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BürgerengagementDie guten Paten von Neukölln

Das Projekt "Neuköllner Talente" ermöglicht Kindern aus benachteiligtem Umfeld, ihren Horizont und damit ihr Selbstbewusstsein auszubauen. Der Erfolg der Idee beruht auf ehrenamtlichem Engagement.

Dieses Projekt sei "eigentlich unbezahlbar", befindet die frühere Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John über "Neuköllner Talente". Die Idee, um die es dabei geht: Engagierte BerlinerInnen kümmern sich ehrenamtlich als PatInnen um Mädchen und Jungen aus Neukölln. Die Patenschaften sollen helfen, den Kindern Erlebnisse und Erfahrungen zu ermöglichen, die ihr eigenes soziales und familiäres Umfeld nicht anbietet.

Vor fünf Monaten hat etwa Laura Kolland, 27 Jahre alt und Studentin der Politologie, über die "Neuköllner Talente" ihr Patenkind Leyla (Name von der Redaktion geändert) kennengelernt. Einmal in der Woche treffen sich die beiden seither. Derzeit meistens zum Schwimmen, denn ins Schwimmbad gehen Leylas Eltern mit ihren Kindern nicht. Schwimmen lernt die Siebenjährige deshalb gerade von ihrer Patin, und im Herbst steht dann Fahrradfahren auf dem Programm. "Wir suchen noch ein gebrauchtes Kinderfahrrad zum Herrichten",erzählt Kolland. Auch diese Erfahrung soll ihr Patenkind Leyla machen: dass sie mit Werkzeugen umgehen und mit eigenen Händen etwas reparieren kann.

Jedes Kind hat Talente, die entwickelt werden und aus denen Erfolgserlebnisse erwachsen können: Das ist die Grundidee des Projekts, das seit einem Jahr von der Neuköllner Bürgerstiftung getragen wird. 27 Paare haben die ProjektmitarbeiterInnen unter Leitung der Kulturwissenschaftlerin Idil Efe bisher zusammengebracht, ebenso viele warten derzeit noch auf PatInnen. Efes Arbeit braucht viel Einfühlungsvermögen, denn die Übernahme einer Patenschaft bedeutet große Verantwortung.

Der Aufnahme ins Projekt gehen deshalb lange Gespräche mit potenziellen PatInnen voraus. Dabei geht es um deren Motive, am Projekt teilzunehmen, um Erfahrungen mit Kindern und den persönlichen Hintergrund, erklärt Idil Efe. Das Einreichen eines polizeilichen Führungszeugnisses gehört dazu.

Denn: "Man ist ja anfangs natürlich schon ein bisschen misstrauisch", sagt Mustafa Sahin, Vater von zwei Kindern, die bei "Neuköllner Talente" mitmachen. Schließlich bauen Kinder und Paten eine enge und vertrauensvolle Beziehung zueinander auf. Doch er habe gute Erfahrungen gemacht und könne das Projekt "nur weiterempfehlen", so Sahin: Die Patin seiner Kinder sei "wie eine zweite Mutter" für diese. Sahins 13-jähriger Sohn lernt Klavier, seit der Patin sein musikalisches Talent auffiel. Auch in der Schule seien die Kinder besser geworden, sagt der Vater: "Die Anregung hat ihren Ehrgeiz geweckt!"

Er lebe zwar lange in Berlin, kenne die Stadt und ihre Angebote aber trotzdem nicht gut, sagt ein anderer Patenkindvater, wie Sahin aus der Türkei stammend. "Durch die Paten verwurzeln unsere Kinder hier besser", sagt der Vater, das Projekt sei für seine Familie "ein großer Gewinn". "Es ist wichtig für die Kinder, mal aus ihrem eigenen sozialen Milieu, aus dem familiären Umfeld herauszukommen", sagt Barbara John, die sich für das Projekt engagiert. Familien mit Problemen wie Arbeitslosigkeit und Armut lebten in den Brennpunktvierteln oft immobil und isoliert: "Das gilt nicht nur für Einwandererfamilien", so John.

Viele - nicht alle - der Patenkinder sind migrantischer Herkunft, viele - nicht alle - der PatInnen ethnisch deutsch. Um Teilnehmer für das Projekt wirbt Efe mit zwei TeilzeitmitarbeiterInnen an Schulen, in Freizeit- und Nachbarschaftseinrichtungen, um Paten bemüht sich das Projekt unter anderem an den Unis. Die Möglichkeit zu ersten unverbindlichen Begegnungen bieten die einmal im Monat stattfindenden Spielnachmittage des Projekts. Wer Pate wird, nimmt an regelmäßigen Fortbildungs- und Erfahrungsaustauschtreffen teil.

Etwa 40.000 Euro kostet das zunächst auf drei Jahre angelegte Projekt der Bürgerstiftung im Jahr. "Weniger als 1.000 Euro jährlich pro Kind", rechnet Barbara John vor. Möglich sei solche Eins-zu-eins-Betreuung aber nur aufgrund des Engagements der PatInnen: "Der Staat könnte sich das nicht leisten!"

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