Prozess: Ende einer Verschleppung
Mehr als fünf Jahre blieb eine Anklage wegen Zuhälterei und Zwangsprostitution am Landgericht liegen. Jetzt könnten die drei Angeklagten billig davon kommen.
Die Anklage der Großen Strafkammer am Landgericht wurde gestern gar nicht erst verlesen. Sie ist ohnehin "uralt", sagt der Richter Christian Zorn. Mehr als fünf Jahre blieb sie liegen, ohne das in dem Verfahren etwas passiert wäre. Die Straftatbestände, um die es geht - Zuhälterei und illegale Einschleusung von Ausländerinnen - gibt es in dieser Form inzwischen gar nicht mehr. Manches von dem, was hier noch angeklagt wird, ist gar nicht mehr strafbar. Und zwei der drei Angeklagten mussten sich mittlerweile in ganz anderen Prozessen verantworten.
Den drei Deutschen wird vorgeworfen, bis 2003 in bis zu 15 Fällen Frauen aus Litauen und Russland zur Prostitution gezwungen zu haben. Ein Teil von ihnen wurde zuvor in Dänemark an deutsche Männer verheiratet, heißt es in der Anklageschrift, um auf diese Weise hierzulande eine Aufenthaltserlaubnis "zu erschleichen". Zumindest die Litauerinnen sind inzwischen EU-Bürgerinnen und dürfen heute auch so hier arbeiten. Jedenfalls drei der Frauen sind gestern vor Gericht erschienen, bereit, auszusagen.
Ob sie das je müssen, ist unklar. Richter Zorn hat den Angeklagten einen Deal angeboten, für den Fall, dass sie sich als geständig erweisen. Diana H. käme mit einer Bewährungsstrafe davon, der 55-Jährige Horst Kurt R. ginge straffrei aus. Die Vorwürfe gegen ihn seien ohnehin "schwer verständlich", sagt Zorn, vor allem aber ist R. bereits 2004 einschlägig verurteilt worden - das Verfahren gegen ihn könnte deshalb eingestellt werden. Bleibt Andree P., dem maximal drei Jahre Haft drohen. Er saß gerade wegen räuberischer Erpressung und Körperverletzung ein, eine Strafe, die ihm angerechnet werden müsste.
Sein Verteidiger Lars Wunderlich findet das Verfahren angesichts des Staubes, den es angesetzt hat, "ein bisschen abenteuerlich", spricht von einem "Chaos". Es ist eines von vielen "Altfällen" am Landgericht - dem auch Wunderlich attestiert, "wenig Ressourcen" zu haben und "sehr stark überlastet" zu sein.
Um liegen gebliebenes abzuarbeiten, wurde deshalb vor gut zwei Jahren eine eigene Kammer eingerichtet. Ein "sehr erfolgreiches Modell", wie Gerichtssprecher Thorsten Prange findet, schließlich sei "eine beträchtliche Zahl" von Altfällen mittlerweile erledigt. Dabei widerspricht er dem Eindruck, derlei Prozesse würden häufig eingestellt oder anderweitig milde abgeurteilt. Man dürfe auch nicht vergessen, dass eine über Jahre drohende Anklage "stark belastende psychische Wirkung" habe - und als Teil der Sühne wie Strafe angesehen werden müsse.
Im Ländervergleich dauern Prozesse am Landgericht in Bremen laut einer Statistik aus dem vergangenen Jahr durchschnittlich 12,3 Monate, in Hessen acht, in Thüringen 3,5 Monate. Zugleich ist die Arbeitsbelastung immens gewachsen: Die Zahl der pro Jahr bei der Staatsanwaltschaft Bremen neu eingehenden Fälle etwa stieg von 42.487 im Jahr 1994 auf 57.829 im Jahr 2007 an. Die Zahl der Staats- und Amtsanwälte ist dabei weitgehend konstant geblieben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!