Abschiebeflug nach Afghanistan: London – Lille – Kabul

Unterstützt von Großbritannien will Frankreich Dutzende Menschen nach Afghanistan abschieben, darunter auch Flüchtlinge aus dem "Dschungel von Calais". NGOs üben Kritik.

Flüchtlinge aus dem "Dschungel von Calais" stehen an, um eine Mahlzeit zu bekommen. Bild: ap

Ein gemeinsamer franko-britischer Charterflug nach Afghanistan ist geplant. Er soll von London über Lille nach Kabul gehen. Möglicherweise mit einem Zwischenhalt im aserbaidschanischen Baku. Die Maschine soll mehrere Dutzend Afghanen, die die Flucht bis nach Frankreich oder England geschafft haben, aber dann von der Polizei aufgegriffen worden sind, in das Land im Krieg zurückbringen. Darunter sind solche, die bei den Räumungen der französischen Polizei bei Calais, am Ärmelkanal, verhaftet worden seien. Der britische Telegraph will wissen, dass die abgeschobenen Afghanen eine "Rückkehrhilfe" von 2.000 Euro bekommen.

Die grundsätzliche Absicht zu einem solchen "gruppierten" Charterflug, den Großbritannien und Frankreich gemeinsam organisieren, hat der Pariser Minister für Migration und Nationale Identität, Eric Besson, schon Ende September erklärt. Er hat es bei einer Pressekonferenz in Calais gesagt - eine Woche nachdem 500 Polizisten dort am 22. September vor laufenden Fernsehkameras den "Jungle" geräumt hatten. In dem Lager am Ortsrand von Calais wurden 276 Menschen festgenommen - die meisten Afghanen und mehr als die Hälfte minderjährig. Alle hatten die Absicht, nach Großbritannien zu gelangen.

In seiner Pressekonferenz nannte Minister Besson die Räumung des "Jungle" einen "Erfolg". Er verwies auf Zahlen, wonach der "Migrationsdruck" in der Region von "1.000 bis 1.500 Migranten im Juni auf 500 Ende September" gesunken sei.

Hilfsorganisationen beobachten das Gegenteil. Nach ihren Informationen waren zum Zeitpunkt der Pressekonferenz - eine Woche nach der Räumung des "Jungle" - fast alle festgenommenen und von der Polizei in weit entfernte Orte Frankreichs transportierten Afghanen bereits wieder zurück in Calais. Maurice Collier, Mitarbeiter der religiösen Hilfsorganisation Secours catholique, sagte am Montag vergangener Woche: "Heute waren 40 Afghanen zum Duschen bei uns. Das ist ungefähr dieselbe Zahl wie vor der Räumung des Lagers."

Am Montag dieser Woche erhalten die Hilfsorganisationen Hinweise, dass der angekündigte "gruppierte Charterflug" am späten Dienstagabend stattfinden soll. Sie haben unterschiedliche Quellen. Und sie wissen, dass die Behörden bei den afghanischen Konsulaten Passierscheine für Afghanen besorgt haben, die in Abschiebezentren sitzen.

Noch am Montag veröffentlichen mehr als 30 Organisationen einen gemeinsamen Appel. "Afghanistan ist ein Land im Krieg", schreiben sie, "es ist inakzeptabel, jene dorthin zu schicken, die in Europa Schutz gesucht haben." Sie kritisieren auch das Prinzip von "gruppierten" Abschiebecharterflügen. "Kollektive Abschiebungen führen zu willkürlichen, diskriminierenden und unmenschlichen Praktiken, die die Grundrechte von Personen verletzen." Die Hilfsorganisationen überlegen, den Europäischen Gerichtshof einzuschalten. Im November 2008 hatte er einen gruppierten Charterflug in den Irak verhindert.

In Calais haben seit der Räumung des "Jungle" kleinere Räumungen von Lagern im Wald und von Häusern, die von Flüchtlingen aus Eritrea besetzt waren, stattgefunden. Die Flüchtlinge aus dem "Jungle" sind mit zwei Ausnahmen wieder auf freiem Fuß. Die Minderjährigen dürfen nicht abgeschoben werden. Bei den Erwachsenen haben die Anwälte Widerspruch wegen Verfahrensfehlern eingelegt.

Unter anderem monierten die Anwälte die willkürliche Altersbestimmung für die Festgenommenen. So legte die Polizei in Nordfrankreich bei zahlreichen Afghanen fest, sie seien am 1. Januar 1991 zur Welt gekommen. Stimmte das, wären sie alt genug, um abgeschoben zu werden. Die Anwälte monierten zudem, dass die festgenommenen Flüchtlinge wegen der langen Transportzeiten durch Frankreich (bis zu 20 Stunden) keine Zeit hatten, Asylanträge zu stellen.

Am Dienstagnachmittag, wenige Stunden vor dem Charterflug, äußert sich ein Sprecher von Minister Besson. Frank Supplisson dementiert nicht. Er sagt: "Heute" wird es keinen gruppierten Charterflug geben.

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