (in den USA der Sechzigerjahre). Beides versuchen die Menschen miteinander in Einklang zu bringen. So erzählt eine Episode von der schwer erkrankten Nachbarin, die nach dem Besuch des Arztes vorsichtshalber eine Curandera, eine Heilerin, zu sich kommen lässt, um im Krankenzimmer in einer Blechdose Weihrauch zu verbrennen. Vergleichbar mit den frühen Bilderbüchern von Eva Scherbarth oder Ali Mitgutsch kann man beim Betrachten der im Stil naiver Malerei gehaltenen Bilder den Blick über verschiedene Szenen und kleine, gleichzeitig stattfindende Ereignisse schweifen lassen. Beim genauen Betrachten entdeckt man eine Menge interessanter Details, die darauf verweisen, dass die hier festgehaltenen Erinnerungen Carmen Lomas Garzas eben nicht von Mexiko, sondern von einer mexikanischen Kindheit in den USA handeln. Von einer Parallelgesellschaft, die man vierzig Jahre später vermutlich so nicht mehr antreffen wird.
Und trotzdem werden jüngere Leser nach der Lektüre wohl eher von der Vorstellung begeistert sein, dass es auf der nächsten Geburtstagsparty Süßigkeiten aus einer Piñata regnen könnte. Aber das macht bekanntlich ein gutes Kinderbuch aus, dass es sowohl Kinder als auch erwachsene (Vor-)Leser gleichermaßen interessiert, wenn auch vielleicht auf ganz unterschiedliche Weise.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!