Kolumne Speckgürtel: Im nordostdeutschen Servicebereich

Obst aus der Dose, Opas altes Klappbett und tröpfelnde Plastikduschköpfe. Willkommen!

Mitunter ist es an der Zeit, den Speckgürtel-Begriff zu erweitern. Dann steige ich aufs Rad und fahre eine Woche Gegend gucken. Dieses Jahr hat es mich nach Nordosten verschlagen. Großartige Landschaften habe ich durchrollt, den Finowkanal entlang, auf dem die Bauern aus dem Oderbruch einst ihre Ernte verschifften, zu den Hauptstädtern, die den Hals nicht vollkriegten vom Obst und Gemüse der Bauern, von ihrem Wild, den Beeren und Pilzen.

Ein paar Jahrhunderte lief das Geschäft. Dann wurde die Eisenbahn erfunden, dann das Auto, und dann fiel vor zwanzig Jahren auch noch die Mauer. All das hat manchem das Herz verhärtet und aus einem stolzen Brandenburger ein missgünstiges Würstchen geformt. Dass man hier nicht auf ihn angewiesen ist, bedeutet man jedem Durchreisenden, dass man nicht länger bereit ist, vom Selbstgeernteten und Erlegten abzugeben, zeigt man unverhohlen. Nein, Küche nur bis acht - "der Koch will och mal nach Hause"; Fahrrad hier nicht anlehnen, da auch nicht und da sowieso nicht - "is allet frisch jestrichen"; das Obst kommt mitten im Sommer aus der Dose, Wurst und Käse sind vom Aldi, und die Zimmereinrichtungen wie aus dem DDR-Geschichtspark. Aber das ist nur ein Vorgeschmack. Denn nach der brandenburgischen Zugeknöpftheit erwartet Reisende im Nordosten die vorpommersche Strukturschwäche, bei der es sich um eine Art Survival-Upgrade handelt.

Als ich nach einer kurzen Nacht auf einer Matratze aus volkseigener Produktion mit meinem Rad die Landesgrenze passiere, wird aus dem schlechten Angebot aus Apfelschorle, Schweinenackensteak und Opas altem Klappbett ein äußerst mageres. Von nun an heißt es, bis zur Ostsee stets Trinkwasser und Kekse mitführen und gut aufpassen, dass man nicht die einzige Schlafgelegenheit in vierzig Kilometer Umkreis verpasst.

Ich radele über top ausgebaute, EU-finanzierte Wege, schaue seltenen Vögeln bei ihren Flugexperimenten zu, bewundere die akkuraten Rosen- und-Dahlien-Vorgärten der vorpommerschen Bevölkerung und verpasse abends in Rieth am Stettiner Haff fast die letzte Schlafgelegenheit.

Dort erwartet mich die gesamtdeutsche Variante des frustrierten Dienstleisters: ein rübergemachter Schwabe. Auf meine Bitte, das reservierte Zimmer kurz sehen zu dürfen, reagiert der Mann echt beleidigt. Was ich mir denken würde, schnappt er, Typen wie ich kämen "da von Berlin und anderschtwo her" und würden erwarten, dass das Personal springt. "Aber mir sin hier in Ostdeutschland, gute Frau!" Uijuijui, denke ich, hake meine Satteltasche ein und fahre von dannen.

Mir bleibt nur noch ein Ausweichquartier im Nachbardorf. Das Zimmer ist das Grauen. Haare, Krümel, tröpfelnder Plastikduschkopf - lassen Sie Ihrer Fantasie ruhig freien Lauf! Aber Ingo, der Vermieter, reißt alles wieder raus. Der sympathische Stotterer in der verbeulten Trainingshose lädt mich abends auf einen Selbstgebrannten ein, Ingo lästert über die "Etepetetetouristen, die sich über jeden Krümel uffrejen". Er ist wirklich stolz auf sein runtergekommenes Dorf - wer wollte da saubere Klos fordern? "Ja genau, die sollen sich mal nicht so haben, diese Touristen. Prost!", pflichte ich ihm bei. Nachts rolle ich mich auf meiner stockfleckigen Matratze zusammen und schlafe beim Mäusetrippeln ein.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.