Weltmeisterschaft in Breakdance: Balkan-Berlin-Bronx
Der Berliner Lil Ceng gilt als einer der talentiertesten B-boys der Breakdance-Szene. Bei der Weltmeisterschaft in New York geht er als Favorit ins Rennen und scheitert doch früh.
NEW YORK taz | Es ist neun Uhr am Mittwochabend und die Menge im Hammerstein Ballroom kommt gerade erst so richtig in Fahrt. Sie haben sich auf die Stühle des ausverkauften alten Theaters an der 34. Straße in Manhattan gestellt und wogen mit in die Luft gereckten Armen zu den dröhnenden Bässen hin und her, die der legendäre DJ "DP One" in die Soundanlage speist. Wie aus einer Kehle johlen sie "Over Heeeere", wenn der EMCEE des Abends sie fragt: "Where is the real Hip Hop in the house?" Groove liegt in der Luft.
Lil Ceng ist hingegen so gar nicht mehr in Partylaune. Der 18 Jahre junge Breakdancer - oder "B-boy", wie es richtiger heißt - liegt hinter der Bühne in einem Sitzsack und hat sein Gesicht in ein Handtuch vergraben. Um ihn herum proben seine Kollegen ihre Choregrafien - ihre "Moves" - für die nächste Runde der inoffiziellen B-boy-Weltmeisterschaft. Doch der Berliner ist fertig für heute. Er ist ausgeschieden, gleich beim ersten "Battle", beim ersten Tanzduell des Abends gegen den Amerikaner "Thesis". Der gilt als eines der ganz großen Talente der Disziplin - wie Ceng.
Dabei hatte Ceng, in dessen Pass der Name Gengis Ademoski steht, sich für so viel vorgenommen für diesen Abend. Im vergangenen Jahr war der kleine, athletische Tänzer die Sensation der Szene, als er gleich in seinem ersten Jahr auf der internationalen Bühne die Legende Kid David besiegte und bis ins Halbfinale kam. Für viele war er deshalb in diesem Jahr Favorit. "Wahrscheinlich habe ich mir etwas zu viel Druck gemacht und war nicht locker genug", sagt er, während er an seinem Wasser nuckelt und die Enttäuschung abzuschütteln versucht.
Dabei hatte Ceng sich so gefreut auf New York. Es war seine erste Reise hierher, in die Geburtsstadt des Hip Hop und des "B-boying", eine Pilgerfahrt an den Ort, an dem alles begann. Nur zehn Kilometer von der 34. Straße entfernt, in den Straßen und Parks der South Bronx,fingen Ende der 70er-Jahre Straßengangs damit an, ihre Streitigkeiten mit "Dance Battles" anstatt mit Gewalt auszutragen. Schon in den Tagen vor dem Turnier ist Ceng deshalb in die Bronx gefahren, um den ursprünglichen Geist des Hiphop aufzuspüren - jener Subkultur, die inzwischen zu einem der erfolgreichsten Popphänomene der Welt geworden ist.
Cengs erste Begegnung mit dem B-boying war indes in der Fußgängerzone von Saarbrücken. Anfang der 90er war Cengs Familie aus Mazedonien geflohen und vom Schicksal an die Saar verschlagen worden. Ceng stammt aus einem komplett anderen Universum als der Bronx und dennoch war er auf der Stelle vom Hiphop und vom Breakdance fasziniert.
Ceng besorgte sich Videos, er begann zu Hause zu üben und trat bald bei lokalen B-boy-Events an. Als er 15 war, hatte er schon einen Namen in der deutschen Szene und einen charakteristischen Stil. Ceng war ein "Powerhead" - einer, der seinen Tanz auf sogenannten Power-Moves aufbaut. Das sind die artistischen, turnerischen Anteile seines Auftritts, wie etwa der Thomas-Kreisel, der dem Kunstturnen entlehnt ist, oder die spektakulären Air Flares, die Ceng zeigt, bei denen er auf einer Hand steht und die Beine scherenhaft durch die Luft wirbeln lässt. Als Turnweltmeister Fabian Hambüchen einmal gesehen hat, was Ceng sich da selbst beigebracht hat, konnte er das kaum fassen.
Es dauerte nicht lange, da wurde Ceng entdeckt. Sein Vorbild Benny von der Berliner Truppe Flying Steps sprach ihn an und rekrutierte ihn für seine Gruppenshow. Ceng zog in die WG der Gruppe in Charlottenburg und lebt dort als Vollprofi, seit er im vergangenen Jahr seinen Hauptschulabschluss gemacht hat.
Ceng ist in vielerlei Hinsicht ein typischer Vertreter seiner Generation von B-boys. Von den 16 Kombattanten des großen Battle im Hammerstein Balroom kamen gerade einmal vier aus den USA, aus New York gar nur einer. Die übrigen stammten aus Japan, Korea, Portugal, Brasilien, Russland und der Ukraine. Der Sieger Lilou ist algerischstämmiger Franzose. "Im a muslim - dont panic" hatte er humorig für seinen Einsatz in Manhattan auf sein T-Shirt gedruckt.
Wie die Hiphop-Kultur insgesamt ist das B-boying heute ein globales Phänomen. Und doch wirkt es nie merkwürdig oder aufgesetzt, wie die Körpersprache und die Rituale der Ghetto-Kultur adaptiert werden: jener Kampftanz, bei dem junge Männer sich beweisen und behaupten, in dem sie ihre Rivalen provozieren, in dem sie sich durch Kunststücke spreizen und sich gegenseitig zu unterwerfen versuchen. Es ist offenbar etwas Universelles, für das die Gangs in der Bronx da eine Form und eine Sprache gefunden haben.
Der junge Mazedonier aus Berlin ist dabei vielleicht noch ein wenig zu wild und ungestüm. Kaum hatte der EMCEE die Bühne freigegeben, stürmte er auf sein Gegenüber los und überwältigte ihn mit einem regelrechten Bombardement an Power Moves. Thesis konterte subtil, mit "Style", wie es in der Fachsprache heißt, mit einer tänzerischen Sequenz, die Schrittkombinationen und Originalität betont anstatt nackter Akrobatik. Das kam an diesem Abend bei den Juroren deutlich besser an.
Jetzt, sagt Ceng, während er noch immer hinter der Bühne sitzt und seine Wunden leckt, wolle er erst einmal "Party machen" gehen. Zunächst bei der Afterparty in einem Club nicht weit vom Hammerstein Ballroom und in den nächsten Tagen, die er auch noch in New York verbringen will, dann in den Hiphop-Clubs in der Stadt. B-boy-Schlachten wird er dabei nicht aus dem Weg gehen, sagt er. Im Gegenteil, er freue sich drauf, dort zu tanzen, wo seine Kunst einst erfunden wurde. Und so wird Lil Ceng vielleicht doch noch als Gewinner aus New York zurückkommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!