Experten kritisieren Regierungsmaßnahmen: Bei Kinderarmut versagt
Ein Experten-Gremium hat ein dringendes Handeln gegen Kinderarmut gefordert. Die bisherigen Maßnahmen der Regierung seien nicht "weitgreifend genug".
BERLIN taz | Kurz vor Ende der Legislaturperiode hat ein Gremium von Experten in einem Positionspapier ein dringendes Handeln gegen Kinderarmut gefordert. Die bisherigen Maßnahmen der Regierung seien nicht "weitgreifend genug", sagte die Vorsitzende des Bundesjugendkuratoriums (BJK), Claudia Lücking-Michel.
Im BJK, das von der Regierung einberufen wurde, sind unter anderem Experten aus Ministerien, dem Städte- und Gemeindebund, dem Deutschen Jugendinstitut und Wissenschaftler vertreten. Mitglied Thomas Olk, Sozialwissenschaftler von der Uni Halle-Wittenberg, sagte zur taz, "Mindestens jedes fünfte Kind ist von Armut betroffen. Das ist inakzeptabel.
Die Regierung verfolge seit einigen Jahren Maßnahmen, die Menschen langfristig für den Arbeitsmarkt aktivieren, damit das Haushaltseinkommen steige, sagte Olk. "Das ist im Prinzip nicht falsch, erzeugt aber falsche Hoffnung." Die Zahl der Beschäftigten in Teilzeit, 400-Euro-Jobs und im Niedriglohnbereich ist dem BJK zufolge in den letzten Jahren um 2,5 auf 7,7 Millionen gestiegen. "Durch die neuen Beschäftigtenformen verfällt der Wert des Einkommens, besonders von Frauen, die ja zu Erwerbsarbeit angeregt werden sollen", warnte Olk.
Deswegen fordert das BJK - wie zuvor auch der Kinderschutzbund und andere Organisationen - mehr Transferleistungen für Kinder: in Form einer Kindergrundsicherung, die am tatsächlichen Bedarf der Kinder orientiert ist. "Das muss auch für die Bundesregierung klar sein: das derzeitige System kann Armut nicht beseitigen", so Olk. Bisher gebe es die Vorstellung, Eltern seien allein für die Kinder verantwortlich. "Diese Idee ist natürlich auch für den Staat eine kostensparende Lösung."
Zudem spricht sich das Bundesjugendkuratorium gegen das derzeitige Ehegattensplitting aus. Hier wird das Gesamteinkommen der Ehepartner halbiert - und dann der Steuer unterzogen. Dadurch profitieren vor allem Ehepaare, bei denen üblicherweise die Frau nichts oder wenig verdient und der Mann ein sehr gutes Einkommen hat.
"Der in der Forschung unbestrittene Effekt ist, dass es sich für viele Frauen lohnt, zu Hause zu bleiben, erklärte Olk. Dies hemme die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt - eigentlich ein erklärtes Ziel der Regierung. Alleinerziehende und unverheiratete Eltern haben von dem Steuervorteil aber nichts und werden benachteiligt. "Vergünstigungen müssen da landen, wo Kinder sind", mahnte Olk. Das BJK fordert langfristig, eine Individualbesteuerung einzuführen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies