piwik no script img

S-Bahn Chaos in BerlinS-Bahn hat ne Schraube locker

Der Betriebsratschef berichtet von Schikanen und Versäumnissen in den Werkstätten. Jeden Tag gebe es neue Probleme, sagt der Verkehrsverbund. Die Bahn verspricht Aufklärung.

Da muss noch kräftig dran geschraubt werden Bild: dpa

Da setzt man sich nur noch mulmig in die S-Bahn: "Es erscheint uns als reiner Zufall, dass es nicht schon früher gekracht hat", sagte der Betriebsratschef des Unternehmens, Heiner Wegner, am Mittwoch im Abgeordnetenhaus. In einer Sondersitzung des Verkehrsausschusses berichtete er detailliert über Missstände bei der S-Bahn. Mitarbeiter seien "diszipliniert" worden, wenn sie einen Zug früher als zwingend vorgeschrieben kontrollieren wollten. Wer aufmuckte, dem sei nahe gelegt worden, sich nach einem neuen Job umzusehen. Wann die S-Bahn wieder in vollem Umfang fährt, lässt sich für Wegner nicht sagen: "Jeden Tag taucht ein neues Problem auf".

Wegen des erneuten Chaos bei der S-Bahn aufgrund defekter Bremszylinder hatten der Ausschuss Wegner und führende Köpfe der Bahn und des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg (VBB) sowie das Eisenbahnbundesamt eingeladen. VBB-Chef Hans-Werner Franz trat dabei Äußerungen der Bahn entgegen, der Notfahrplan habe sich eingespielt. "Wir haben keinen eingependelten Zustand, wir haben nach wie vor eine Krise", sagte er. Noch immer blieben Fahrgäste an den Bahnsteigen zurück, vor allem auf den Linien 2, 3 und 5. "Fahrgäste mit Kinderwagen und Rollstuhlfahrer haben in der Regel keine Chance", so Franz.

Auch Betriebsratschef Wegner ging auf Gegenkurs zum Deutsche-Bahn-Vorstand Ulrich Homburg. Der hatte am Dienstag bestritten, dass ein überzogener Sparkurs die Ursache der Wartungsmängel beim Tochterunternehmen S-Bahn sei. Laut Wegner kürzte das Unternehmen in den vergangenen vier Jahren jede vierte Stelle weg, runter auf derzeit 2.855 Mitarbeiter. "Wenn ein Dreher in Urlaub geht, haben wir keinen Ersatz", so Wegner. Während man die Fahrzeuge früher vorbeugend instand gehalten habe, sei das zunehmend nur noch "zustandsbezogen" passiert. Immer wieder will er diese Punkte bei der Unternehmensführung vorgetragen haben. "Die Einwände wurden einfach vom Tisch gefegt."

Bahn-Manager hätten den Sparkurs "ohne Skrupel" durchgedrückt - und seien trotzdem weiter im Unternehmen. Wegner nannte unter anderem den S-Bahn-Aufsichtsratschef Hermann Graf von der Schulenburg, der zugleich Vorstand der Deutsche Bahn Stadtverkehr GmbH ist. Dessen Rücktritt hatte bereits die SPD-Fraktion gefordert.

Bahn-Vorstand Homburg widersprach Wegners Beschreibungen nicht. Er kündigte Untersuchungen an, an denen externe Anwälte und Beratungsgesellschaften beteiligt sein sollen. Man werde "ohne Ansehen der Person" aufklären. Er verwehrte sich jedoch gegen Vorverurteilungen. Im Falle des im Juli abgelösten S-Bahn-Vorstands ist für ihn die Sache aber klar: Der habe "wissentlich oder geduldet gegen Sicherheitsregeln verstoßen".

Über Entschädigungen für die Fahrgäste mochte Homburg nicht sprechen, solange das Ausmaß der Zugausfälle unklar sei. Für den SPD-Verkehrspolitiker Christian Gaebler war das "eine Unverschämtheit". Er will nun prüfen, ob er die Bahn auf Entschädigung verklagen kann. Wirtschaftssenator Harald Wolf sprach sich nach der Ausschusssitzung für zwei Monate Gratisfahren in der S-Bahn aus.

Überlegungen des TU-Professors Markus Hecht, die aktuellen Probleme mit Dieselloks zu überbrücken, stießen auf große Skepsis beim Eisenbahnbundesamt (EBA). Hecht, der den volkswirtschaftlichen Schaden durch die Ausfälle auf 2 Millionen Euro pro Tag schätzt, hält die nötigen Loks "von einem Tag auf den anderen" für verfügbar. EBA-Vertreter Ralph Fischer sah das anders: "Das ist so einfach technisch nicht machbar. Das wäre keine kurzfristige Hilfe."

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!