Kommentar "Neon"-Medienskandal: Keine Grauzonen!
Der Fall der erfundenen Interview im Magazin "Neon" macht deutlich: Ein bisschen Schummeln gibt es nicht. Und: Seriösität und Ehrlichkeit müssen das Credo des Journalisten sein.
ber die Beweggründe von Ingo Mocek, einem freien Mitarbeiter der Zeitschrift Neon, lässt sich trefflich spekulieren. Wie kommt jemand dazu, Interviews frei zu erfinden? Keine Frage: Gerade der Druck auf freie Journalisten ist inzwischen immens. Im weltweiten Wettkampf der digitalen Medienwelt herrscht dauernder Stress. Es gibt immer weniger Geld und immer mehr Leute, die denselben Geschichten und Menschen auf der Spur sind. Noch mal nachfragen oder nachdenken: dafür geben viele Redaktionen ihren Kolleginnen und Kollegen keinen Raum mehr.
Das wichtigste Gut des Journalisten ist und bleibt seine Glaubwürdigkeit. Und die ist in diesen Zeiten in großer Gefahr. Zum einen macht die Anzeigenkrise die klassischen Verlage immer anfälliger für den Druck ihrer Kunden. Und im Medium Internet sind die Grenzen zwischen Journalisten und privaten Menschen, die sich keinen journalistischen Grundprinzipien unterwerfen wollen, ohnehin fließend und oft schwer nachzuvollziehen.
Dabei sind die Verlockungen des Netzes auch für den Profijournalisten nicht zu unterschätzen. Schnell sind Fakten, die herauszufinden keine Zeit übrig zu sein scheint, gegoogelt, markiert und in den Text kopiert. Ist das eigene Interview zu flach, weil das Management des Superstars wieder mal nur zehn Minuten Zeit für Fragen und Antworten ließ, ist die Versuchung groß, sich des weltweiten Angebots zu bedienen und den ein oder anderen Satz einzufügen.
Ines Pohl ist die Chefredakteurin der taz.
Ist das so schlimm, wenn der Star diesen Satz irgendwo anders doch wirklich gesagt hat? Ja, das ist es. Und es wird letztlich immer bedeutsamer werden, sich ganz klar von diesen Methoden zu distanzieren. An dieser Stelle hat, wer sich in eine Grauzone begibt, schon verloren. Informationen dürfen nicht gekauft werden. Quellen müssen genannt werden. Und ein klein bisschen Schummeln gibt es nicht. Wenn der seriöse Journalismus eine Zukunft haben will, gilt es, grundsätzlich zu bleiben.
Auch und gerade aufseiten der Verantwortlichen in den Medien. Denn schließlich sind es auch die Medienmacher selbst, die die Bedingungen diktieren und denen die sauber recherchierte Geschichte, das authentisch publizierte Interview oft nicht mehr sexy genug sind. Für sie muss die Schlagzeile dann noch schärfer, die Information noch zugespitzter und das Zitat noch knackiger sein, als es die Realität hergibt. Das Problem ist komplizierter als der Geltungsdrang einer einzelnen Person. Entsprechend gilt es den Fall Ingo Mocek einzuordnen.
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