Ausstellung über Behindertensport: Anlauf nehmen für die Paralympics

Keiner der 20 deutschen Athleten bei den Spielen in Vancouver kommt aus Berlin. Doch Interesse an Wintersport besteht auch hier, wie eine Ausstellung zeigt.

Einbeiniger Skifahrer bei den Paralympics 2010 in Vancouver Bild: dpa

Das Gebäude fällt auf. Die Hauptstadtrepräsentanz der Medizintechnikfirma Otto Bock hat ihren Platz gegenüber dem Potsdamer Platz gefunden. Und wer in die dritte Etage geht, der hat von hier einen schönen Blick bis zum Reichstag. Doch jetzt, zu den 10. Winter-Paralympics in Vancouver, sollen die Besucher möglichst lange im Erdgeschoss verweilen. Hier ist die Sonderausstellung "Entdecke, was uns bewegt" untergebracht. "Sie möchte Einblicke in die Geschichte der Paralympischen Spiele geben", erklärt Alexandra Grossmann, wissenschaftliche Koordinatorin des Hauses.

Das Berliner Unternehmen Otto Bock, weltweit bekannt für seine Prothesen, ist eng mit der Historie dieses Sportereignisses verbunden. Auf einem der sechs Themensegel, die die Ausstellung im Foyer zieren, erklärt der unterschenkelamputierte Topathlet Heinrich Popow: "Durch den Sport fühle ich mich auch in meinem Alltagsleben nicht behindert." Dass er den Hochleistungssport so erfolgreich ausüben kann, hat etwas mit seiner Hightech-Karbonprothese zu tun. Dass die aus dem Haus des 1919 in in Kreuzberg gegründeten Unternehmens Otto Bock stammt, bedarf kaum der Erwähnung.

Die X. Winter-Paralympics vom 12. bis 21. März in Kanada sind die größten der Geschichte. In Vancouver und Whistler gehen 507 Athleten aus 44 Ländern an den Start, unter ihnen 20 Deutsche. 64 Wettbewerbe stehen an.

Mit 75 Jahren ältester aktiver Sportler ist der Japaner Takashi Hidai, der im Rollstuhl-Curling startet. Gerade mal 15 Jahre alt ist der sehbehinderte schwedische Biathlet Zebastian Modin.

Die Wortschöpfung "Paralympics" setzt sich zusammen aus dem griechischen para für "neben" und "Olympics", dem englischen Synonym für "Olympische Spiele". Also bedeutet "Paralympics" eigentlich "Nebenspiele". Im Winter fand das Weltfestival der Behindertensportler erstmals 1976 im schwedischen Örnsköldsvik statt.

Vor allem infolge des Zweiten Weltkriegs wurde die Entwicklung und Unterstützung des Sports von Menschen mit Behinderung gefördert. Von 1947 an wurde insbesondere das Skilaufen systematisch aufgebaut. (dpa)

Gleich links neben dem Eingang steht ein riesiger Flachbildschirm. Davor sind weiße Sitzwürfel positioniert. Zeitversetzt lassen sich hier die Sportwettkämpfe aus Vancouver anschauen. Mehr als 98.000 Besucher hat das im Juni 2009 eröffnete und einer Muskelfaser nachempfundene Gebäude als Gäste empfangen, "und gerade die Ausstellung über die Paralympics kommt sehr gut an", freut sich Alexandra Grossmann.

Die Technikleistungsshow des Sports wurde am 1. März eröffnet und ist noch bis Monatsende zu sehen. Das Zentrum bildet ein Sledge-Schlitten. Den braucht man, um die Sportart Sledge-Hockey auszuüben, eine spektakuläre Form des Eishockeys, nur im Sitzen eben. "Viele Spanier und Italiener besuchen unsere Ausstellung, aber auch Berliner Bürger" haben die Organisatoren ausgemacht.

Doch warum fehlt gerade der Berliner Behindertensportverband in dieser Ausstellung? "Wir hatten großes Interesse gehabt und unsere Hilfe angeboten. Aber wir wurden nicht gefragt und auch nicht zur Eröffnung eingeladen", erklärt Klaas Brose, Geschäftsführer des Berliner Behindertensportverbandes. "Es wäre doch sinnvoll, wenn wir gerade an einem solchen Ort vertreten wären. Dann könnten wir den Besuchern sofort sagen, wo sie die hier präsentierten Sportarten ausüben können", so der Sportfunktionär. Alexandra Grossmann räumt ein, "dass unser Unternehmen im Vorfeld der Ausstellung nicht mit dem Berliner Behindertensportverband geredet hat". Dafür aber mit dem Deutschen Behindertensportverband. Der jedoch habe sich nicht so eng an das Unternehmen binden wollen, erklärt Grossmann.

Klaas Brose vom Behindertensportverband Berlin ärgert sich über die verpasste Chance. "Wir wollen doch weg von dem Image eines Sommersportverbandes", sagt der Geschäftsführer. Von den 20 in Vancouver vertretenen deutschen Sportlern stammt kein einziger aus Berlin. 176 Behindertensportvereine gibt es in der Stadt, in denen rund 23.000 Menschen Sport treiben. Doch wer Wintersport ausüben will, der muss weit reisen "Wenn wir mal eine Anfrage haben, vermitteln wir die gern weiter. Nach Bayern oder nach Thüringen", erklärt Brose.

Jetzt möchte der Berliner Behindertensportverband zwei Wintersportarten etablieren. Dass alpiner und nordischer Skisport in dieser Stadt keine Chance haben, "liegt in der Natur der Sache", schätzt Brose die klimatische wie topografische Lage Berlins wohl richtig ein. Curling und Sledge-Hockey jedoch könnten passen. Dafür benötigt man nur eine Eishalle.

Für Sledge-Hockey jedoch sind die Anforderungen an die Sportstätte komplexer als man denkt. Am Beispiel der am Glockenturm neben dem Berliner Olympiastadion geplanten Eissporthalle erläutert das Brose recht anschaulich: "Für die Planer gilt die Halle als barrierefrei. Acht Zuschauerplätze für Rollstuhlfahrer werden da gern als Beweis aufgeführt. Das ist natürlich viel zu wenig", so Brose. Denn wer Seldege-Hockey spielt und auf dem Schlitten sitzt, der springt nicht mal eben über die Bande auf das spiegelglatte Spielfeld. "Die Spieler brauchen behindertengerechte Zuwege, um mit ihrem Sitzschlitten auf und vom Eis zu kommen."

Zudem sitzen die Athleten nicht auf einer Bank, sondern "drei Etagen tiefer", wie er es ausdrückt. Deshalb müsse die Bande transparent sein, weil die Spieler sonst nichts sehen, so Brose. Diese besonderen Baumaßnahmen kosten zusätzliches Geld, und Brose ist skeptisch, "ob bei der derzeitigen Rotstiftpolitik des Senats dafür Mittel bereitgestellt werden". Seinen Optimismus will er sich dennoch nicht nehmen lassen, und er ist sich ganz sicher: "Bei den Winter-Paralympics 2018 werden erstmalig Berliner Sportler an den Start gehen".

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