Folk-Duo "First Aid Kit": Eine kleine Youtube-Sensation
Zwei Schwestern reden nicht, sie singen: First Aid Kit machen Folk, der viel älter klingt, als sie sind. Jetzt kommen sie mit ihrem Album "The Big Black & The Blue" auf Tour.
Sommer 2008, irgendwo in Südschweden. Zwei junge Mädchen in Karohemden sitzen im Wald. "Das ist für euch, Fleet Foxes", sagt die eine, die eine Akustikgitarre hält, auf Englisch. "Es ist ein kleines Geschenk von uns." Verschmitzt. Die andere lacht, ein bisschen verschämt, wie man es von Teenagern in dem Alter erwartet. Und dann legen die schwedischen Schwestern Johanna und Klara Söderberg los mit ihrem Cover von "Tiger Mountain Peasant Song", einem Song der Seattler Indie-Barock-Folk-Band Fleet Foxes.
Mit großem Ernst, fast mit Inbrunst trägt das Geschwisterduo die sich düster verzehrende Ballade vor. Sie wippen dabei mit den Oberkörpern leicht im Takt nach vorne und lassen ihre Version durch die perfekt aufeinander abgestimmten Vokalharmonien euphorisch zu den Baumwipfeln auffahren.
Beinahe zwei Jahre und fast 1,2 Millionen Views auf YouTube später sind die Söderbergs als First Aid Kit eine kleine Musiksensation, obwohl ihre Musik so gar nichts Sensationelles hat. Auf ihrem ersten Album, programmatisch "The Big Black & The Blue" betitelt, vergraben sie sich in die nostalgische Melancholie von eingängig strukturierten New-Americana-Sounds, die eher an Omaha und Nashville, an Bill Callahan, Midlake und Joanna Newsom als an schwedische Künstler wie The Knife und Robyn denken lassen. Oder gar an Enskede, einen Vorort im Süden Stockholms, wo die beiden mit ihren Eltern leben.
Als sie 12 war, berichtet Klara, habe ein Freund sie auf die Musik der US-Band Bright Eyes hingewiesen, der sie sofort und vollkommen verfallen sei. Danach wurde im Kinderzimmer selbst komponiert, mit musikalischer Unterstützung durch den Vater, der auch ihr Debütalbum mitproduziert hat und darüber hinaus als Fahrer und Tourmanager fungiert. Die Mutter gibt wertvolles Feedback. Eine klassische Ausbildung oder Gesangsunterricht kam nie ins Spiel, was einigermaßen unvorstellbar scheint, wenn man die vollen, reifen Stimmen der beiden hört.
Vielleicht liegt es ja daran, dass sie nach eigenen Aussagen ständig singen - und manchmal den ganzen Tag nicht miteinander sprechen, sondern sich gegenseitig ansingen. Mit schmetternden bis schmelzenden, manchmal sogar jodelnden, aber immer erstaunlich sicheren Stimmen und deutlich amerikanisch-englischem Zungenschlag singen die Schwestern zu Gitarre, Orgel, Perkussion, Flöte und Akkordeon über genretypische Themen, die so gar nicht zu ihrer Jugend passen wollen: über das Meer und die Berge, über Weideland und Eheringe, über fortsegelnde Matrosen und wartende Frauen im Hafen, über Männer, die die Ehemänner anderer Frauen sind, die noch dazu von ihnen Kinder erwarten.
Fans und Medien sind, wie immer, verliebt in das jugendliche Alter der beiden (sie sind 1990 und 1993 geboren), das in so putzigem wie verstörendem Kontrast zu den Songtexten zu stehen scheint; die beiden Musikerinnen sind natürlich genervt von den ständigen Unterstellungen und neugierigen Nachfragen von Journalisten. So äußern sie in Interviews mitunter fast patzig, nicht jeder Teenager wolle eben ausschließlich über Partys singen und Gleichaltrige hätten, im Gegensatz zu den "Erwachsenen", keine Probleme, ihre Liedinhalte nachzuvollziehen. Sie covern in Retrokleidung und in Summer Sessions, die im Freien aufgenommen sind, Songs von Buffy Sainte-Marie und Graham Nash und buddeln neugierig in der Tradition von Folkmusik.
Das vergessen die Alten nämlich gern: dass das, was sie sich unter Jugendlichkeit und deren Themen vorstellen, meist nur eine verwässerte Projektion von dem ist, wie sie glauben, gewesen sein zu müssen. Dabei sehnt sich niemand bekanntlich mehr danach, alt, altersweise und bedeutungsschwer zu sein, als die Jungen. Es ist also unser Problem als Erwachsene, wenn wir uns an der vermeintlichen Disparität zwischen Besungenem und Erlebtem entweder hochziehen oder stoßen.
Authentisch erlebt ist auch in Authentizitätsgenres wie Folk schließlich letztendlich nix, denn auch alte Countrysänger fahren nicht ständig zur See oder in die Hölle. First Aid Kit machen also weiter weise (alters- oder nase-, ist völlig egal) Fiktion, die live übrigens angeblich so fürchterlich erhebend sein soll, dass sogar erfahrungsgegerbte Musikknochen vor wütender Begeisterung ins Kissen beißen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Die Regierungskrise der Ampel
Schnelle Neuwahlen sind besser für alle
Angriffe auf israelische Fans
Sie dachten, sie führen zum Fußball
Bilanz der Ampel-Regierung
Das war die Ampel
Trumps Wahlsieg und Minderheiten
So wie der Rest
Israelische Fans angegriffen
Gewalt in Amsterdam
Die Grünen nach dem Ampel-Aus
Grün und gerecht?