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Martin Kannegiesser über die Krise"Betriebe sind keine Dukatenesel"

Gesamtmetall-Chef Martin Kannegiesser über die Ruhe in der Rezession, die Gier der Banker und die Antiquiertheit der Binnennachfrage

"Wir haben eine Auslastung von unter 70 Prozent in der Metall- und Elektroindustrie. So wenig wie noch nie." Bild: dpa
Interview von Thilo Knott

taz: Herr Kannegiesser, Sie sind so ruhig und zahm in der Krise.

Martin Kannegiesser: Ruhig finden Sie? Und zahm?

Sie fordern keine generelle Lohnsenkung.

Da bleiben wir ruhig und besonnen.

Sie fordern auch keine längeren Arbeitszeiten, keine Streichung von Urlaubstagen, wie das andere Verbandspräsidenten mit Verweis auf die Krise getan haben.

dpa
Im Interview: 

Der Präsident: Martin Kannegiesser, 67, geboren in Posen, ist seit 2000 Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, der 6.366 Firmen mit 2,1 Millionen Beschäftigten vertritt. Insgesamt arbeiten in der Metall- und Elektroindustrie in Deutschland 3,49 Millionen Menschen (23.000 Firmen).

Der Unternehmer: Er ist Inhaber der Herbert Kannegiesser GmbH mit Hauptsitz in Vlotho - dem Weltmarktführer auf dem Gebiet der industriellen Wäschereitechnik. Die Firma hat sechs Standorte in Deutschland und zwei in Großbritannien, an denen insgesamt 1.300 Beschäftigte arbeiten. Der Umsatz lag im Jahr 2008 bei 250 Millionen Euro.

Ja!

Warum?

Wir müssen praktisch belastbare Lösungen finden, die betriebswirtschaftliche Notwendigkeiten mit Fairness und Anerkennung gegenüber unseren Belegschaften verbinden, und darüber hinaus auch Fingerspitzengefühl gegenüber unserem sozialen Umfeld beweisen.

Was heißt das?

Betriebe sind keine Dukatenesel - sie können nur ausgeben, was sie zuvor erwirtschaftet und verdient haben. Wir haben die Instrumente und die Stellschrauben, um die Kostenbelastung der Betriebe den wirtschaftlichen Möglichkeiten anzupassen. Natürlich zählen Arbeitszeiten dazu, und in keiner anderen entwickelten Volkswirtschaft gibt es in dieser Hinsicht mehr flexible Gestaltungsmöglichkeiten, die von allen Beteiligten mitgetragen werden.

Die Zahlen sehen für viele Betriebe aber nicht gut aus.

Das ist so. Aber die Folge wird nicht sein, dass wir in der nächsten Tarifrunde versuchen werden, die Tariflöhne pauschal zu senken. Gerade in der Krise hilft keine Lohnpolitik mit der Dampfwalze.

Vielleicht ist die Dampfwalze auch gar nicht mehr notwendig.

Aus welchem Grund?

Die Wirtschaftsforscher korrigieren ihre Prognosen schon wieder nach oben. Der DAX erreicht Jahreshochs. Die Stimmungsbarometer zeigen nach oben. Ist die Krise schon vorbei?

Nicht so schnell! Wir sind doch abgesoffen. Die eine Firma berührt jetzt schon den Grund mit den Zehenspitzen, andere sind auf dem Weg dorthin. Und das alles hundert Meter unter der Wasseroberfläche. Jetzt haben vielleicht wieder einige Auftrieb. Aber zum Luftholen reicht das noch lange nicht. Das ist noch ein weiter Weg, der starke Lungen braucht und von vielen Betrieben verlangt, Ballast abzuwerfen.

Wie siehts denn da unten konkret aus?

Wir haben eine Auslastung von unter 70 Prozent in der Metall- und Elektroindustrie. So wenig wie noch nie. Auftragseinbrüche und Umsatzrückgänge sind bekannt. Das Problematische ist, dass bei früheren konjunkturellen Krisen vielleicht 20 bis 30 Prozent der Firmen Verluste gemacht haben. Jetzt werden wir in der ganzen Breite in die Verlustzone rutschen. Wir können frühestens 2011 wieder auf einem Produktionsniveau ankommen, wie wir es 2008 hatten. Dabei ist noch nicht klar, wie viele Unternehmen dann überlebt haben.

Dann wäre der Begriff Konjunkturkrise verharmlosend. Haben wir eine Strukturkrise?

Wir können noch nicht sagen, ob es eine wird. Bei so einer tiefen Krise kann man nicht auf einen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Bisher haben wir das Konzept der Kurzarbeit angewandt. Das entsprang unserer Philosophie der vorrangigen Beschäftigungssicherung. Der einzelne Arbeitnehmer hat dann zwar Einbußen, aber der Arbeitsplatzabbau war zur Jahresmitte mit einem Minus von 2,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr doch sehr gering. Damit haben die Arbeitnehmer weiter einen Arbeitsplatz und ein Einkommen, sodass viele Menschen die Krise bisher Gott sei Dank nur aus der Bild-Zeitung kennen.

Aber?

Mit Kurzarbeit kann man Konjunkturkrisen überbrücken. Aber Strukturkrisen nicht. Viele durchaus verantwortungsbewusste Unternehmen werden dazu gezwungen sein, der Existenzzukunftssicherung oberste Priorität zu geben.

Aber haben wir denn eine Strukturkrise?

Wir haben zwei neue Krisenphänomene zu überwinden. Frühere Konjunkturkrisen waren beschränkt auf Länder oder Kontinente. Mal hat der Asienmarkt geschwächelt, mal der US-Markt - aber nicht die globale Realwirtschaft. Früher hatten wir immer versetzte Konjunkturverläufe. Jetzt ging es weltweit bergab.

Und das zweite Phänomen? Der Zusammenbruch der globalen Finanzmärkte?

Der hat der Realwirtschaft den Teppich unter den Füßen weggezogen. Wenn ich als Wäschereimaschinenhersteller ausscheide, dann gibt es vielleicht eine kleine Welle - aber die See ist dann schnell wieder glatt. Das würde keiner merken. Aber wenn mehrere große Banken zusammenbrechen, dann ist das ein Tsunami. Deswegen war es richtig, dass mit staatlicher Hilfe der Bankencrash abgewendet wurde. Wir haben das nicht getan, um eine Branche zu retten, die ja nicht gerade zu den sympathischsten zählt. Der Staat stützt die Banken, weil sie existenzielle Bedeutung für die Realwirtschaft haben.

Ihnen kann die Finanzwirtschaft aber nicht sympathischer geworden sein, schließlich fließen nach wie vor erstaunliche Managerboni - und Josef Ackermann hält an seinem Renditeziel von 25 Prozent fest. Oder?

Klar macht uns Unternehmern die Finanzwirtschaft nach wie vor große Sorgen. Angesichts dieses Verhaltens ist es schwierig, wieder Vertrauen zu gewinnen. Es sind zum Teil die gleichen Verhaltensmuster wie vor der Krise. Ordentliche Renditen sind in einer Welt hoher finanzieller Risiken notwendig, aber in der Realwirtschaft sind diese in der genannten Größenordnung zumeist nicht zu erwirtschaften.

Die Banken machen weiter wie bisher. Jetzt wollen die Gewerkschaften voller Selbstbewusstsein auch noch Aktionäre werden - mit Beteiligungen an börsennotierten Firmen. Sie sind umringt von Krisengewinnern.

Ja, sehr schön. Mit solchen Übersteigerungen, mit solch einer falschen Selbsteinschätzung landen wir direkt wieder im Graben.

Unter Wasser?

Unter Wasser. Wir müssen uns doch zunächst auf die Grundordnung besinnen. Eine Marktwirtschaft beruht auf privatem Eigentum und unternehmerischem Freiraum. Daraus ergibt sich für Unternehmer und Arbeitnehmer eine Rollenverteilung. Und seit den Sechzigerjahren versuchen wir auszutarieren, wie die Eigentumsrechte und die Mitbestimmungsrechte aussehen. Das ist ein sorgfältig gefundener Balanceakt. Wenn die IG Metall jetzt mit ihren Forderungen nach gewerkschaftlich kontrollierter Kapitalbeteiligung überzieht, dann geht diese Balance dahin - und mit ihr die wirtschaftliche Dynamik.

Sie werden jetzt aber sehr grundsätzlich, Herr Kannegiesser. Dabei sagt der Präsident der IG Metall, Berthold Huber, lediglich, dass die Belegschaften die besseren Aktionäre wären. Das könnte Ihnen doch entgegenkommen.

Ja, ja, die besseren Aktionäre …

Sie glauben das nicht?

Das glaubt die IG Metall ja selber nicht, sondern enteignet die frisch gebackenen Eigentümer mit ihrem Zwangsfonds. Mit unternehmerischem Kapital sind doch neben den Chancen auch Haftung und Risiko verbunden. Die Gewerkschaft will nur die Chancen mitnehmen. Dabei hat sie ja schon beachtliche Gestaltungsrechte im Unternehmen. Aber mit einem anonymen, kollektivierten Beteiligungsfonds, der von Funktionären verwaltet wird, entsteht ein Interessensblock, der zu einem schleichenden Prozess der Politisierung von Unternehmen führen kann.

Der Staat hat sich in der Krise ebenfalls eingemischt. Haben Sie da auch Angst vor der Politisierung?

Die Politik hat sich diszipliniert und ist nicht in ideologische Exzesse verfallen. Dass sie die Banken stützt: Wer hätte das sonst machen können? Aber bei Unternehmen? Da könnte man die Betriebswirtschaft sofort an den Nagel hängen. Der Staat sollte Ruhe bewahren. Auch bei Fragen wie der Steuerpolitik.

Sie halten die Debatte über Steuererhöhungen oder Steuersenkungen für überflüssig?

Absolut. Natürlich kann ich sagen: Steuerentlastungen für den Bürger sind immer gut, weil sie Wachstumskräfte freisetzen. Heute kann niemand vorhersagen, wann und wie wir aus der Krise kommen und in welche wirtschaftliche Landschaft wir dann unsere Schuldenberge einordnen müssen. Solange wir dies nicht einigermaßen übersehen, sollten wir vor allem auf Verlässlichkeit setzen, also noch nicht sozusagen blindlings Steuersenkungen oder -erhöhungen ankündigen.

Es gibt den Vorwurf, dass gerade die starke Fixierung der deutschen Wirtschaft auf den Export bei gleichzeitig kleinerer Binnennachfrage die Krise noch verstärkt hat.

Tatsache ist, dass unsere stark technikorientierte Industrie die höchsten Löhne zahlt und maßgeblich zur Binnenkaufkraft beiträgt. Selbstverständlich werden wir künftig mehr Ressourcen für Pflege, Betreuung, Bildung benötigen, aber das ergänzt sich doch und schließt sich nicht gegenseitig aus. Überhaupt Binnennachfrage. Diese Debatte ist oft bizarr.

Was ist daran bizarr?

Mal ist die Exportwirtschaft der größte Wohltäter, mal das größte Gespenst. Und was heißt denn heute noch Export? Wir haben mittlerweile einen europäischen Binnenmarkt, einen gemeinsamen Währungsraum, rund 60 Prozent unserer sogenannten Exporte gehen in den Binnenmarkt. Ist das noch Export? Die Gewerkschaften oder die Linkspartei führen manchmal Debatten wie der Deutsche Zollverein vor 150 Jahren. Damals bestand der Export noch aus Geschäften zwischen Westfalen und Bayern.

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3 Kommentare

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  • LB
    Lea Blumenthal

    Über Friedrich Jahn, den Wienerwaldchef, schreibt die Wikipedia:

    "Im November 1982 musste das Wienerwaldimperium erstmals Vergleich anmelden. Gründe hierfür waren u.a. das zu schnelle Wachstum, vor allem in den USA, die Finanzierung langfristiger Investitionen durch kurzfristige Kredite und die unüberschaubare Organisation der über 200 Großkonzern-Firmen. Jahns Hauptfehler sei nach eigener Aussage die Einstellung eines Bankers als Finanzchef gewesen."

     

    In den frühen Jahren hatte Wienerwald sich auf Eigenkapitalbasis aufgebaut. Als die Banken dreinpfuschten, ging es bergab.

     

    Eigenkapital sei das teuerste Kapital - zirpten vor zwei Jahren noch die gierigen Heuschrecken und ihre gekauften Universitätsprofessoren den Managern ins Ohr. Wenn diese es geglaubt haben, so mussten sie mittlerweile dran glauben, pardon, nicht die Manager, die Unternehmen und die Arbeitnehmer.

     

    Eigenkapital ist die solideste Basis - das scheint Herr Kannegiesser noch immer nicht zu wissen, da er die Bankenrettung für gar so wichtig hält. Firmen, die ganz oder weitgehend mit Eigenkapital wirtschaften, spüren wenig von der jetzigen Krise; sie brauchen Banken nicht, allenfalls zur Geldanlage und Überweisung.

  • K
    kanne

    Naja, er gehört wohl immer noch zu den besonnensten Arbeitgebervertretern - insbesondere im Vergleich zu Marktradikalen wie dem

    zum berüchtigten ex-BDI-Chef Hans-Olaf Henkel.

  • H
    Helmut

    "müssen die Unternehmen auf dem Weg nach Oben

    Ballast abwerfen."

    Dann sind also Arbeitnehmer für Herrn Kannegiesser

    Ballast.Oder wie hat er das gemeint?