Papierlose: Vom Eigensinn der Ausländerbehörde
Nach dem Suizid eines georgischen Flüchtlings erklärte Hamburgs Innensenator, keine Minderjährigen mehr in Abschiebehaft zu nehmen. Ein 16-jähriger Ägypter ohne Papiere saß trotzdem hinter Gittern.
Der Suizid des georgischen Abschiebehäftlings David M. im Zentralkrankenhaus des Hamburger Untersuchungsgefängnisses hat eine heftige politische Kontroverse im Umgang mit jugendlichen Flüchtlingen ausgelöst. Nachdem die Behörden zunächst davon ausgehen mussten, dass der Flüchtling 17 Jahre alt - und somit minderjährig - war, ließ Hamburgs Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) verkünden, man werde ab sofort keine minderjährigen Flüchtlinge mehr in Abschiebehaft nehmen, sofern sie nicht straffällig geworden sind. Das war am 9. März.
Nichtsdestotrotz hielt die Ausländerbehörde den 16-jährigen Mortazar Z.* über den 9. März hinaus in Haft: Erst danach wurde der Ägypter dem Kinder- und Jugendnotdienst (KJND) übergeben.
Anfang des Jahres war der Jugendliche mit einem Touristenvisum nach Italien gereist. Als das Papier abgelaufen war, machte er sich auf den Weg nach Hamburg, wo er dann am 1. März bei einer Kontrolle in einem Restaurant ohne Aufenthaltspapiere aufgegriffen und festgenommen wurde. Nach eigener Aussage hat Z. stets seinen richtigen Namen und sein Geburtsdatum angegeben, so dass diese Daten unverzüglich über die europäischen Melde- und Polizei-Datenbänke SIS und EURO-DAC nachprüfbar gewesen wären.
Trotzdem wurde Z. weder einem Vormundschaftsrichter noch dem KJND übergeben. Nach taz-Recherchen hat er nach seiner Festnahme einen Tag bei der Polizei verbracht, wo er unter zur Hilfenahme eines arabischen Dolmetschers verhört wurde. Obwohl er auch hier sein Alter mit sechszehneinhalb Jahren angab, wurde er offenbar für zwei Tage ins Untersuchungsgefängnis verbracht, in eine unbeheizte Zelle. Danach kam er ins Jugendgefängnis Hahnöfersand.
Das entspräche der Hamburger Linie, Flüchtlinge ohne Papiere immer dann sogleich in Abschiebehaft zu nehmen, um sie nach den "Dublin II"-Normen in ein anderes EU-Land abzuschieben, in dem sie zuvor einen Asylantrag gestellt haben - was für Z. allerdings nicht zutraf.
16-Jährigen für älter erklärt
Am 11. März, zwei Tage nachdem der Innensenator den Kurswechsel bekannt gegeben hatte, verlegte man Mortazar Z. in die Zentrale Aufnahmestelle der Ausländerbehörde in der Sportallee. Auch jetzt wurde nicht das Jugendamt eingeschaltet, obwohl er sich im Untersuchungsgefängnis eine krätzeähnliche Hautkrankheit zugezogen hatte, an der er bis heute leidet.
Zwar kam Z. dann offenbar ins Krankenhaus, aber das lediglich zur Alterbestimmung: ins Institut für Rechtsmedizin am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf. Dieses Institut erstellt auffallend häufig Befunde im Sinne der Ausländerbehörde: Im vergangenen Jahr etwa erklärte es von insgesamt 402 vermeintlich minderjährigen, unbegleiteten Flüchtlingen 226 "für mindestens 18 Jahre alt", so dass sie in andere Bundesländer umverteilt werden konnten.
Im Fall von Mortazar Z. ergab die ärztliche Untersuchung aber, dass er jünger war, als die Ausländerbehörde ihn eingestuft hatte - nämlich minderjährig. Dennoch: Erst am 16. März wurde der Ägypter dem KJND überstellt.
"Systemische Verstöße"
"Er hätte niemals in Haft genommen werden dürfen, sondern sofort in Obhut genommen werden müssen", sagt Z.s Anwältin Sigrid Töpfer. "Es liegen hier offensichtlich systemische Rechtsverstöße vor." Wie bereits im Fall des Suizids von David M. hat Töpfer in der Sache Z. Strafanzeigen wegen Nötigung, Freiheitsberaubung und Körperverletzung gestellt - gegen die Senatoren für Inneres und Justiz, Christoph Ahlhaus und Till Steffen (Grüne), sowie gegen die Leitungen des Untersuchungs- und des Jugendgefängnisses sowie der Ausländerunterbrigung Sportallee.
Seine Odyssee, sagt Mortazar Z. selbst, habe ihn "seelisch sehr mitgenommen": Er habe ständig Angst und Albträume. Inzwischen hat der 16-Jährige einen Asylantrag gestellt.
Aus Sicht der Hamburger Ausländerbehörde war dagegen an dem Vorgang alles in Ordnung und rechtmäßig: Mortazar Z. sei mitnichten in "Rückführungs- oder Abschiebehaft" gewesen, sagt Behördensprecher Norbert Smekal auf taz-Anfrage, sondern in Untersuchungshaft. Und die falle nunmal nicht unter die jüngste Neuregelung, sagt Smekal weiter: "Er ist dann von der Untersuchungshaft verschont worden."
Auf Z. kommt nach Angaben Smekals nun ein Prozess wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz zu. Wie die Erfahrung in vergleichbaren Fällen zeigt, dürfte dabei eine Bewährungsstrafe herauskommen - und eine solche würde nicht mal die Untersuchungshaft rechtfertigen.
*Name geändert
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