die wahrheit: Feindbild Furz
Kürzlich bedankte sich eine Leserin bei mir "für die Entdeckung des Wortes ,Fleischfurz" in einem meiner Texte. ...
... Eine etwas zweifelhafte Ehre, da der gemeine Furz in meinem OEuvre eher verpönt ist. Mir graut es beispielsweise jeden Morgen davor, die Ressortpost zu öffnen, da erfahrungsgemäß die meisten unverlangt eingesandten Manuskripte von "Darmwinden" oder Verwandtem handeln. Nichts gegen einen fröhlichen lutherischen Furz, aber unverlangt einsendende Autoren glauben alle das Gleiche: Die Wahrheit liegt als letzte Seite ganz hinten und beschäftigt sich deshalb mit dem, was hinten herauskommt. Dass Humor mehr mit Hirn und Verstand als mit Darm und Verdauung zu tun hat, begreifen nur die wenigsten. 99 Prozent aller koprophilen Geschichten werden abgelehnt und unbeantwortet der Mülltonne übergeben.
Das Schlimmste an den Furziaden aber ist nicht einmal das Thema, sondern die gouvernantenhafte Wortwahl, wenn von "Blähungen" und "Darmwinden" die Rede ist, weil verdrückte Autoren meinen, es wäre komisch, die Sprache zu heben, sobald man ins dunkle Reich des Darms hinabsteigt. So entsteht allenfalls Höhere-Töchter-Prosa, und die ist gar nicht witzig.
Dass auch brutale Direktheit nicht unbedingt lustig ist, führte einmal der Fantasy-Schriftsteller Jörg Schröder vor, der gern von untergegangenen Reichen der Literatur fabuliert und sich als Hauptfigur in Handlungen hineinmogelt, von denen er nicht den Hauch einer Ahnung hat. Eines Tages musste ich als Unhold einer seiner schröden Erzählungen herhalten, was in der Beschimpfung gipfelte: "Herr Ringel, Sie sind full of shit." Eindeutig ein Plagiat der berühmten Beleidigung des Bundestagspäsidenten durch Joseph Fischer: "Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch."
Eine antiquierte Höflichkeitsfloskel trifft auf ein gewöhnliches Schimpfwort, wodurch eine Fallhöhe und ein Witz entsteht. Bei Schröder allerdings bleibt stilistisch alles flach, eine Höhe kann sich nicht entwickeln, da einer alltäglichen Anrede nur etwas angehängt wird, was wie coole Jugend- oder Underground-Sprache klingen soll. Das ist lediglich bemüht. Gutes Beleidigen ist eben eine Kunst.
Wie man es besser macht, zeigte einst ausgerechnet mein völlig humorfreier Deutschlehrer, dessen unbeschreiblich langweiliger Unterricht einem das Schmalz in den Ohren eintrocknen ließ. Aus purem Übermut ließ ich eines Tages mitten in der Stunde lautstark einen fahren. Entsetzt hielten meine Mitschüler den Atem an, während der Herr Doktor todesmutig den Dunstkreis betrat und tapfer meine Marke einsog, um dann angewidert festzustellen: "Ringel, Sie verwesen innerlich!"
Offenbar hat meine persönliche Note schon immer extreme Reaktionen provoziert, pappten doch bereits meine Geschwister einst ein gelb-rotes Warnschild an die Tür meines Zimmers: "Atomfurz, nein danke!"
Fehlt nur noch mein Lieblingsschimpfwort und der Platz, es zu würdigen. Somit bleibt meinen Kritikern die Schilderung ihrer wahren Größe erspart, diesen Furzknoten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!