Das Modell Kultur-Flatrate im Netz: Zahnpasta kann nicht zurück in Tube
Wie kann Vergütung für Kultur im Internet funktionieren? Das Modell einer Pauschale für den Download von Musik, Literatur und Film wirft viele Fragen auf.
Kreative und Manager der Unterhaltungsindustrie kämpfen seit Mitte der 90er Jahre erbittert gegen das illegale Herunterladen ihrer Inhalte: Der Siegeszug des Internets und der Tauschbörsen bringt ihre Geschäftsmodelle unter Druck, sie klagen über massive Umsatzeinbrüche. Auch die von der Industrie angestrengten Klagewellen konnten nicht verhindern, dass Filesharing nach wie vor eine Art Volkssport ist. Filme, Musik, Texte - was sich kopieren lässt, findet sich online. Beispielsweise wurden nach Angaben des Bundesverbandes der Musikindustrie im Jahr 2008 allein in Deutschland über 316 Millionen Songs illegal heruntergeladen. Kopieren wird immer einfacher, und außer vielleicht bei Dieter Gorny, dem Chef des Verbandes, setzt sich die Erkenntnis durch, dass diese Entwicklung unumkehrbar ist.
"Als ob man Zahnpasta zurück in die Tube drücken will" - so hat der britische Musiker Billy Bragg ("A New England") die Reaktion der Branche verspottet. Die aus der analogen Welt stammenden Erlös- und Vergütungsmodelle funktionieren im Internetzeitalter einfach nicht mehr.
Als ein Ausweg aus der Misere wird die Kulturflatrate gehandelt: Internetnutzer sollen auf ihren Breitbandanschluss eine Pauschale zahlen, im Gespräch sind Gebühren von mindestens fünf Euro. Diese Pauschale soll dann an die Rechteinhaber ausgeschüttet werden. Die Flatrate wird meist in Bezug auf Musik diskutiert, Verlage und Filmbranche haben aber auch schon Interesse angemeldet. Die Verbreitung digitaler Kopien würde mit der Flatrate legal. Die Idee klingt zunächst bestechend: Erstmals würden Urheber beteiligt, wenn ihre Werke über digitale Kanäle wie Tauschbörsen verbreitet werden. Und die Unterhaltungsindustrie wäre von der Last befreit, ihre eigenen Kunden zu verklagen - Filesharer würden nicht mehr kriminalisiert.
Die Idee der Kulturflatrate ist rund zehn Jahre alt, der Harvard-Professor William Fisher setzt sich in seinem Buch "Promises to keep" vehement dafür ein. In den letzten Monaten aber gewinnt das Thema an Dynamik, die deutsche Politik hat es entdeckt. In einer jüngst veröffentlichten Umfrage bat das Medienrechtsblog "Telemedicus" die deutschen Parteien um Stellungnahme. Ergebnis: Die Grünen, die darüber schon länger diskutieren, sind für die Einführung der Pauschale. Ebenso die SPD, auch Die Linke steht dem Thema aufgeschlossen gegenüber. CDU/CSU und die FDP lehnen das Modell ab. Es "käme der Enteignung der Rechteinhaber gleich", warnen die Liberalen.
Der Hamburger Urheberrechtsanwalt Till Kreutzer macht sich dagegen für die Kulturflatrate stark. "Sie ist die einzige mir bekannte Methode, die Inhalteproduzenten beteiligt, wenn sich ihre Werke massenhaft und letztlich unkontrollierbar über Tauschbörsen verteilen."
Das Modell sieht vor, die Abgabe pauschal einzuziehen, an die Rechteinhaber soll aber exakt - nach Anzahl der Downloads - ausgeschüttet werden. Je mehr Downloads, desto mehr Vergütung. Um die Zahlen zu ermitteln, gibt es verschiedene Szenarien: Denkbar wäre, sie per Marktforschung zu erheben - längst gibt es entsprechende Dienstleister, die sich auf Tauschbörsen spezialisiert haben. Oder man ermittelt die Downloads ähnlich wie die TV-Einschaltquoten: Bei einem repräsentativen Sample der Bevölkerung wird aufgezeichnet, was sie konsumieren, und diese Zahlen werden dann hochgerechnet.
Experte Kreutzer weist darauf hin, dass die Umsetzung des Modells schwierig wird. Die Wahrung des Datenschutzes müsse gewährleistet sein. "Und da ist das Problem der Verteilungsgerechtigkeit", sagt er. Musiker, Komponisten, Fotografen, Regisseure, Autoren, Journalisten, Verleger, Labels und sonstige Rechteinhaber - sie alle können Anspruch auf die Pauschale erheben. Wer welchen Anteil bekommt, und vor allem, welche Organisationen die Gelder verteilen sollen - all das sind ungeklärte Fragen.
Verwertungsgesellschaften würden über die Erfahrung verfügen, die Verteilung vorzunehmen. Die Gema beispielsweise, zuständig für Komponisten, Textdichter und Musikverleger, leitet schon heute Pauschalabgaben, mit denen etwa CD-Rohlinge belegt sind, an ihre Mitglieder weiter. Die Organisation ist aber nicht unumstritten - Mitglieder kritisieren immer wieder, dass sie kleine Künstler auf Kosten der Hitfabrikanten benachteilige - an Stars würden weit mehr Gelder ausgeschüttet, als es der Realität entspreche.
Frank Dostal, Textdichter ("Das Lied der Schlümpfe") und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Gema, hält die Kulturflatrate für ein "altbackenes Träumchen". Er kann sich nicht vorstellen, dass man die Gebühr überhaupt politisch durchsetzen kann. Jedermann müsste sie schließlich entrichten - auch die, die ihren Breitbandanschluss nur für Surfen und E-Mails nutzen. "Mit der Flatrate droht ein Verwaltungsungetüm", so Dostal. Die Ausschüttung der Gelder wäre ungeheuer aufwändig. Außerdem erbost ihn, dass Filesharing legal würde. Da könne man genauso gut für die "Einführung einer Auto-Klau-Maut" sein und das Stehlen von Autos erlauben.
Andere Kritiker fürchten, dass sie das Aus für Online-Shops wie iTunes bedeuten würde. Anwalt Till Kreutzer ist anderer Meinung. "Was sich kopieren lässt, findet sich heute schon umsonst im Netz - trotzdem ist iTunes erfolgreich. Das Angebot bietet einfach besseren Service - auch mit Einführung der Flatrate werden derlei Geschäftsmodelle bestehen."
"Private" Flatrates gibt es übrigens schon. "Nokia comes with music", ein Musikabodienst des gleichnamigen Handyherstellers, erlaubt Kunden gegen eine Gebühr das unbegrenzte Herunterladen von Stücken aus dem "Nokia Music Store". Über fünf Millionen Titel sind abrufbar. Till Kreutzer meint aber, dass Urheber von einer gesetzlich geregelten Pauschalabgabe mehr profitieren würden. "Die Interessen der Kreativen und der Industrie sind nicht deckungsgleich." Es sei keine Seltenheit, dass Kreative sämtliche Rechte an ihre Verleger abtreten müssen und nur eine einmalige Vergütung bekommen - an den wirtschaftlichen Erlösen werden sie nicht weiter beteiligt. "Bei gesetzlichen Vergütungsregelungen haben sie dagegen Anspruch auf wirtschaftliche Beteiligung, die können sie auch nicht abtreten", so Kreutzer.
Überhaupt die Kreativen: In der immer intensiver geführten Auseinandersetzung um die Kulturflatrate ergreifen sie selten das Wort. Stattdessen führen Internetaktivisten, Politiker, Verwerter und Urheberrechtsexperten die Debatte. Seltsam eigentlich - immerhin geht es um die Verteilung von Erlösen, die die von ihnen geschaffenen Werke erbringen. Einzig die "Featured Artists Coalition", ein Zusammenschluss britischer Musiker - unter ihnen Robbie Williams, der eingangs zitierte Billy Bragg oder Ed OBrian von der Band Radiohead - melden sich gelegentlich zu Wort, wenn es um den Umgang mit Filesharern oder die Verteilung von Einkünften geht. In Deutschland fehlt den Urhebern eine vergleichbare Lobby.
Ob die Kulturflatrate sich jemals durchsetzt, ist ungewiss. Andere Modelle, die den Kreativen im Internetzeitalter ein Einkommen ermöglichen, sind bisher nicht in Sicht. Solange die beteiligten Parteien und Interessenvertreter über die Flatrate streiten und sich kein anderes Vergütungsmodell durchsetzt, bleibt den Urhebern nichts anderes übrig, als sich mit der Situation zu arrangieren. Wer mit den Möglichkeiten der digitalen Technologien experimentiert, verbessert seine Überlebenschancen. Denn der größte Feind der Kreativen ist nicht der Filesharer, sondern das Unbekannt-Sein.
Niemand hat das so gut verstanden wie Trent Reznor, Frontmann der Band Nine Inch Nails. Seit Jahren sorgt er dafür, dass seine Musik den Weg ins Netz findet. Auch seine letzte Veröffentlichung "Ghosts I-IV" stellte er frei verfügbar auf seine Webseite. Verdient hat er trotzdem. Obwohl die Stücke umsonst zu haben waren, wurde es 2008 das am meisten gekaufte MP3-Album bei Amazon. Außerdem bot Reznor zusätzlich eine ganze Palette nichtkopierbarer Güter an. Die limitierte und signierte "Ultra-Deluxe-Edition" des Albums etwa, komplett mit Vinylplatten, Fotoband und DVD, war in weniger als 30 Stunden ausverkauft. Nichtkopierbare Güter als Rettung aus der Krise? Klingt nach einem tragfähigen Konzept.
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