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Aktivisten kritisieren RegierungsarbeitAttac versalzt die Suppe

Die Bundesregierung hat nach Ansicht des globalisierungskritischen Netzwerks Attac bei der Krisenbewältigung versagt. Trotzdem fällt es den Aktivisten schwer, die Menschen zu mobilisieren.

In einem Tribunal sollen Banker u.a. wegen Aushöhlung der Demokratie symbolisch angeklagt werden. Bild: archiv/ap

BERLIN taz | Es wird ein schwieriges Jahr. Nicht nur, dass sich nach Einschätzung von Attac die Weltwirtschaftskrise und ihre sozialen Folgen 2010 weiter zuspitzen werden. Auch was die Kampagnen des globalisierungskritischen Netzwerks selbst betrifft. "Krisenjahre sind häufig sehr undankbare Jahre", sagte Jutta Sundermann vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis. Deswegen wage sie keine Prognose, ob es 2010 Massenproteste geben wird.

Eins jedoch steht für sie dennoch fest: Noch deutlicher als zuvor müssten die Verantwortlichen der Krise zur Rechenschaft gezogen werden. Weil Politik und Justiz dies nicht in die Hand nähmen, müsse Attac dies tun. "Dieser Prozess ist überfällig", sagte Sundermann.

Um dieses Anliegen zu bekräftigen, haben mehrere Globalisierungskritiker von Attac am Montag vor dem Brandenburger Tor in Berlin mit einem übergroßen Suppenkessel gegen die Krisenpolitik der Bundesregierung demonstriert. Als Politiker und Wirtschaftsvertreter verkleidete Aktivisten warfen Zutaten in den Topf "für eine unbekömmliche Krisensuppe", darunter Steuernachlässe für Wohlhabende, Sozialkürzungen, Geschenke an Banken und Klimalügen. "Wir werden 2010 erleben, wie die Umverteilung zu Lasten der Ärmsten voranschreitet", sagte Attac-Kokreis-Mitglied Alexis Passadakis. "Politik und Wirtschaft werden von ,Sachzwängen der Krise' sprechen, um von Begünstigung ihrer Klientel abzulenken."

Er rechnet deswegen mit einer steigenden Arbeitslosigkeit und einem weiteren massiven Abbau der sozialen Sicherungssysteme. Auf den Finanzmärkten würden seiner Ansicht nach zudem mit billigem Geld, aber ohne die notwendigen Regulierungen bereits neue Spekulationsblasen geschaffen und damit die nächsten Krisen vorbereitet. Passadakis: "Ohne Druck von unten werden sich die Krisenköche nicht stoppen lassen."

Zugleich geben die Attac-Aktivisten zu, dass ihnen die Mobilisierung zu großen Krisenprotesten derzeit schwerfällt. Obwohl die Wut über das "Ancien Régime" bei vielen groß sei und viele der derzeitigen Politik keinen Glauben mehr schenken, sind Massenproteste auch für Passadakis bislang nicht absehbar. Gründe dafür sieht er darin, dass Folgen der Krise "sehr segmentiert" und "Solidaritätsreserven" sehr prekär sind. Es brauche aber nur einen Auslöser, der die Menschen dann doch sehr schnell auf die Straße bringen könnte.

Damit kommt Passadakis zu einer ähnlichen Einschätzung wie der Soziologe Ulrich Beck. Vom Katholizismus bis zu den Linken gebe es mittlerweile den Konsens, dass der Kapitalismus eine menschenverachtende Dimension angenommen hat, hatte er vergangene Woche auf "Zeit online" gesagt. In einem solchen Klima könnten kleine Konflikte schnell eine große Bedeutung erlangen.

Attac, das in diesem Jahr seinen zehnten Geburtstag feiern wird, plant unter anderem in Berlin für April ein öffentliches Bankentribunal. Ziel des Verfahrens sei es, die Finanzkrise und die von der Bundesregierung betriebenen Bankenrettungspläne kritisch zu durchleuchten, kündigte Sundermann an. Auf der Anklagebank sollen Bankmanager, Politiker, Aufsichtsräte sowie Rating-Agenturen sitzen. Die drei Anklagepunkte lauten: Aushöhlung der Demokratie, Zerstörung von Lebensgrundlagen und Vorbereitung der nächsten Krise.

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5 Kommentare

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  • R
    reblek

    "Zugleich geben die Attac-Aktivisten zu, dass ihnen die Mobilisierung zu großen Krisenprotesten derzeit schwerfällt."

     

    Warum sollte Attac etwas "zugeben" müssen? Ist Attac dafür verantwortlich oder gar schuldig, dass die Damen und Herren Deutsche gemütlich im Sessel sitzen, während es mächtig kracht?

  • T
    TheSelf

    Das die da oben nicht einschätzen können was auf sie zukommen könnte ist ehr unwahrscheinlich, wahrscheinlicher ist, das wir nicht einschätzen können was auf uns zu kommt.

     

    Nach der Ratifizierung des Lissabonvertrags. kann jedes Mitgliedsland der EU andere Staaten um hilfe bitten, z.B: Bei Kriesen, Umweltkatastrophen, Aufständen, usw.

     

    Es gibt dort anscheinend auch einen Punkt, wo es um eine EU-Armee geht. Die dann natürlich auch innerhalb Europas einsetzbar wäre.

     

    Naja, es werden so oder so nette Zeiten, glaub ich.

  • N
    noevil

    Je verbitterter die sozial Benachteiligten von den so offensichtlichen und immer dreisteren Ungerechtigkeiten sein werden, desto erbitterter wird irgendwann ihr Aufstand sein. Die dafür verantwortlichen Regierenden sind anscheinend nicht in der Lage, die sich abzeichnenden Konsequenzen ihres derzeitigen Handelns abzusehen. Wenn das Vertrauen in eine ordentlich regierte Republik einmal endgültig zerbrochen ist, dann helfen keine Gesetze mehr, die theoretische Gerechtigkeit beinhalten. Wer baut dann noch die Dämme - wie in der Finanzkrise - die den sich weg Duckenden erlauben, danach wieder wie gehabt weiter zu machen?

     

    Attac hat zur Zeit eher die Funktion eines zu kleinen Ventils. In öffentlichen Diskussionen lassen sich Attac-Vertreter meist viel zu willig von denen frech über den Mund fahren, die verhindern wollen, dass einige unbequeme Wahrheiten ausgesprochen werden. Ich habe schon so manchen anderen Diskussions-Teilnehmer erlebt, der sich nicht beirren ließ, sondern die unterbrochenen Sätze so oft vollständig wiederholt hat, bis er damit gehört werden konnte.

     

    Dafür sind heute von Attac viel zu Viele viel zu höflich und schweigen sofort, sobald man ihnen rüpelhaft über den Mund fährt. Heutzutage schaut der Diskussionspartner nicht mehr, wo seine Grenzen zu sein haben, sondern testet aus, wie weit der Andere es zulässt, auf die Füsse getreten zu werden. Aber mit deutlicheren Grenzziehungen würden sie sich mehr Gehör - und etwas mehr Respekt - verschaffen..

  • H
    hto

    Das Problem mit Attac ist, daß diese aufgrund der scheinbar unabstreifbar gebildeten Suppenkaspermentalität noch immer an das Gute (Kapitalismus-Light) im System des "freiheitlichen" Wettbewerbs von Ausbeutung und Unterdrückung glauben wollen, obwohl die Globalisierung der "Dienstleistungsgesellschaft" auch ohne Tititainment längst überholt ist, vom Klimawandel, der nur durch gleichbleibende Dummheit zur Katastrophe wird.

  • C
    claudia

    Die Wohlstandsprotestler gehen eben nur bei vollem Kühlschrank, warmer Wohnung und ausreichend Unterstützung von Mami und Papi vor die Tür, am besten noch wenn der Staat den Rest bezahlt. Von daher ist das doch normal Frau Sundermann: "Krisenjahre sind häufig sehr undankbare Jahre", sagte Jutta Sundermann.