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"Der Mann aus der Pfalz"Kohl und wie er die Welt sah

Thomas Schadts Dokudrama nähert sich dem Exkanzler mittels innerer Monologe - und ist so zwangsläufig ein verständnisvoller, ja wohlwollender Film geworden (Di., 20.15 Uhr, ZDF)

Thomas Thieme als Bundeskanzler Helmut Kohl auf dem CDU-Bundesparteitag. Bild: zdf/staphan rabold

Helmut Kohl, gespielt von Thomas Thieme, schaut durch die Gardinen des Kanzlerbungalows und hängt trüben Gedanken nach. Es ist Anfang November 1989, der deutsche Wiedervereinigungsprozess nimmt seinen noch ungewissen Lauf, und der Bonner Regierungschef sinniert: "Alles geht seinen Gang - mit mir oder ohne mich. Und immer ist man müde. Und erschöpft. Gefährliche Situation. Aber das putscht mich auf. Dann komme ich wieder hoch. Das ist wie eine Droge." Eher geflüstert sind die letzten Sätze, dann tritt Ehefrau Hannelore, gespielt von Renée Soutendijk, hinzu, und sie gucken zusammen aus dem Fenster. Unter Fernsehspielgesichtspunkten eine leise, intensive Szene.

Kohl, der Koloss, der Rekordkanzler, der ewige Oggersheimer, zu dem jedem, der die 80er- und 90er-Jahre in Westdeutschland erlebt hat, sofort die Worte "Birne", "Saumagen", "Sozen" und "Bimbes" einfallen, philosophiert über Politik als Aufputschmittel? Als Droge? Eine gewagte dramaturgische Prämisse. Es ist zugleich die Frage, an der sich die Bewertung von Thomas Schadts lang erwartetem Dokudrama "Der Mann aus der Pfalz" entscheidet: Glaubt man der Figur Kohl so einen inneren Monolog - nimmt man ihr die Selbstbespiegelung ab? Wer das verneint, wird dem Film ein grundsätzliches Glaubwürdigkeitsproblem attestieren. Tatsächlich kam die eigenwillige Machart nicht ganz freiwillig zustande.

Vor fast fünf Jahren fiel die Entscheidung, ein Biopic über Kohl zu realisieren; dass dieser nach langer Weigerung überhaupt bereit war, dem Dokumentaristen Schadt und seinem Coautor Jochen Bitzer Auskunft zu geben, hat mit dem Produzenten des Films, Nico Hofmann, zu tun: Dessen Vater Klaus stand dem Politiker als Journalist und Biograf nahe, und so gelang es Nico Hofmann, Schadt mit Kohl zusammenzubringen. Zwischen Januar und April 2006 entstanden 30 Stunden Interviewmaterial mit dem Exkanzler. Auszüge daraus sollten ursprünglich - neben Spielszenen und Archivmaterial - in den Film montiert werden. Schließlich aber verweigerte der seit einem Sturz im Februar 2008 gesundheitlich schwer angeschlagene Kohl die Autorisierung. Nun ist dem Film eine entsprechende Erklärung vorangestellt ("ausdrücklich keine von Bundeskanzler a. D. Dr. Helmut Kohl autorisierte Darstellung seines Lebens"), und die Interviewsitzungen durften lediglich als Informations- und Inspirationsquelle genutzt werden. Falls Kohl die Gespräche doch noch freigibt, will Schadt daraus einen Beitrag zu Kohls 80. Geburtstag im April 2010 fertigen.

taz

Diesen Text und viele andere mehr lesen Sie in der sonntaz vom 17./18.10.2009 – ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk.

Bei der Hamburger Pressepräsentation des Films erklärten Schadt und Hofmann unisono, über diese Entwicklung keinesfalls enttäuscht zu sein. Im Nachhinein erscheine der Weg, mit dem Wissen aus den Interviews einen eigenen Kohl-Sound zu kreieren, als die schlüssigere Umsetzung. Darsteller Thieme erläuterte darüber hinaus seine "Methode der unzureichenden Vorbereitung" - es sei ihm nicht um eine kabarettartige Anverwandlung seiner Rolle gegangen, die doch zur Charge hätte geraten müssen - dass der gebürtige Thüringer allerdings nicht nur keinen Pfälzer Dialekt imitiert, sondern besonders in emotionalen Passagen eine deutliche Ostfärbung seiner Sprache erkennen lässt, ist der Authentizität auch nicht zuträglich.

Dabei muss man anerkennen, dass dem Film viel gelingt. Geglückt ist die Konzentration auf zwei Erzählstränge und Zeitebenen: Gezeigt wird Kohl zum einen ab dem Sommer 1989, beginnend mit der Krise der CDU kurz vor dem gescheiterten Geißler-Putsch - das ist der Thieme-Kohl, der in der Folge einen Zehn-Punkte-Plan zur deutschen Einheit entwickelt. Der andere Erzählstrang führt ins Rheinland-Pfalz der Nachkriegszeit, wo der junge Kohl (brillant gespielt von Stephan Grossmann) zielstrebig seine Karriere vorantreibt und 1969 zum jüngsten Ministerpräsidenten der Bundesrepublik avanciert. Gerade diese Sequenzen enthalten spannende, weniger bekannte Aspekte. Aus heutiger Sicht ist es ja kaum noch vorstellbar, dass der biedere Strickjackenträger einst als Revoluzzer galt, der der CDU die "alten Zöpfe" abschneiden wollte und als Pfeife rauchender Genussmensch zum "King of Mainz" aufstieg; nicht auszuschließen, dass der feierfreudige Pfälzer Weggefährten mit Worten wie "Bernhard, komm mal her, schräger Vogel, nochn Schnabel Spätlese?" bewirtet hat. Gelungen ist auch die Verknüpfung von Spielszenen und Dokumaterial - etwa im Fall des Bremer Parteitags 1989, zu dem Kohl sich mit Prostataleiden und Katheter quälte, um seine Kritiker durch schiere Präsenz in Schach zu halten. Wenn da nach den Spielszenen der echte CDU-Chef gezeigt wird, wie er sich ein Gähnen aus dem Gesicht wischt, bekommt das berüchtigte Aussitzen eine neue Dimension.

Doch der Kniff mit dem inneren Monolog, der nebenbei auch allerlei Plattitüden hervorbringt (Kohl vor seinem Aquarium, über "fressen und gefressen werden" räsonierend), hat noch eine andere Folge: Es wird eben alles aus der Sicht Kohls geschildert beziehungsweise kommentiert. Ob als junger Wilder, der Schlagbäume an der deutsch-französischen Grenze einreißt, oder später als Einheitskanzler: Der Mann, das suggerieren diese Episoden, ist halt schon ein toller Hecht. Und wenn er mal jemanden "wegbeißen" muss, werden die Beweggründe ja gleich mitgeliefert.

Es mag in Ordnung gehen, dass Schadt den unrühmlichen Abgang Kohls, die schwarzen Kassen und das Ehrenwort ausgespart hat. Auch der Verzicht auf jegliche Spekulationen über den Freitod Hannelore Kohls oder eine Affäre des Kanzlers mit seiner Büroleiterin ist sicher angemessen. Es erschließt sich, dass Schadt, der als Dokumentarist schon Gerhard Schröder nahekam ("Der Kandidat"), vor allem am Machtorganisator Kohl interessiert war und für diesen eine gewisse Faszination entwickelt hat. Auch seinem Argument, dass in seiner Schilderung "die Anlagen für die Zeit danach durchaus sichtbar werden", kann stattgegeben werden. Und doch: Durch Übernahme der Kohl-Perspektive ist der Grundton zwangsläufig verständnisgeprägt. Der "King of Mainz" und wie er die Welt sah - es ist ein sehr wohlwollender Film geworden.

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