City Nord: Die Architektur der totalen Mobilisierung

Eine Bürostadt auf der Wiese, die wie ein megalomaner Schrebergarten wirkt. Vor 50 Jahren wurde der Grundstein für Hamburgs City Nord gelegt, die heute als Modellstadt der Betonmoderne gefeiert wird.

Das andere Gesicht der Arbeit war bei Shell die Bowlingbahn. Bild: Thomas Duffé

Der schönste Weg in die Modellstadt futuristischer Großraumbüros führt zurück in die Vergangenheit. Jedenfalls für alle, die an der S-Bahnhaltestelle mit dem bezeichnenden Namen Rübenkamp aussteigen. Ackerland einst, Gartenkolonie danach, von der noch ein Streifen an den Gleisen überdauert hat. Da haust sie, die deutsche Innerlichkeit, in den heimeligen Gartenlauben, hinter den kleinen Toren, Tuja-Hecken und Heckenrosen. Aber auch: im Schatten multinationaler Unternehmen. "Dakarweg" heißt die schmale Straße, die durch die Siedlung führt - und den Passanten zu den Firmensitzen von Signal Iduna und ExxonMobil.

Als vor 50 Jahren, 1959 der Hamburger Senat den Bau einer separaten Bürostadt, der City Nord, beschloss, galt das Vorhaben als eines der größten und ambitioniertesten städtebaulichen Projekte Europas. Eng verbunden ist es mit dem Namen des Oberbaudirektors Werner Hebebrands - dem die Hamburger verdanken, dass der Elbmetropole das Schicksal "Krankfurts" erspart geblieben ist. Denn auch in Hamburg drängten die Großunternehmen darauf, sich in innerstädtischer Lage mit Hochhausbauten ausbreiten zu können und drohten, andernfalls wegzuziehen. In dieser brenzligen Situation, schon dachte man Viertel wie Ottensen oder St. Pauli für die Geschäftswelt abzubrechen, fiel Hebebrands Blick auf das Gelände nördlich des Stadtparks: halb so groß wie die damalige Innenstadt, im Besitz der Stadt, genutzt lediglich von Kleingärtnern. "Alle Großstädte Europas werden uns um diese Chance, eine zweite City errichten zu können, gewiss beneiden", schwärmte der Oberbaudirektor.

Eine "zweite City"? Das war etwas hochgegriffen. Zwar arbeiten noch immer, wie in der ursprünglichen Planung vorgesehen, um die 30.000 Menschen in der City Nord. Aber im Stadtbegriff schwingt neben der Masse unvermeidlich die Dichte mit. Und die fehlt in Hamburgs Norden nun mal. Die City Nord - das ist eine grüne Wiese, auf die eine launische Hand überdimensionierte Bauriegel gewürfelt hat; das ist Licht, Luft und Bewegung; das ist, wenn man so will, der ins Gigantische, ins Kraut geschossene Gedanke des Kleingärtners.

Am 4. September beginnen die Festwochen des City-Nord-Jubiläums um 15 Uhr mit Ansprachen und anschließendem Volksfest inklusive Hüpfburgen und Musik.

Am 9. September steht nach Büroschluss um 17 Uhr ein Rundgang durch den City Nord Park, einem der wenigen nahezu unveränderten Gartenanlagen der 1960er und 70er Jahre, auf dem Programm.

Am 11. und 12. September öffnen mehrere City-Nord-Unternehmen von 11-17 Uhr ihre Pforten.

Am 14. September beschäftigt sich ein Architekturforum ganztägig mit der "Bürostadt der Zukunft".

Und am 16. September ist ein Ingenieurfachforum dem Thema "Gutes Klima für Bürogebäude - moderne Heiz- und Kühltechnik" auf der Spur.

"City Nord - Europas Modellstadt der Moderne" von Sylvia Soggia mit Fotos von Thomas Duffé ist im Dölling und Galitz Verlag erschienen und kostet 39,90 Euro. Herausgegeben wird es von der Grundeigentümer-Interessengemeinschaft City Nord GmbH.

Ob Gartenkolonie, ob City Nord: Zusammengepfercht bleibt jeder für sich und in gebührlichem Abstand von einander. Hier steht die Hamburg Mannheimer, dort Edeka, hier die ehemalige Deutsche Shell, dort das heute leer stehende BP-Haus. Oder die Verbannung des Verkehrs: Ein Großteil der etwa 25 Bauten sind Sockelgebäude, unten parken die Autos oder brausen auf den sechsspurigen Bahnen vorbei. Auf der ersten Ebene aber spannt sich ein weitreichendes Wege- und Brückennetz, das dem Fußgänger so unbehelligt zwischen den Gebäuden herumzulaufen gestattet wie zwischen Blumenrabatten. Und die immanente Konkurrenz. Jeder lugt beim anderen über die Hecke, wer die rotesten Rosen hat - so wie in der City Nord fast jeder Bau ein Überbietungsbau ist, der die Frage behandelt: Wer bastelt die Fertigbauklötze der 1960er und 70er Jahre am spektakulärsten zusammen?

Der Vergleich von Schrebergarten und City Nord ließe sich auch ideologisch fassen. Die Kleingartenkolonie war als Reservat romantischer Innerlichkeit der versöhnende Gegenentwurf zur Industrialisierung. In der City Nord, das ist ihr Ingenium, fällt nun beides, das Versöhnliche und das Zerstörerische, zusammen, ihre großen Verwaltungsgebäude sind Gartenlaube und Fabrik in einem.

Die Fabrik: das sind die auf Maximierung zielenden Arbeitswelten der Großunternehmen. Für den City-Nord-Flaneur nicht zugänglich, kann hier der Jubiläumsband "City Nord" über die Geschichte und Gegenwart von Sylvia Soggia weiterhelfen. Das Buch bietet Einblick in die Bürolandschaften, in denen zwischen Blumenkübeln und Stellwänden die Angestellten sitzen.

Einige Unternehmen, wie BP, setzen in der City Nord konsequent auf diesen neuen Bürotyp, der als flexibel, kommunikationsfördernd und flächensparend an die Stelle der alten Einzelbüros trat. Keine einengenden Wände, schreibt Soggia, sollten die Arbeit beeinträchtigen, keine schlecht nutzbaren Ecken entstehen, Kontrolle erleichtert, Müdigkeitserscheinungen minimiert, in summa: eine höhere Arbeitseffizienz erreicht werden.

Ziemlich deutlich zeigt hier die Kontrollgesellschaft ihr Gesicht, eine Gesellschaft, die noch die Ecken ausgemerzt, weil in ihnen seit je Schmutz und Ineffizienz Blüten treiben. Von außen wirkt sich dagegen nachteilig für den Angestellten aus, dass die Trennung von Arbeiten und Wohnen in der City Nord nahezu total ist. Dieser Wunsch der Unternehmen brachte für den Angestellten lange Anfahrten mit sich, die genau genommen Verlängerung der Arbeitszeit sind. Nimmt man noch die neue Flexibilität hinzu, die gesteigerte Effizienz, die konstante Kontrolle, zeigt sich, was die City Nord bis heute ist: die Architektur der totalen Mobilisierung des Angestellten.

Die Freizeit wird dabei in den Betrieb hineingerissen. Viele der Verwaltungsgebäude verfügen über "Vollausstattung": Bei Esso gab es einen erst vor kurzem geschlossenen Schießstand, die Deutsche Shell setzte eine Bowlingbahn dagegen, Sport-Mehrzweckhallen gehören fast zur Standardausrüstung, mit Schwimmbädern trumpfen die Hamburg-Mannheimer und Tchibo. Verdichtet zeigt sich darin, dass Freizeit und Sport Negation der Arbeit sind - und dabei ganz auf sie bezogen; das andere Gesicht der Arbeit. So wie im 19. Jahrhundert die Gartenlaube ein Anhängsel der Fabrik ist.

Mit "Vollausstattung" war aber noch mehr gemeint als nur Sportanlagen. So verfügen die Großbauten neben den obligatorischen Kantinen und diversen "Sozialräumen" bisweilen auch über Friseursalons, Fotolabore oder medizinische Abteilungen. Und hauseigene Mechaniker, Schlosser, Klempner und Tischler sorgen fürs Reibungslose im Alltäglichen.

Die Autonomie, die die Unternehmen damit geltend machen, manifestiert sich nach außen als eine Architektur der Trennung. Die Gebäude erinnern mit ihren polygonalen Strukturen an fast hermetisch abgeschlossene Trutzburgen. So kann man vor dem Eingang der heute größtenteils leer stehenden Postdirektion stehen - und noch immer nach ihm suchen, so wenig wagt er, aus dem Baukörper herauszutreten. Und um in die ebenso imposante wie elegante HEW-, heute Vattenfall-Zentrale von Arne Jacobsen zu gelangen, muss man sich in das Nadelöhr eines endlos langen Laubengangs einfädeln. Seiteneingänge scheint es in der City Nord schon gar nicht zu geben. Auch keine Öffnungen der Gebäude zu der Parkanlage, in die sie gebettet sind.

Es gibt einen Gebäudekomplex, der so etwas wie das Herz der City Nord gewesen wäre, hätte es denn jemals geschlagen: die sogenannte "Mitte". Das pralle Leben - die Post, Einzelhandel, Restaurants, Billiardsalons, Friseure und Anwälte - sollte die Geschäftsleute in die damals noch als "Zentrale Zone" gehandelte Passagenlandschaft aus Waschbeton ziehen. Aber der Besucherstrom blieb von vornherein aus und dafür gibt es einen einfachen strukturellen Grund: weil die Solitäre ringsum ihre eigene Mitte sind. Weil für den vollausgestatteten Solitär alles, was außerhalb seiner selbst liegt, bereits Peripherie ist. Bei den Größenordnungen der City Nord ist es auch buchstäblich so. Von der Postpyramide zur "Mitte" etwa ist man zu Fuß schon sein Viertelstündchen unterwegs.

Wie es weiter geht mit der Mitte weiß zurzeit niemand. Zwischendurch bespielten mal Künstler den ewigen Leerstand, aber auch die hat die Leere wieder geschluckt. Bislang weiß man deshalb nur, dass im Vakuum zwischen den Verwaltungsgebäuden jeder Traum von Öffentlichkeit platzt.

Auch, dass ein Gebilde wie die City Nord sobald nicht wieder gebaut wird. Und dass der Denkmalschutz das gesamte Areal unter Schutz stellen wollte, was die Unternehmen aber zu verhindern wussten. Darum sollte man die City Nord anschauen und sich ihr aussetzen. Nicht viel anders als man sich mit einer Kafka-Lektüre oder sonst wie dem aussetzt, was als Grusel der verwalteten Welt zu bezeichnen keine kafkaeske Übertreibung ist.

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