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SchulreformEinig gegen Scheuerl

Hamburgs Bürgerschaftsparteien stehen unmittelbar vor einem Kompromiss über Primarschule und Elternwahlrecht.

Jetzt macht die SPD auch mit: Wird die Schulreform nun doch noch versetzt? Bild: dpa [M]

Die Worte waren karg, die Gesten eindeutig. Nach ihrem ersten Gespräch über eine Schulreform, mit der alle Bürgerschaftsparteien gemeinsam in den im kommenden Sommer anstehenden Volksentscheid ziehen, verbreiteten die Verhandlungspartner von CDU, SPD und GAL unisono Optimismus. Zwar hatten sie zuvor strengstes Stillschweigen über den Inhalt der Gespräche vereinbart, doch Satzfetzen wie "Durchbruch" und "ordentliches Ergebnis beim Elternwahlrecht" machten nach der nur anderthalb Stunden dauernden Sitzung die Runde. Und die Verhandlungsführer der Koalition, Wolfgang Beuß (CDU) und Jens Kerstan (GAL) machten mit gezielten Seitenhieben klar, wie konstruktiv die Gespräche mit der SPD seien, im Gegensatz zum ergebnislosen Verhandlungsmarathon mit der Volksinitiative "Wir wollen lernen" und ihrem Frontmann Walter Scheuerl.

Einigungswillen auf allen Seiten also. Während die Sozialdemokraten auf die von ihnen einst bekämpfte sechsjährige Primarschule einschwenkten, fordern sie ein praktikables und sozial gerechtes Elternwahlrecht und zumindest die teilweise Wiedereinführung der Lernmittelfreiheit. Die Befürchtungen von GAL-Fraktionschef Jens Kerstan, die SPD wolle "noch einmal Verhandlungen über die ganze Struktur der Schulreform", erfüllten sich damit nicht.

"Einen parteiübergreifender Konsens, der die Mehrheit der Hamburger überzeugt", strebt SPD-Verhandlungsführer Olaf Scholz nun an. Dafür erhält er moralische Unterstützung durch eine am Mittwoch veröffentlichte repräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag des Stern: Danach wünscht sich mehr als die Hälfte der Deutschen (53 Prozent), dass die Kinder an den Schulen zunächst sechs Jahre gemeinsam lernen und erst danach auf weiterführende Schulen gehen. 35 Prozent der Befragten halten einen Wechsel nach der vierten Klasse für besser, zwölf Prozent sind unentschieden.

CDU, SPD und GAL wollen am kommenden Dienstag um die Mittagszeit erneut zusammenfinden, gleich anschließend will Schwarz-Grün die Linkspartei ins Boot holen. Deren Fraktions-Chefin Dora Heyenn hatte schon im Vorfeld klar gemacht, dass sie ein parteiübergreifendes Bündnis nicht an Kleinigkeiten scheitern lassen werde. Als einzige Partei ist damit die FDP auf der Seite der Schulreformgegner, der sie schon ihre Stellschilder für ihre Kampagne lieh. Am heutigen Donnerstag wollen die Liberalen auf ihrem Parteitag die uneingeschränkte Unterstützung der Volksinitiative beschließen.

Die hat mittlerweile ein bei Youtube eingestelltes Video aus dem Netz genommen, auf dem die Primarschule als Horrorszenario in Szene gesetzt wurde: Eltern und ihre Kinder mimten darin verzweifelte Lehrer und Schüler im Zeitalter der Schulreform. Der Propaganda-Film war jedoch nach NDR-Informationen offenbar ohne Erlaubnis auf dem Gelände der Grundschule Turmweg gedreht worden. Der Initiative droht nun Ärger.

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6 Kommentare

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  • M
    Michael

    Schön, dass das Parlament sich demnächst offenbar einigt. Gut auch, dass die Gewerkschaften dabei sind. Aber machen wir uns nichts vor: Mit einem 'Denkmal für Christa' ist es nicht getan; um einen Volksentscheid gegen Geld, Macht, Standesdünkel und den größeren Teil der Hamburger Presse zu gewinnen, ist noch viel Arbeit nötig; z.B. bei PROschulreform.de.

  • W
    Wilhelmsburger

    So so: (fast) alle politischen Parteien verschwören sich also gegen die Bürger, die sie vertreten sollen.

     

    Das hat schon beim Volksbegehren "für mehr Demokratie" nicht funktioniert. Der Bürger lässt sich nicht für dumm verkaufen.

     

    Olaf Scholz sollte weise sein und sich da heraushalten. Und auch die CDU-Basis sollte gegen ihre Vorturner aufmucken.

     

    Die Bildungsbürger werden den Volksentscheid gewinnen - denn die Bildungsfernen haben Bildungsfragen nie interessiert.

  • M
    Meck

    Die Umfrage, die im Text genannt wird, bezieht sich auf eine Beteiligung von 1000 Bürgern, verteilt über die gesamte Bundesrepublik!

    Natürlich mag es verwerflich sein, dass die Initiative WWL einen "Clip" in einer öffentlichen Schule gedreht und veröffentlicht hat.

    Aber wir reden hier über eine Bürgerinitiative, veröffentlichte Meinungen und Äußerungen spiegeln Bürgermeinungen wider. Wenn es jetzt schon verwerflich ist, als Bürger öffentlich seine Meinung kundzutun...

    Ich finde es wesentlich Verwerflicher und demokratisch unvereinbar mit unserer Verfassung, wenn die Leitungen von 95 Hamburger Schulen in einer ehemaligen Erklärung sich hinter den Reformvorhaben stellen. Wir haben nicht ohne Grund eine Gewaltenteilung in Deutschland. Die Verteilung der Staatsgewalt auf mehrere Staatsorgane. Die Schulen sind zum politischen Mittelpunkt des Handelns des Hamburger Senats geworden.

    Hier geht es schon lange nicht mehr um eine Diskussion von Bürger zu Bürger und Meinungsaustausch, sondern der Streitpunkt liegt zw. dem Staat und den Bürgern.

    Wenn die politische Neutralität der Schulen nicht gewährleistet ist, müssen die Kinder staatliche Schulen verlassen. Es kann nicht sein, dass Kinder schulpolitisch indoktrinert werden.

  • SW
    Susanne Wegner

    Die Hamburger Parteien - und allen voran Ole von Beust - beweisen mal wieder, dass wir nicht in einer Demokratie, sondern einer Parteiendiktatur leben.

     

    Was nicht passt, wird auf Teufel komm raus, passend gemacht.

     

    Mich wundert, dass die CDU noch Mitglieder hat. Wenn eine Partei so gegen ihre eigene Wählschaft Politik macht, dann muss sie sich nicht wundern wenn ein Ergebnis < 20% rauskommt. Mehr wirds nicht, dank an OvB...der ja dann evtl. für die Linken als Spitzenkandidat antreten könnte.

     

    Mittlerweile gibts doch viele Bürger, die erkennen, wie sie von Politikern und Parteien betrogen werden.

  • P
    Peter

    Gibt es eigentlich schon einen geeigneten Platz, an dem das Denkmal für Christa Goetsch aufgestellt wird? Ich würde den Grasbrook vorschlagen.

  • M
    Mikka

    Es ist schön, dass die Schulreform eine breite Unterstützung und Rückendeckung erhält. Die "Volksinitiative" 'Wir wollen lernen' hat mit Verängstigungen und Sinnentstellungen eine üble Kampagne geführt und Stimmen gesammelt. Viele Beweggründe zu unterschreiben stimmten nicht mit dem eigentlichen Ziel der Initiative überein, nämlich der Zementierung des selektiven Schulsystems. Der wahrhaftige Titel der Initiative sollte nach Degenhardt lauten: "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern...". Die nun sich abzeichnende gemeinsame Linie aller in der Hamburger Bürgerschaft vertretenen Parteien spiegelt das Bild der Hamburger wider: ja, die Hamburger wollen lernen - und zwar länger gemeinsam. Sie wollen Primarschulen und sie wollen 'Chancen für alle' - so heisst auch die Dachvereinigung der vielen Initiativen, die die Reform unterstützen. Nicht nur auf politischer Ebene hat die Reform nun eine breite Basis, auch unter den Bürgerinnen und Bürgern Hamburgs schon seit langem.