piwik no script img

Greenpeace-Chef über Frankreichs Atomausstieg"Es wird noch zwei Jahrzehnte dauern"

Die Grande Nation hat in den letzten Jahrzehnten praktisch keine Fortschritte beim Ausbauen der erneuerbaren Energien gemacht, kritisiert Generaldirektor Pascal Husting von Greenpeace Frankreich.

Selbst in Frankreich gibt es Proteste gegen die Energieversorgung durch AKWs. Bild: ap
Rudolf Balmer
Interview von Rudolf Balmer

taz: Greenpeace Frankreich tritt für einen schrittweisen Ausstieg aus der Atomkraft ein - warum nicht für einen sofortigen? Ist die Ausgangslage anders als in Deutschland?

Pascal Husting: Ja leider. Wir befinden uns hier in Frankreich in der speziellen Situation, dass fast 85 Prozent der Elektrizität aus Atommeilern kommt. Und dass Frankreich in den letzten Jahrzehnten überhaupt keine Fortschritte beim Ausbau der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz erzielt hat. Diese nukleare Realität muss man in Betracht ziehen, wenn man realistische Forderungen hinsichtlich des Ausstiegs aus der Atomkraft stellen will.

Ist dieser Realismus nicht eher eine Form von Fatalismus?

Überhaupt nicht! Wir sind für den schnellstmöglichen Ausstieg. Das betrifft in erster Linie die älteren Reaktoren, die seit 30 Jahren laufen. Sie müssen vom Netz genommen und durch ein ehrgeiziges Programm des Ausbaus erneuerbarer Energien und der Verbesserung der Energieeffizienz ersetzt werden. Greenpeace Frankreich ist darum nicht mit der gegenwärtig diskutierten Laufzeitverlängerung solcher Reaktoren wie in Tricastin, Dompierre und Fessenheim von 30 auf 60 Jahre einverstanden. Sie müssen stillgelegt werden. Mit einem progressiven Atomausstieg meinen wir also, dass jeder Reaktor am Ende der Laufzeit vom Netz genommen werden muss. Das ist möglich. Da aber der Anteil der Kernenergie in Frankreich so hoch ist, wird sich dieser Ausstieg über längere Zeit, mindestens über zwei Jahrzehnte erstrecken.

Frankreich könnte sich dann bis 2030 von der heutigen Abhängigkeit von Atomenergie befreien?

Dieser Termin wird auch in verschiedenen Energieszenarien wie "Negawatt" genannt. Wir haben ihn übernommen, weil wir ihn für ambitioniert und realistisch halten. Voraussetzung ist allerdings die Schaffung eines völlig neuen Systems der Energieversorgung. Es bedeutet auch, dass der französische Staat auf seine geradezu kriminelle Atomdiplomatie verzichtet, die darin besteht, der restlichen Welt sein atomares Auslaufmodell aufdrängen zu wollen.

Und speziell den Verzicht auf Bau und Export des Druckwasserreaktors EPR?

Das bedeutet vor allem einen Verzicht auf den EPR! Es ist schon ein großes Programm, die bisherigen Atomanlagen stillzulegen. Erst recht gilt es zu verhindern, dass die Atomindustrie ihre Renaissance über einen sehr teuren und gefährlichen Reaktor wie den EPR verwirklichen kann.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!