piwik no script img

StadtteileDie gespaltene Stadt

Bremen präsentiert sich selbst wenig urban. Es regiert die "Kirchturmpolitik", sagt der Stadt-Soziologe Lutz Liffers - er fordert mehr Vernetzung und Austausch.

Für viele liegen die USA hier näher als Gröpelingen, sagt der Stadt-Soziologe Lutz Liffers Bild: Archiv

Bremen ist keine Stadt und auch kein "Dorf mit Straßenbahn", wie es oft etwas hämisch heißt. Sondern eine Ansammlung von Dörfern. Diesen Eindruck musste gewinnen, wer am Freitag im Speicher XI der Vorstellung der 22 Stadtteile durch KommunalpolitikerInnen beiwohnte. Auf Einladung des Bausenators und der Senatskanzlei hatten die Beiräte in einer Ausstellung das Charakteristische ihres Stadtteils zusammengetragen; vorgestellt wurden die Ergebnisse dann in jeweils einer Minute von jemand aus einem anderen Stadtteil.

Dabei fielen immer wieder die gleichen Stichpunkte: "Viel Grün", "Erholungsgebiet", "Parks", "Weserufer", auch "dörfliche Strukturen" und "Landwirtschaft". Wenn Probleme benannt wurden, dann vor allem solche, die von Autos und autoaffiner Stadtplanung verursacht werden: Durchgangsverkehr, Lärm, Autobahnen, die Hochstraße, verstopfte Straßen.

Von einem "urbanen" Bremen, wie es das vom rot-grünen Senat im Mai 2009 beschlossene neue Leitbild beschreibt, sei die Stadt noch weit entfernt, analysierte treffend der Bremer Stadt-Soziologe Lutz Liffers. Urbanität hieße, die Stadt als Ganzes zu betrachten und ihre Probleme gemeinsam anzugehen - anstatt in den Stadtteilen "Kirchturmpolitik" zu betreiben, sagte Liffers und erntete dafür von den zahlreich erschienenen KirchturmpolitikerInnen einen seltenen Zwischenapplaus. Als Problem benannte Liffers dabei die "sozial gespaltene Stadt": "Das ist die größte Herausforderung für alle Beiräte." Doch die würden sich bisher, so seine Beobachtung, vor allem um ihre eigenen Sorgen kümmern, anstatt sich untereinander zu vernetzen und gemeinsam gegenüber der Stadt Forderungen zu stellen.

Dem widersprach der Leiter des Ortsamtes Schwachhausen/Vahr, Werner Mühl. Er erinnerte an den jahrelangen gemeinsamen Kampf der Beiräte Schwachhausen, Mitte und östliche Vorstadt gegen den Ausbau der Schwachhauser Heerstraße. "Und der Beirat Schwachhausen hat kürzlich dem Beirat Vahr 10.000 Euro für Kinder und Jugendliche rübergeschoben, weil der Bedarf dort größer ist."

Doch Liffers ging es um wesentlich mehr. "Viele merken einfach nicht, wie sehr wir uns voneinander entfernen", sagte Liffers. "Wenn wir so weitermachen wie bisher, dann haben wir irgendwann auch Gated Communities" - also wohlhabende Wohnviertel, die sich vom Rest der Stadt mit einem Zaun abschirmen. "Es gibt doch schon viele Jugendliche, für die liegen die USA oder Australien näher als Gröpelingen." Eltern würden ihre Kinder zum Austauschjahr nach Übersee schicken, aber hätten Angst, mit ihnen den Bremer Westen zu besuchen.

"Natürlich kann der Beirat Borgfeld nicht die Probleme Gröpelingens lösen", sagte Liffers. Aber man könne gemeinsam für eine andere Bildungspolitik kämpfen. "Schulen sind der beste Weg, damit ein Austausch stattfindet und die Milieus sich mischen." Doch bisher sei es so, dass bildungsorientierte Schichten die entsprechenden Stadtteile verließen, um die Kinder auf Schulen in den "besseren Vierteln" schicken zu können. Entgegenwirken könne man dem, indem man die Schulen in den "Problemvierteln" exzellent ausstatte und die sechsjährige Grundschule einführe.

Bezeichnend an der Veranstaltung war, dass keine MigrantInnen dabei waren, obwohl von diesen häufig die Rede war. Meistens im Zusammenhang mit dem Wort "Problem".

Die Ergebnisse des gesamten Projekts will der Senat bei der Aufstellung eines neuen Flächennutzungsplans für die Stadt benutzen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!