piwik no script img

Debatte KlimaschutzVergesst Kopenhagen!

Peter Unfried
Kommentar von Peter Unfried

Die Fixierung auf die Politik ist falsch. Wichtiger wäre es, gesellschaftliche Blockaden in Sachen Klimaschutz zu lösen. Zeit für eine Umwelt-Avantgarde!

D ie Klimakonferenz in Kopenhagen naht, die Zahl der besorgten Berichte nimmt zu. Am Ende wird die Entrüstung groß sein. Gemein! Die Politiker haben uns wieder nicht gerettet.

Selbstverständlich würde mehr internationale Zusammenarbeit im Klimaschutz helfen, besonders beim Schutz der Wälder. Ob es in den nächsten Jahren jedoch Fortschritte gibt, hängt davon ab, ob es westlichen Gesellschaften gelingt, die entsprechenden Technologien und Märkte voranzubringen und einen neuen, klimafreundlicheren Lebensstil zu zelebrieren. Die gute Nachricht ist: Die deutsche Gesellschaft hat alle Voraussetzungen, zu dieser Avantgarde zu gehören. Wir finden Klimaschutz recht wichtig, haben finanzielle Spielräume und große wirtschaftliche Potenziale.

Doch warum sind auch wir so zögerlich, wenn es drauf ankommt? Weil die deutsche Gesellschaft ihre Ausreden immer noch auf höchstem Niveau pflegt. Zum Teil ist das eher eine kulturelle als eine ökonomische Blockade, die Ausreden sind fadenscheinig: Wir können ja gar nicht alle plötzlich Kleinwagen kaufen! Wir können unsere Häuser gar nicht ruckzuck dämmen! Und wir können nicht auf den Bau von Kohlekraftwerken verzichten!

Die Gebrüder Unfried

Martin Unfried, 43, ist Autor der taz-Kolumne "Ökosex" und arbeitet als Dozent am European Institute of Public Administration in Maastricht im Bereich der EU-Umwelt- und Klimapolitik.

Peter Unfried, 46, ist Chefreporter der taz. Er spricht am Donnerstag, den 26.11.2009, beim utopia-Kongress in Berlin über die neue Umweltbewegung.

Warum eigentlich nicht? Heute ist auch eine 95-prozentige Minderung bis 2050 technisch und ökonomisch keine Utopie mehr, wie die jüngste Studie des WWF "Modell Deutschland" zeigt. Aber was muss sich tun, damit eine Regierung ehrgeizige Klimaschutzmaßnahmen auch politisch überlebt? Dafür braucht es nichts weniger als eine kulturelle Revolution.

Es gibt einen Trend zu grüner Rhetorik, auch ein Teil der Verbraucher tickt ökologisch. Aber bisher gibt es im gesellschaftlichen Mainstream keine deutlichen Signale für konsequenten Klimaschutz. Im Gegenteil: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat dem ADAC vor der Wahl versprochen, es werde mit ihr kein Tempolimit und keine ehrgeizigeren CO2-Standards bei Autos geben. Mit Blick auf die Wähler war diese Entscheidung richtig: Eine unglaubwürdige Klimapolitik hat bisher keiner Partei geschadet. Daher war auch die absurde Abwrackprämie politisch durchaus rational. Darum wird es Zeit, sich professionell damit zu beschäftigen, was mit dieser Gesellschaft los ist. Besonders Umweltverbände müssen sich neben der Politik auch die Ausredengesellschaft vorknöpfen.

Wir schlagen ein gesellschaftliches Kopenhagen-Aktionsprogramm vor mit vier Punkten, um die progressiven Strömungen der Gesellschaft mit frischen Ideen zu unterstützen.

Grün scheint in zu sein, jedenfalls wenn man oberflächlich den Werbebotschaften glaubt. In Wahrheit werben einzelne Industriezweige immer noch mit Milliardenaufwand für Spritvergeudungsgefühle, schmutzigen Kohlestrom und einen verschwenderischen Lebensstil. Es fehlt im Kampf um Deutungshoheit eine Klimaschutzeinrichtung, die sich jenseits der rationalen Argumente um emotionale Fragen kümmert. Die Agentur für Klimakultur sollte aus der Gesellschaft heraus mit Spendengeldern gegründet werden. Die Anzettelung einer spektakulären Massenkündigung bei kohlelastigen Stromkonzernen wäre beispielsweise das erste große Projekt. Gerade die bescheidenen Stromwechselkampagnen haben bisher gezeigt, dass die Umweltverbände im Kampf um Verbraucherherzen unbedingt Unterstützung brauchen.

Diskussionen über persönlichen Klimaschutz bleiben häufig recht oberflächlich, sogar bei Umweltaktivisten. Dabei brauchen wir eine gesellschaftliche Avantgarde, die in ihrem Privatleben professionell vorangeht. Wir schlagen als Kommunikationsinstrument den "50-Prozent-Club" vor: 50 Prozent weniger CO2 beim privaten Strom, bei der Heizung und beim Autoverkehr mit klarer Angabe des Zieljahrs. Dabei ist dieser Club keine neue Organisation, sondern ein Label. Wer privat ernst machen will, ist dabei. Kein komplexes Gerede über Tonnen von CO2, sondern Sprit, Strom und Wärme als einfache Indikatoren. Vorteil: Wir müssen endlich absolute Zahlen nennen und deshalb Dinge tun und kommunizieren, die wirklich etwas bringen. Ob das Lebensstilveränderungen sind, der Kauf von Effizienztechnologien oder der Umstieg vom Kunden zum Energieproduzenten, bleibt jedem selbst überlassen. Hauptsache, weg vom unsäglichen Energiesparlampen-Smalltalk.

Gesellschaftliches Tempolimit

Die emotionalen Totalblockaden finden sich in Deutschland immer noch im Verkehrsbereich. Unser Vorschlag: Die Umweltverbände verkünden ein gesellschaftliches Tempolimit. Dazu brauchen wir die Politik nicht. Warum nicht schwarz-rot-goldene "Tempo-120"-Aufkleber drucken und versuchen, Millionen Autofahrer zu gewinnen? Mal sehen, wer sich auf der linken Spur provoziert fühlt. Wird die Politik dagegen sein? Der ADAC? Dazu eine Kampagne für Neuwagenkäufer: kein Auto über 110g/km CO2. Auch hier brauchen wir keine Bundesregierung, um einen Standard zu setzen. Aber klare und ehrgeizige Ansagen, die Teile der Gesellschaft offensiv vertreten.

Die Klima-Autobahn

Bisher fehlt dem Klimaschutz ein nationales Großprojekt. Deshalb ist das von Hermann Scheer vorgeschlagene Konzept eines "Leuchtturms" so wichtig: die Energieallee A 7 an der längsten deutschen Nord-Süd-Autobahn mit mehr als 1.200 Windmühlen. Diese Idee hat eine kulturelle und emotionale Komponente. Die Umdeutung der Autobahn zur Energieautobahn geht in Sachen Verspargelungsdiskussion in die Offensive. Die A 7 wird so zum kulturellen Klimaschutzprojekt mit internationaler Ausstrahlung. Und, besonders wichtig für die Entwicklung und Pflege von Klimaschutzgefühlen: In den Landkreisen an der A 7 können spektakuläre Erlebniswelten des Klimaschutzes entstehen.

Also: Vergessen wir Kopenhagen. Knöpfen wir uns die Ausredengesellschaft vor. Der Kampf um den Mainstream hat gerade erst begonnen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

4 Kommentare

 / 
  • HH
    Helmut Hagemann

    50-Prozent-Club - ja, bitte! Das Dilemma: mindestens dreißig Prozent habe ich schon erreicht. Das wird auch anderen Öko-Avantgardisten so gehen. Weitere Solarmodule passen aber nicht aufs Dach, Ökostrom beziehen wir schon lange, alte Elektrogeräte gibt's nicht mehr im Haus. Jetzt nochmal 50% runter, das täte richtig weh: Kühl- und Gefrierschrank und Spülmaschine müssten raus, auch der Fernseher und PC, das "Kindertaxi" müsste auch weg. Ich freue mich auf eine Einladung in den Club - wenn mir die bisherigen Verdienste, auf die ich so stolz bin, angerechnet werden.

  • HH
    Hans Hirschel

    Im schwarzgelben Koalitionsmanifest steht, dass sich die Bundesregierung in Europa weiterhin gegen CO2 Steuern einsetzen und dafür, dass die besonders energiereichen Branchen keine Emissionsrechte erwerben müssen?

     

    Ach, nicht so wichtig:

     

    "Die Fixierung auf die Politik ist falsch. Wichtiger wäre es, gesellschaftliche Blockaden in Sachen Klimaschutz zu lösen."

     

    Na toll!

     

    Das 2 Grad Ziel wird wohl nicht erreicht. Macht nichts, denn es reicht sowieso nicht. Selbst das von den besonders verwundbaren Ländern geforderte 1,5 Grad Ziel scheint illusiorisch - denn erste Rückkoppungseffekte sind bereits in Gange. Und die Meere und Wälder verlieren grad die Fähigkeit, das CO2 zu absorbieren, was eh alle Redukltionsszenarien durcheinander bringt.

     

    Was also soll noch die Fixierung politische Maßnahmen und Grenzwerte? Rein ins Vergnügen! Wir wollen Spaß! Wir zelebrieren einfach einen klimafreundlich Lebensstil! Nehmen eine umweltfreundliche Haltung an. Energiefreundlich konsumieren spart eine Menge Geld. So viel, dass womöglich sogar ein klimaneutraler Extraflug in den Weihnachtsurlaub unter Palmen drin sein müsste. Und wir machen geile Aktionen mit denen wir den Anteil klimafreundlicher Frühstücksgewohnheiten von 2 auf 4 Prozent verdoppeln. Und setzten auf "westliche Gesellschaften" denen es gelingen soll "die entsprechenden Technologien voranzubringen".

     

    Na dann zelebriert man schön. Wenns denn der Warensinnsfindung dient.

     

    Gruß hh

  • AO
    Andreas Oetker-Kast

    Wahrlich es ist Zeit für eine Umwelt-Avantgarde. Dann aber bitte nicht bei Ökostrom und Verzicht auf manche Autostrecke stehenbleiben. Klimaschutz fängt mit der Ernährung an und endet leider auch all zu oft mit dem Steak auf dem eigenen Teller. Land- und Tierwirtschaft sind echte Klimakiller, nicht zu vergessen, dass die "Produktion" einer Kalorie Fleisch im Vergleich zu einer Kalorie Getreide ein Vielfaches an Wasser und Energie verbraucht. Deshalb, wenn schon Avantgarde, dann bitte richtig, d.h. vegetarisch. Oder wenn der Fleischgenuss gar zu unverzichtbar sein sollte, dann bitte Bio. Unsere Erde wird es uns danken - von den Tieren mal ganz abgesehen.

  • J
    Johannes111

    Tempolimitforderungen nicht mehr zeitgemäß!

     

    Dank des technischen Fortschritts gibt es heute die Möglichkeit Geschwindigkeiten flexibel zu gestalten. Ein generelles Tempolimit halte ich daher für nicht mehr zeitgemäß. Das kann man moderner lösen. Oftmals sind die Strecken frei, warum dann nur 120 oder 130 km/h? Besser sind flexible Schilderbrücken bzw. Verkehrsbeeinflussungsanlagen, die je nach Verkehrslage die erlaubte Geschwindigkeit auf einen akzeptablen Wert verändern, also einem Wert, der vom Autofahrer auch nachvollziehbar ist. Starre Tempolimits auf Blechschildern, die weder die Verkehrsdichte noch den Straßenzustand oder die Witterungsverhältnisse berücksichtigen, sollten nach und nach durch moderne Technik ersetzt werden, denn je nach Verkehrslage angezeigte Limits bringen mehr Sicherheit. Auf stark befahrenen Strecken, oder dort wo es gefährlicher ist, sind ohnehin schon Tempolimits eingerichtet. Nicht zu vergessen ist die durch Geschwindigkeitsbegrenzungen zunehmende Gefahr der Verkehrsverlagerung. Wenn es sich aufgrund von Tempolimits nicht mehr lohnt, die Autobahn zu benutzen, wird es nicht wenige Kraftfahrer geben, die dann lieber den kürzesten und direkten Weg zum Ziel wählen, sprich über Wohn- u. Landstraßen zum Zielort fahren, was im Übrigen mit den heutigen Navigationsgeräten selbst für Ortsfremde problemlos möglich ist, und zunehmender Verkehr auf Wohn- u. Landstraßen erhöht nicht gerade die Verkehrssicherheit, erfreut die Anwohner oder hilft der Umwelt. Besonders sichere Schnellstraßen wie Autobahnen sollten daher attraktiv gehalten werden, da sie so Fahrzeuge „anziehen“ und somit aus den Wohngebieten raus bzw. von der Landstraße größtenteils fernhalten. Zudem kann man in verschiedenen Quellen immer wieder nachlesen, dass die CO2 Einsparungen bei lediglich einem halben Prozent liegen würden. Bedenken sollte man im Falle eines Tempolimits auch die Unterforderung vieler Kraftfahrer, besonders aus der Gruppe der Vielfahrer, die zudem bei weiteren Strecken auch noch erheblich mehr Fahrzeit als bisher aufbringen müssten. Ein starres monotones Tempolimit auf einer gut ausgebauten geraden Autobahn lässt Fahrer auch schon mal eher am Lenkrad einnicken. Auch wird oft argumentiert, dass es ja in anderen EU Staaten auch Tempolimits gibt, doch kann man die Autobahnen hierzulande nicht unbedingt mit denen im Ausland gleichsetzen. Dort findet man zum Teil Autobahnen, die eher einer etwas besser ausgebauten Landstraße ähneln. Es gibt u. a. entsprechende Unterschiede der Fahrbahnbreite.

     

    Automobile wurden in den letzten Jahrzehnten immer sicherer, leiserer und sauberer. An Stellen, wo es gefährlich ist, gibt es bereits Tempolimits. Verkehrssicherheit und Umweltschutz fallen als Gründe für ein Limit weg.

     

    Fazit: Die Einführung einer Geschwindigkeitsbegrenzung ist weder aus Gründen der Verkehrssicherheit noch des Umweltschutzes nötig, würde aber die bereits erwähnten Nachteile mit sich bringen. Verkehrsbeeinflussungsanlagen bringen der Sicherheit und Umwelt mehr!