die wahrheit: Ein bisschen schleimig
Geschichten zum Winden: Madenlasagne im Würmer-Restaurant
Dringender Warnhinweis: Personen mit einer niedrigen Ekeltoleranz, einem schwachen Magen oder etwa Halswirbelschäden sollten wegen der hohen Windungsgefahr von der Lektüre dieses Wahrheit-Textes absehen.
In der Theorie ist es ganz einfach: Insekten sind gesund, schmackhaft, haufenweise verfügbar, leicht zuzubereiten, es bestehen praktisch keine ethischen Bedenken, sie zu verputzen - kurzum: Sie wären das ideale Grundnahrungsmittel. Und das alles ist so wunderbar logisch, dass es große Freude bereitet, dem sich vor Ekel windenden Rest der Bevölkerung wieder und wieder ihre Vorzüge zu preisen.
Aber wenn man das macht, dann droht natürlich, dass irgendwann jemand ein Restaurant ausfindig macht, das tatsächlich Insekten serviert. Und einen da hinzerrt. So, wie es eine Bekannte eines Tages mit mir machte.
Ein leicht mulmiges Gefühl stellte sich dann doch ein, als wir das Speiseangebot in der Karte angestrengt studierten. Aber gut, jetzt war es auch nicht mehr zu ändern, jetzt musste ich da durch. Ich entschied mich für die Mehlwurm-Lasagne, sie orderte Spaghetti mit Grillen-Sauce. Während wir auf unser Essen warteten, versuchten wir, uns gegenseitig zu beruhigen: "Meine Güte, das ist doch nichts anderes als Krabbenessen." - "Das sind doch alles bloß Arthropoden." - "Im Grunde alles nur Kohlenstoffketten." Dann setzte die Kellnerin uns die Teller vor und wünschte scheinheilig einen "guten Appetit". Misstrauisch beäugten wir die Tafel. Meines sah aus - tja, wie ein Stück Lasagne halt auf einem Teller so aussieht. Ein mit Käse überbackener, viereckiger Klumpen, etwas Tomatensoße floss am Rand heraus. Absolut nicht Furcht einflößend, eigentlich.
Das Gericht der Begleiterin dagegen hätte normalerweise als Erstes den Gedanken an unhygienische Verhältnisse in der Küche provoziert. Ein Teller Spaghetti mit einer unauffälligen Gemüsesauce, nur dass eben hier und dort ein etwas matschig gekochtes Insekt darauf herumlag und so aussah, als wäre es gerade von hinter dem Kühlschrank dorthin gesprungen. Die Freundin beugte sich tief über die Nudeln und begutachtete die ungewöhnliche Kost. Keine Frage - das waren ordnungsgemäße Insekten. Mit Fühlern, sechs Beinchen, Abdomen, die weiblichen Grillen mit Legestachel, die Männchen mit Flügeldecken. Alles dran. Sie führte vorsichtig die Gabel in Richtung eines besonders prallen Gliederfüßers und piekste vorsichtig an dessen Hinterleib. Das Tier schien zuverlässig tot zu sein. Dann drückte sie beherzt mit der Gabel zu. Das ohnehin eher wabbelige Insekt platzte sofort auf, sein Inneres, eine grauweißliche, zäh-breiige Masse, quoll zwischen den Zinken der Gabel hervor, während das kleine Köpfchen nur noch über einen bräunlichen Strang mit dem Matsch verbunden nach oben kippte und die Freundin mit seinen Facettenaugen vorwurfsvoll anblickte.
Nun geriet sie in Panik. Wie man es bei Kartoffeln macht, nur etwas schneller, zerdrückte sie mit der Gabel Nudeln, Gemüse und Wirbellose zu einer homogenen, schmutzig grauen, teigigen Masse, aus der nur noch vereinzelt kleine Beinchen herausragten. Dann die erste Geschmacksprobe. "Schmecken - matschig", verkündete sie ihr Verdikt, "nach nichts im Grunde. Einfach nur schmierig, vielleicht auch ein bisschen schleimig." Dann schob sie ihre Finger zwischen die Zähne und pulte daraus den Grillenkopf hervor: "Bis auf das da." Der Mann am Nebentisch ließ sein Gulasch zurückgehen.
Ich wandte mich meinem Teller zu. Mit dem Löffel trennte ich ein Lasagnestück ab, schob es in den Mund und kaute. Es schmeckte vollkommen normal, wie Lasagne eben. Nudeln, Käse, Tomatensauce mit irgendwas drin, das ich auch problemlos als Bolognese hätte durchgehen lassen. Na also, sind doch gar nicht so übel, die Würmchen. Waren da überhaupt welche drin? Beherzt drückte ich ein wenig oben drauf - und plötzlich quoll ein ganzes Heer von Würmern aus den Zwischenräumen der Schichtnudeln hervor und ergoss sich auf den Teller. Der Herr am Nachbartisch quiekte laut auf. Ich schluckte. Das war optisch ohne jede Frage eine gewisse Herausforderung. Die Tierchen waren noch ganz gut in Schuss; schwer zu sagen, ob sie nur vom Druck beschleunigt wurden oder sich doch noch oder wieder selbstständig bewegten. Ich nahm einen einzelnen Wurm mit den Fingern auf -nein, der schien tot zu sein. Oder er war jetzt in Schreckstarre gefallen. Egal. Ich biss zu. Solo schmeckte er etwas nussig. Hätten sie die Dinger vorher in den Mixer geworfen, hätte man sie aber problemlos als Hackfleisch durchgehen lassen können. Ein dunkler Gedanke überkam mich. Was genau braten eigentlich all diese China-Imbisse da immer, so billig, wie sie das Zeug anbieten? Aber was solls. Insekten sollen ja gesund sein, ich wies darauf eingangs schon hin.
Seit jenem Abend betrachte ich die Silberfischchen, Fliegen und dicken Spinnen in meiner Wohnung mit ganz anderen Augen. Und sie mich vermutlich auch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Die Regierungskrise der Ampel
Schnelle Neuwahlen sind besser für alle
Auflösung der Ampel-Regierung
Drängel-Merz
Israelische Fans angegriffen
Gewalt in Amsterdam
+++ Nach dem Ende der Ampel +++
Habeck hat Bock
Angriffe auf israelische Fans
Sie dachten, sie führen zum Fußball
Elon Musk, Jeff Bezos & Co.
Trump-Wahl macht reichste Menschen noch reicher