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GuantanamoDeutschland immer noch stur

Seit Obama wurden 48 Männer freigelassen, 15 von ihnen nach Europa, und führen ein normales Leben. Menschenrechtler fordern, dass auch Deutschland Häftlinge aufnimmt.

Aktion von Menschenrechtsaktivisten vor dem Weißen Haus. Bild: ap

Acht Staaten der Europäischen Union und die Schweiz haben bereits aus humanitären Gründen ehemalige Häftlinge aus dem US-Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba aufgenommen. Deutschland solle es ihnen gleichtun, forderten am Freitag in Berlin Vertreter von internationalen Menschenrechtsorganisationen.

"Aufnahmebereite Länder haben Zugang zu allen Informationen, die die US-Regierung in vielen Jahren über die Männer gesammelt haben", erklärte Sophie Weller, Anwältin beim Center for Constitutional Rights. Die Schweiz etwa habe eine Delegation geschickt, sich einen Häftling ausgesucht und nun zugesagt, zwei weitere zu nehmen. "Wir reden hier über Männer, die seit Jahren jeden Morgen aus dem einzigen Grund in Guantánamo aufwachen, dass sie keinen anderen Ort haben, an den sie gehen können." Die Männer seien wie Flüchtlinge zu sehen, die aus humanitären Gründen Schutz benötigten.

Von den 192 Gefangenen, die jetzt noch auf Guantánamo sitzen, soll laut Amnesty International die Hälfte entlassen werden, weil sie als unschuldig gelten. 45 von ihnen können jedoch nicht in ihre Heimatländer - etwa Syrien, Libyen, Tunesien, Russland oder China -, weil ihnen dort Verfolgung droht.

Zachary Katznelson, der 40 Guantánamo-Gefangene vertreten hat, erklärte, US-Präsident Barack Obama könne Guantánamo nicht schließen, wenn Europa nicht helfe. Die Stimmung in den USA sei derart vergiftet, dass der US-Kongress "die Tür zugeschlagen hat". Die deutsche Debatte darüber, ob die Bundesrepublik Obama unterstützen solle, blieb im Wahlkampf des vergangenen Jahres einfach stehen. Auf EU-Ebene hatte sich keine einheitliche Linie finden lassen, sodass Staaten wie Portugal und Italien ausscherten und zwei oder drei Häftlinge nahmen. Der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) lehnte mehrere ihm vorgeschlagene Gefangene ab, weil sich belastendes - unüberprüftes - Material gegen sie auffinden ließ.

Die seither unveränderte Linie des Innenministeriums, das sich darin mit dem Außenministerium berät, geht aus der Antwort auf die Anfrage des Grünen-Abgeordneten Christian Ströbele vom 4. Februar hervor: Die Verantwortung für die Insassen liege "in erster Linie" bei Heimatstaaten, "in zweiter Linie" bei den USA. "Die Bundesregierung ist nach wie vor bereit, eine mögliche Aufnahme von Guantánamo-Häftlingen anhand dieser Kriterien zu prüfen", schreibt Innenstaatssekretär Klaus-Dieter Fritsche. Zu einem möglichen Einfluss des neuen Koalitionspartners FDP sagte Julia Duchrow von Amnesty International: "Die FDP sucht noch nach einer Position."

Anfang des Jahres stellte sich heraus, dass der verhinderte Attentäter von Detroit im Jemen Kontakt mit einem Ex-Guantánamo-Häftling hatte, der ein wichtiger Kopf von al-Qaida im Jemen sein soll. Aus dem US-Verteidigungsministerium wurde die Information gestreut, dass ein Fünftel, also über 100 Exhäftlinge, nach Freilassung terroristisch aktiv geworden seien.

US-Anwalt Katznelson sagte dazu, die Zahlen seien grob verzerrt. Es müsse außerdem unterschieden werden zwischen den Männern, die noch unter Präsident George W. Bush entlassen wurden, und denen, die seither entlassen wurden. Die Bush-Behörden hätten überhaupt nicht kooperiert. So seien willkürliche und falsche Entscheidungen begünstigt worden. "Jetzt tauschen die Behörden die Informationen aus. Sie kommen zu dem Schluss: In 106 Fällen sind die Männer nicht die Bedrohung, für die man sie gehalten hat." Seit Obamas Amtsantritt seien 48 Männer entlassen worden, 15 davon ihnen nach Europa. Keiner sei auffällig geworden.

Der Brite Moazzam Begg, der von 2002 bis 2005 in US-Lagern in Afghanistan sowie in Guantánamo saß und heute in Birmingham lebt, sagte: "Ob die Männer in den Kampf zurückgehen, hängt auch davon ab, in welche Umgebung sie kommen. Alle, die nach Europa konnten, führen heute ein normales Leben." Begg berichtete vom Versöhnungsprozess, den Exhäftlinge in Europa mit Exwärtern begonnen hätten. "Ich hoffe, dass Deutschland an diesem Prozess teilhaben wird."

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5 Kommentare

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  • DS
    das Selbst

    Amis haben es verbockt und biegens wieder grade. So einfach ist das. Die Zeit in der man die Schuld auf Deutschland oder andere abwältzt muss endlich vorbei sein.

  • S
    Stefan

    Zu diesem Thema hätte sehr gut gepasst, dass Amnesty International ihre Kampagne gegen Guantanamo auf Moazzam Begg aufbaut, dem Terror-Netzwerker in GB schlechthin.

    Könnten wir den nicht nach Deutschland holen? Wir haben noch nicht genug Al-Quaida-Agitatoren hier. Die sollen sogar ganz nett sein, wenn ,am sie in Ruhe "arbeiten" lässt.

  • K
    Kramski

    Wenn die USA als Täter ihre unschuldigen Opfer nicht aufnehmen-wieso Deutschland? Aus Vasallengefolgschaft? Wo ist da ein Skandal oder Sturheit, bitteschön?

    Das 'Tätervolk', hier die USA, ist an der Reihe.

  • U
    UweRietmöller

    Haftbedingungen in Guantanamo:

    .

    Bericht 1

    Diese Zellen seien sehr klein, ohne Licht und ohne Möblierung, mit nichts als einem kleinen Loch in der Mitte für das Urinieren und den Stuhlgang. Sie sind oft mit Ratten, Mäusen und Kakerlaken verseucht. Die Gefangenen dürfen in der Regel keinerlei Kleidung tragen und haben keine Liegegelegenheit.

    .

    Bericht 2

    Am 22. März dieses Jahres schrie ein 31jähriger Gefangener ... nach ärztlicher Hilfe, weil er seit einer Woche schwere Bauchschmerzen hatte. Statt ihm ärztlich zu helfen, wurde der Gefangene in eine Strafzelle verbracht. Ein für das "Umerziehungsprogramm" [verantwortlicher Offizier] befahl, daß zwei der dafür ausgebildeten Hunde des Gefangenenlagers in die Zelle gejagt wurden, um den Gefangenen zu attackieren.

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    Bericht 3

    Am 30. März wurde ... [ein] ... Gefangener ... Opfer brutalen Schlagens durch [einen Offizier], der dem Gefangenen mit einer Eisenstange auf beide Beine schlug, bis er in bewußtslos in einer Blutlache lag. Dies geschah in einer Strafzelle in Teil TO-500. ... Die [Zeugen sagten aus]: "Wir konnten aus der Entfernung bei jedem Schlag seine Knochen knirschen hören. Dann wurde er in diesem See von Blut wie eine Puppe aus Lumpen liegengelassen".

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    Bericht 4

    Ich war ein ganzes Jahr lang krank. Das Essen war manchmal verdorben, und das Wasser war schlammig und braun. Zweimal bekam ich Parasiten. Ich sagte dann der Ärztin: "Schauen sie, das Essen ist schlecht und manchmal verdorben. Das Wasser ist verunreinigt; wir dürften es nicht trinken." Darauf sagte sie: "Dafür bin ich nicht zuständig. Ich bin erst zuständig, wenn Sie krank werden." (...) Die Gefangenen werden so verstört, daß sie zur Selbstverstümmelung greifen. Ich sah, wie zwei Leute aus Plastiktüten eine heiße Masse schmolzen und ihre Hände dort hineinsteckten. Sie verloren ihre Hände, die amputiert wurden, und sie wurden aus medizinischen Gründen begnadigt. Andere fügen sich Stiche zu; schlucken Draht, kleine Löffel; nehmen Substanzen ein, die ihr Verdauungssystem schädigen. Kurzum, es ist eine Welt des Schreckens.

    .

    Bericht 5

    Anfang letzten Monats wurde ich unbekleidet zwei Tage lang mit Handschellen an die Zellentür gefesselt und erhielt in dieser Zeit keine Nahrung. Mir wurde angedroht, des Verbrechens der "Respektlosigkeit" angeklagt zu werden, weil ich mich gegen die physischen und psychologischen Mißhandlungen gewandt hätte, die an uns begangen werden. Ich litt eine Woche lang unter schweren Blutungen und erhielt keine medizinische Versorgung. Die vergangenen 19 Tage habe ich auf einem Holzbrett geschlafen, weil sie die Matratze aus meiner Zelle genommen haben.

    .

    Diese Berichte stammen von Häftlingen des Gefangenenlagers Guantánamo. Es wird von der cubanischen Regierung betrieben und beherbergt Kriminelle und politische Gefangene. Die politischen Gefangenen sitzen dort wegen Delikten wie versuchter Flucht aus Cuba und oppositionellen Äußerungen. Keiner von ihnen hat an einem bewaffneten Kampf teilgenommen.

    Und, liebe taz, wann kommt der Aufruf, diese Menschen hier aufzunehmen?

    Verstehe. Wir praktizieren positive Diskriminierung, warum also sollten die kubanischen Genossen nicht positiv foltern?

  • G
    grifter

    Obama ist mit seiner Guantanamo-Strategie gescheitert.

    In den USA kann er die "unschuldigen" Terroristen nicht

    unterbringen. Deutschland sollte bei seiner klaren

    Haltung bleiben und keine Häftlinge aufnehmen. Es ist

    nicht die Aufgabe Europas,diese Leute zu resozialisie-

    ren. Das schaffen wir ja nicht mal mit den Straftätern

    im eigenen Land. Wer nicht in sein Heimatland zurück

    möchte, der muß eben in Haft bleiben.