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Kommentar MerkelIn der Schröder-Falle

Kommentar von Ralph Bollmann

Es ist ein Vorteil für Merkel, wenn sie sich im nächsten Jahr als diejenige präsentieren kann, die einer noch unseriöseren Steuersenkungspolitik widerstanden hat.

E ine Regierungsbildung in Rekordzeit, vier Wochen von der Wahl bis zur Vereidigung des Kabinetts; eine Koalition, die mal als politisches Wunschpaar galt, jetzt allerdings als Zufallsmehrheit angesehen wird; eine Wirtschaftskrise, die große Lücken in den Haushalt reißt; und der eiserne Wille der neuen Regierung, diesen Umstand zu verdrängen - vorerst.

Die Art, wie Angela Merkel ins schwarz-gelbe Regierungsbündnis stolpert, erinnert an den Fehlstart Gerhard Schröders nach seiner ersten Wiederwahl 2002. Als damals Finanzminister Hans Eichel mit miesen Haushaltszahlen die Stimmung verdarb, stoppte ihn Schröder mit dem legendären Satz: "Lass gut sein, Hans." Merkel warf Schröder daraufhin Wahlkampflügen vor, installierte einen Untersuchungsausschuss - und wurde dafür ausgelacht. Das hat sie sich gemerkt.

Anders als bei Schröder, der mit einer Wiederwahl schon nicht mehr gerechnet hatte, ist Merkels Planlosigkeit gut geplant. Trotzdem bleibt die Frage, wie weit sie damit kommen wird. Schröder musste nach einem halben Jahr einsehen, dass er mit dem Prinzip des "Lass gut sein" nicht weiterkam. Er verkündete seine Agenda 2010. Wird also auch Merkel im nächsten Frühsommer, nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, erstaunt in Finanzlöcher blicken?

taz

Ralph Bollmann ist Leiter des Parlamentsbüros der taz.

Im Gegensatz zu Schröder, der Aufrufe zur Haushaltsdisziplin zur Seite wischte, hat sich Merkel dem Wunsch nach größeren Defiziten zu erwehren. Nichts anderes sind Steuersenkungen in der jetzigen Lage. Es ist kurios genug, dass den selbst ernannten Reformern von der FDP nichts anderes mehr einfällt als höhere Schulden. Aber es ist ein Vorteil für Merkel, wenn sie sich im nächsten Jahr als diejenige präsentieren kann, die einer noch unseriöseren Steuersenkungspolitik widerstanden hat. Ob das reicht, um der Schröder-Falle zu entgehen?

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3 Kommentare

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  • R
    reblek

    "Fehlstart Gerhard Schröders nach seiner ersten Wiederwahl 2002..." Sorry, aber gab es auch eine zweite Wiederwahl Schöders? Ja, aber nur in dessen Einbildung und ausschließlich in einem testosterongeschwängerten Auftritt in der "Berliner Runde" nach der Wahl. Danach hat Schöder nur noch Zuflucht gefunden beim "lupenreinen Demokraten" Putin. Will sagen: Zeige mir Deine Freunde und ich sage Dir, wer Du bist. Putin ein Verbrecher? Aber nicht doch!

  • AD
    Axel Dörken

    Wieso muss es kurios sein, wenn den Regierenden „nur“ neue Schulden einfallen?

     

    Angenommen ich weiß, wie ich aus dem Umstand rauskomme, sagen wir mit einer Art Insolvenz, dann kann es doch hilfreich für mich sein, wenn ich vorher noch geschickt alles an mich reiße, wessen ich mir habhaft werden kann. Ja, Insolvenzbetrug. Doch wenn ich vorher entsprechend "geordnet" vorgehe, wer will ihn nachweisen? Und wenn dann doch jemand kommt, der das kann, dann gibt es sicherlich ein Land, welches mich, dank meines Geldes mit Kusshand aufnimmt.

     

    Für Typen wie die, die unsere Regierung bilden und diese Regierung ermöglicht haben ist so etwas oftmals ein Kinderspiel. Ja, es zählen auch ehrliche und gutgläubige Menschen zu den Wählern von CDU und FDP. Hoffe ich. Die sind hiermit entlastet.

     

    Zurückkommend zu meiner Theorie, die sicherlich schon zumindest das eine oder andere Mal, auch straffrei, in die Praxis umgesetzt wurde, also eben auch Praxis ist:

     

    Schließlich ist bei einer „geordneten“ Insolvenz hinterher für die Spezies wieder mehr vorhanden und das Volk hat sich, wieder einmal, mit Almosen ruhig stellen lassen, weil es sie vor lauter "Oh, toll! Wir haben mehr netto vom Brutto!" als solche gar nicht erkennen will. Wer will sich schon bewusst machen, dass die Umschichtung von Finanzen, Materiellem und von Möglichkeiten, von unten nach oben, geplant ist? Wer möchte schon begreifen, dass das Brutto selbst schon eine Farce ist und, dass mit dem größeren Netto bald noch weniger eingekauft werden kann?

     

    Doch dann sind, wie üblich, die Schäflein im Trockenen und der biedere tumbe Wähler erkennt mal wieder, dass er derjenige ist, der bezahlt hat. – Weil er mit sich machen ließ! Weil er lieber im Wohnzimmer oder in der Kneipe blieb, als etwas zu riskieren, in dem er auf die Straße geht und Einigkeit, also Miteinander demonstriert. - Typisch deutsches Volk, dass sich weiterhin maximal am Stammtisch beschwert und ansonsten kein politisches Gewicht geschaffen wird. So wurde Hitler groß. So fängt es hier immer wieder an. Sooft, bis wir unsere Einstellung ändern und gemeinsam schreiten!

     

    Liebe Grüße

    Axel

     

    P.S.: Außerdem passen solche Aktionen, wie noch mehr Schulden machen, herausragend zu etwas, was noch immer von vielen lieber als Ver-schwörung-stheorie angesehen wird. Wie war das noch? Theorie ist nur etwas, dem keine Fakten zugrunde liegen? - Na, dann ist ja gut.

     

    Wir brauchen nur weiter über die Fakten hinwegschauen, wie wir es als Volk der BRD schon wieder seit 60 Jahren tun, und damit die Theorie als solche weiter aufrecht erhalten, obwohl sie längst als Praxis entlarvt ist. Für (noch) Einzelne. Für eine Masse, die täglich größer wird.

  • L
    Leser

    Nachfrage an den Autor:

    war es nicht gerade die FDP, die Steuersenkungen auf Pump wie von Merkel (Stichwort: Ausnahmeregelung bei der Schuldengrenze) verweigert hat???