Ein Jahr Obama: Ein Präsident unserer Zeit

Was konnte Barack Obama als US-Präsident tatsächlich tun? Wie viel "Change" hat er bewirkt, wie viel "Hope" ist noch übrig? Eine Bilanz.

Barack Obama zeigt, wie wenig institutionelle Politik heute noch bewirkt – und wo dennoch ihre Möglichkeiten liegen. Bild: reuters

Schon Bewerber um die US-Präsidentschaft schaffen es, die ganze Welt in Atem zu halten wie John F. Kennedy, Ronald Reagan und Bill Clinton, oder abzustoßen wie Richard Nixon und George W. Bush. Präsidentschaftswahlen, deren Ausgang doch denkbar provinziellen Faktoren unterliegt, sind globale Medienereignisse, die Amtsinhaber bleiben Superstars oder Hassfiguren bis in den hintersten Winkel des Globus. Das hängt mit der Machtfülle der Vereinigten Staaten zusammen und mit dem (eventuell fehlenden) Charisma der Anwärter und Amtsinhaber im Weißen Haus, die ihrer Nation und seit Beginn des 20. Jahrhunderts der Welt immer wieder Neues und fundamentale Besserung versprechen. Theodore Roosevelt sah in den USA die "neue Nation", Woodrow Wilson versprach "neue Freiheit", Franklin D. Roosevelt machte den New Deal, John F. Kennedy verlegte die "neue Grenze" Amerikas in den Weltraum und George Bush sen. rief die "neue Weltordnung" aus. Und sie waren damit jeweils relativ erfolgreich.

Barack Obama hat den Amerikanern einen fundamentalen Bruch mit seinen Vorgängern annonciert und der Welt eine Kehrtwende in der Außenpolitik, seine Präsidentschaft deklarierte er als "transformativ". Dafür hat er eine Mehrheit bekommen, auch deswegen haben Europäer solche Hoffnungen in ihn gesetzt. Denn politische Eliten andernorts enttäuschen mit der grässlichen Mittelmäßigkeit ihres Personals, ihrer Programme und ihrer Praxis, und die Hoffnung auf Besserung lässt sich nirgendwohin so gut projizieren wie auf die amerikanische Weltleinwand.

Auch Bill Clinton war unter dem Zeichen von "History & Hope", von historischer Größe und Zukunftsmission angetreten. Und obwohl sich das Weiße Haus vom Watergate-Skandal über die Lewinsky-Affäre bis zur Texas-Clique um Bush jr. immer wieder als - pardon - Sauladen entpuppt hat, hielt der Mythos des "Personal President", wie Theodor Lowi die Kunstfigur des alle Welt beglückenden (oder eben ins Unglück stürzenden) Präsidenten genannt hat. Der US-Präsident verkörpert die Weltregierung, die wir nicht haben möchten.

59, Politikwissenschaftler und in den neunziger Jahren an der New York University tätig. Damals erschienen "America first? Der Fall einer konservativen Revolution" (1997) und "Amerikas Welt - Die USA in unseren Köpfen" (2000). Zuletzt veröffentlichte er mit Harald Welzer "Das Ende der Welt, wie wir sie kannten".

Der dramatische Absturz von Barack Obamas persönlicher Beliebtheit in den Umfragen zum ersten Jahr und seine offensichtlichen Schwierigkeiten auf nationalem und internationalem Parkett müssen niemanden wirklich wundern - gerade weil er einige Versprechen eingehalten hat. Nicht hoch genug anzurechnen ist ihm, dass er sich von Tendenzen zur imperialen Kriegspräsidentschaft gelöst hat, die in der Bush-Ära durchaus zu spüren waren. Ebenso anzuerkennen ist, dass er die ungute Polarisierung zwischen Republikanern und Demokraten durch "bipartisanship" zu überwinden sucht und sich als Moderator einer oft bis zur Hysterie zerstrittenen Nation anbietet.

Das machte ihn von vornherein zu einem Präsidenten der Mitte. Nun aber zeigt sich, dass die gesellschaftlich-politische Mitte zu schwach ist, um nach einer fulminanten Kampagne die Mühen der Ebenen ebenso bravourös zu bewältigen. Obama muss eben jenes kompromisslerische Durchwurschteln praktizieren, das er an Bill Clinton bemängelte und zu überwinden versprach, das jeden egalitären Politikentwurf im Inneren korrumpiert und den Ausgleich auf der internationalen Bühne so schwierig macht. Der Moderator Obama hat es in der öffentlichen Meinung, im Kongress und in internationalen Organisationen mit viel zu vielen Extremisten zu tun, die nur an einem interessiert sind: seinem Scheitern, und die führungslosen Republikaner haben sich in eine Partei fundamentalistischer Neinsager verwandelt.

Die Panikmache, die eine ohnehin schon verwässerte (aber immer noch beachtliche!) Gesundheitsreform ausgelöst hat, lässt am Geisteszustand der Obama-Gegner zweifeln. Man muss aber auch um die Klarsicht einiger linker Gefolgsleute bangen, die in dieser Lage an Maximalforderungen festhalten. Auch Obamas Versuch, die Versäumnisse eines verschenkten Jahrzehnts in der US-Klimapolitik auszubügeln, zerschellte an einem verantwortungslosen Trupp von Klimaskeptikern und (nicht nur republikanischen) Abgeordneten der Bundesstaaten mit Kohle- und Automobilindustrie. Dennoch: Obama hat mehr für die Kehrtwende in der Energie- und Verkehrspolitik getan, als womöglich auch ein Al Gore geschafft hätte.

International hat Obama die größten Probleme. Da gebricht es seiner Außenpolitik schlicht an harter Militär- wie sanfter Kulturmacht, und das heißt: an der Durchsetzungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit der US-Hegemonie, die endgültig perdu sein dürfte. So hilflos der Präsident angesichts desaströser Geheimdienste wirkt, so peinlich vorgeführt wird er auch von Netanjahu und Ahmadinedschad, von Kim Jong Il und Ussama Bin Laden. Amerika ist noch im Irak und engagiert sich mehr in Afghanistan; aber es hat nicht mehr die Kraft zur Weltordnungsmacht, gleich ob sie wohltätig wirkt wie nach 1945 oder eher maliziös wie nach 2001.

Doch niemand sonst wird die niedergehende Supermacht beerben und an Obamas Stelle eine personale Weltpräsidentschaft einrichten. "Unser Hunger nach präsidialer Intervention, Führung und Rettung übersteigt heute die Fähigkeit von jedem Amtsinhaber", konstatiert der Zeithistoriker David Greenberg und folgert daraus, das Zerschellen unserer Allmachtsfantasien über Obamas Präsidentschaft müsse keineswegs schon deren reales Ende bedeuten - "im Gegenteil markiert sie ihren wahren Beginn". Es ist also auch an den Obama-Adepten hier zu Lande, sich von allzu kindlichen Erwartungen zu befreien.

Eine große Transformation, die in ihrer Tiefe der industriellen Revolution gleichkommt, ist jedoch fällig. Das Weltfinanzsystem steuert auf einen noch größeren Crash zu, und Barack Obamas Initiativen sind diesbezüglich zaghaft und erratisch. Er prangert die "fat cats" an der Wall Street an, kann aber nicht verhindern, dass sie sich Rekordboni genehmigen, vielleicht liegt die durchgreifende Regulation der Finanzmärkte ja in der Schublade. Die Klimakrise erfordert neben Klimaschutzmaßnahmen, die Obama per Verordnung eingeleitet hat, eine tiefe Mentalitäts- und Verhaltenszäsur im American Way of life. Da wird zum Problem, dass US-Präsidenten ihre Politiken stets inneramerikanisch entwickelt haben, selbst wenn sie beim Völkerbund und den Vereinten Nationen, beim Kampf gegen den Hunger, beim Ausgriff in den Weltraum und beim Krieg gegen den Terror global dachten und agierten.

Die große Transformation wird kein Hegemon alleine anstoßen können. Sie wird von verantwortungsbewussten Präsidenten wie Obama im Konzert mit anderen, darunter nicht demokratisch legitimierten Führungen im Rahmen einer multipolaren Welt und einer polyzentrischen Weltregierung zu entwickeln sein, also etwa im Rahmen der Gruppe der 20, was die Weltfinanzarchitektur anlangt, und im Rahmen des Copenhagen Accord größerer und kleinerer Mächte für einen letzten Versuch im Klimaschutz. Realistisch ist, wer hier nicht auf Masterpläne setzt, gerade weil er History & Hope im Blick hat.

Die größte Enttäuschung für viele war des Friedensnobelpreisträgers Minimalismus in Kopenhagen, den er daheim - ähnlich wie sein chinesischer Amtskollege - als Erfolg verkaufen konnte. Von beiden Großmächten (und Hauptverursachern von Kohlenstoffemissionen) ist in ihrer konsumistischen Kurzsichtigkeit auch im Tandem wenig zu erwarten. Dennoch sind wir Europäer, von denen in Kopenhagen kaum etwas zu hören war, auf deren Technologie-Partnerschaft angewiesen.

Woran der US-Präsident leidet (und die Welt notgedrungen mit ihm), ist der Amerikazentrismus - die merkwürdige Fixierung auf Petitessen der Innenpolitik und auf die schmächtigen Ambitionen von Joe und Jean Sixpack, den Normalverbrauchern in Kansas oder Ohio, die Sarah Palin klasse finden. Barack Obama konzentriert sich - seine Ansprache zur "Lage der Nation" am kommenden Mittwoch wird es zeigen - wieder auf die "Brot-und-Butter-Angelegenheiten", also auf die Jobs daheim und die innere Sicherheit. Das kann nicht sein: Während Amerikas Militärmacht darniederliegt, sein Verhandlungsgewicht und seine Reputation dramatisch schwinden, sollen diese medial in den letzten Winkel des Globus transportierten Sorgen und Nöte der Vorstädter die Matrix menschlicher Möglichkeiten bleiben? Nur ein Präsident, der "zu viel", jedenfalls mehr von ihnen verlangt, kann noch realistisch Politik machen.

Barack Obama, im Auftreten wie in der Rhetorik das Gegenteil von Angela Merkel, demonstriert unterm Strich genau wie die Bundeskanzlerin, wie wenig institutionelle Politik überhaupt noch ausrichten kann - und wo gleichwohl Spielräume und Möglichkeiten liegen. Nur wenn sich unsere politische Leidenschaft von messianischen Projektionsflächen emanzipieren kann, sind wir auf der Höhe der Zeit mit unseren Repräsentanten.

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