Kolumne Landmänner: Zwanzig Jahre Achtziger

Wenn die eigene Jugend im deutschen historischen Museum archiviert wird, hat man es geschafft und kann sich entspannen.

Muss es denn wirklich sein, dass er heute schon wieder diese Achtziger-Lederjacke trägt. Wie oft schon habe ich im Lauf unserer Beziehung versucht, meinen Mann davon zu überzeugen, dass diese auf Taille geschnittene, extrem kurze schwarze Lederjacke mit der ausladenden Schulterpartie nun wirklich gar nicht geht. Als ich mir irgendwann gar keinen Rat mehr wusste, wurde ich sogar brutal: "Sie macht dich alt", habe ich gesagt. Da er runde zehn Jahre älter ist als ich, hatte das ganz schön gesessen. Nicht so, dass er die Jacke danach zur Altkleidersammlung gegeben hätte, aber immerhin so, dass es mir danach leidtat.

Als wir uns kennen lernten, lag die Berliner Mauer schon ein paar Jährchen in Schutt und Asche. Ich war seinerzeit einer von denen, die mit schuld daran sind, dass aus dem Prenzlauer Berg wurde, was er heute ist - also ein jungscher Wessi aus der Provinz, der im wilden Osten Szene spielt und überzeugt ist, mit regelmäßigem Drogenkonsum und dem Tragen von Second-Hand-Stoffhosen gerade das Rad neu zu erfinden. Und er war jemand von denen, die daran schuld waren, dass der Prenzlauer Berg so interessant für uns war - also ein in den Achtzigern knalljungscher Ossi, der in der Kunst-, Schwulen-, Dissidentenszene unterwegs war und in Ost-Berlin versucht hatte, es mit einem anderen Rad als dem staatlich vorgegebenem zu versuchen.

Was mit dem angeblich ganz neuen Rad der Wessis im Prenzlauer Berg geworden ist, weiß man ja nun hinlänglich. Aber sein anderes Rad ist es immerhin wert, im Deutschen Historischen Museum aufbewahrt zu werden - und auf Arte zu bewundern. Als ich am Sonntag vom Lande in die Stadtwohnung zurückgekehrt war, klingelte das Telefon: "Schalt mal schnell den Fernseher ein." Ich antwortete: "Aber nicht, dass ich dir schon wieder beim Onanieren zusehen muss" - er hatte seinerzeit mal als Darsteller bei einem Kunstprojekt mitgewirkt, dass erst Jahre später den Weg ins Fernsehen gefunden hatte, natürlich bei Arte, und mir war fast das Brötchen aus dem Gesicht gefallen.

Doch dieses Mal handelte es sich um einen allgemeinen Film über die Ost-Subkultur der Achtziger: "Guck dir das mal an, so war das damals, und die Leute, die da gezeigt werden, kenne ich fast all"e. Ich glaubte ihm sofort, denn sie hatten auch Achtziger-Lederjacken an.

Mein Mann gehört nun zu jenen Ost-Subkulturpflanzen, die ihr Glück eher auf dem Land suchen, dort ihr Ding durchziehen. Besser im Umland von Berlin als in irgendeinem Ashram, denn sonst hätten wir uns ja nicht kennen gelernt. Den Prenzlauer Berg haben wir beide verlassen - ich finde ihn mittlerweile doof, mein Mann jedoch freut sich, dass er heute so voller Leben ist. Alles bunt. Junge Menschen. Vielleicht hat er ja Recht. Vorbei ist vorbei. Er ist entspannt, bei sich, ganz ohne Schaum vor dem Mund.

Doch leider treiben sich genau diese jetzt in meinem von Gentrifzierung bedrohten Viertel "Kreuzkölln" rum. Trinken überall laktosefreien Milchkaffee, quaken rum und blockieren die Bürgersteige, so dass die arabischen Großfamilien und die raumgreifenden türkischen Jungmänner-Gruppen nicht mehr durchkommen.

Aber falls ich mich irgendwann erinnern sollte, wo genau dieser Keller in der Nachbarschaft war, in dem Klezmer-Punkrock gespielt wurde und in dem ich schauerlich versackte, dann leihe ich mir die dort bei Jungmännern gerade schwer angesagte schwarze Achtziger-Lederjacke von meinem Mann. Darin würde ich mich gleich zehn Jahre jünger fühlen.

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* 21. Februar 1973 in Wittlich; † 26. Mai 2023 in Berlin, war Redakteur der taz am Wochenende. Sein Schwerpunkt lag auf gesellschaftlichen und LGBTI-Themen. Er veröffentlichte mehrere Bücher im Fischer Taschenbuchverlag („Generation Umhängetasche“, „Landlust“ und „Vertragt Euch“). Zuletzt erschien von ihm "Die Kapsel. Aids in der Bundesrepublik" im Suhrkamp-Verlag (2018). Martin Reichert lebte mit seinem Lebensgefährten in Berlin-Neukölln - und so oft es ging in Slowenien

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