die wahrheit: Vorsicht, Äpfelschubser!

Zwischen Bayern und Baden-Württemberg muss die Grenze neu vermessen werden. Schuld ist der olle Napoleon.

Auch 189 Jahre nach seinem Tod sorgt Kaiser Napoléon Bonaparte mal wieder für gehörig Wirbel, zumindest innerhalb der EU-Verwaltung. Wegen seiner damaligen Grenzentscheidungen reitet der Amtsschimmel jetzt mal wieder ein paar Runden extra. So bekommen bald auf Drängen der EU die Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg eine neue Grenze.

Doch selbst nach einer aufwendigen Neuvermessung wird so manche Kuriosität noch lange nicht verschwinden. So gibt es Städte, in denen einige Bürger nie im Leben einen Bürgermeister wählen dürfen, es gibt Bäume, deren Früchte im Herbst zur Hälfte nach Bayern und zur anderen Hälfte nach Baden-Württemberg fallen und es gibt unterschiedliche Brennrechte für Obstler, was manchen Gartenbesitzer gehörig zur Weißglut bringt.

Napoleon hatte einst die Iller zur Grenze zwischen Baden-Württemberg und Bayern erkoren, dabei aber nicht bedacht, dass sich im Laufe der Jahrzehnte so ein Flussbett immer wieder verändert. Bis Juli soll in einem grenzüberschreitenden Verwaltungsakt der Grenzverlauf Punkt für Punkt neu festgelegt werden.

Herbert Völk vom Vermessungsamt im bayerischen Günzburg und sein württembergischer Kollege Friedhelm Wilms vom Landratsamt Alb-Donau-Kreis gleichen seit Monaten alle verfügbaren Koordinaten ab, immer wieder schicken sie Vermessungsbeamte raus an die Iller. Schließlich gibt es über 3.000 Messpunkte an der rund 90 Kilometer langen Grenze und die wollen alle abgeglichen sein. So fordert das eine Richtlinie der EU von 2007. Sie heißt "Infrastructure for Spatial Information in Europe" (INSPIRE). Was damit freilich nicht geregelt wird, sind die ganz realen Grenzerfahrungen.

Am Beispiel der Städte Illertissen (Bayern) und Dietenheim (Baden-Württemberg) lässt sich das gut verdeutlichen. So liegt der Sportplatz von Dietenheim auf bayerischer Gemarkung, ebenso einige Häuser der württembergischen Gemeinde. Die Verwaltungen, sagt der Illertissener Tiefbauamtschef Bernd Hillemeyr, haben das alles längst geregelt. So hat man sich geeinigt, wer in welchem Teil dieses "Niemandslandes" den Winterdienst übernimmt etc.

"Aber für die wenigen hundert Bewohner des außermärkischen Bereichs heißt das eben auch, dass sie niemals einen Bürgermeister wählen dürfen", erklärt der städtische Beamte aus Bayern. "Das liegt daran, dass die Bürger in dem schmalen Streifen zwischen Dietenheim und Illertissen zu keiner der beiden Städte gehören. Sie wohnen zwar hinter dem Grenzschild von Dietenheim, sind aber rein rechtlich Bayern."

Damit nicht genug. Mitten durch so manches Grundstück läuft die Landesgrenze, erklärt der Dietenheimer Bürgermeister Sigisbert Straub. Da kann es denn schon mal sein, dass im Herbst von Bäumen, die direkt an der Landesgrenze stehen, mehr Äpfel auf die württembergische als auf die bayerische Seite fallen.

Irgendwie, schmunzelt der Rathauschef, scheinen die Früchte zu wissen, dass es ein sehr unterschiedliches Brennrecht in beiden Nachbarbundesländern gibt. Aber wehe, jemand wird beim Äpfelschubsen über die Landesgrenze erwischt! Sobald die Früchte in einer Brennerei landen, wird das sogar strafrechtlich relevant.

"Stimmt, das ist schon sehr eigen", meint einer, der es wissen muss, der Schnapsbrenner Roland Feller. Keine 100 Meter von der bayerischen Grenze entfernt liegt seine Traditionsbrennerei, die schon der Großvater und der Vater betrieben haben. Und alle mussten sich jahrein, jahraus mit dem Problem der Obst-Herkunft herumschlagen. Württemberg hat nämlich ein Kleinbrennrecht, das Obstbaumbesitzern die Verarbeitung zu Schnaps zugesteht.

"Wenn der Zollbeamte eine Vorortkontrolle beim Gartenbesitzer macht und er sieht im Grundbuchauszug, dass der Garten in Bayern ist, dann kriegen wir ein richtig dickes Problem, wenn wir das Obst brennen." Und daher mussten sie jahrzehntelang immer wieder Obstanlieferer wegschicken und quasi Grenzkontrollen bei ihren Lieferanten durchführen, obwohl selbst in vielen europäischen Ländern längst die Grenzkontrollen weggefallen sind.

Der pfiffige Schwabe, der im Krankenhaus der Nachbarstadt Illertissen in Bayern geboren ist, hat sich freilich vor kurzem eine Lösung einfallen lassen, mit der auch der Zoll einverstanden ist. Das Zauberwort heißt "Verschlussbrennerei". Das ist eine teure, aber feine Destille, die komplett verplombt ist. Und in der darf Roland Feller auch nicht-württembergisches Obst brennen. Nicht so in seiner alten Brennerei nebenan, denn das ist eine Abfindungsbrennerei nach württembergischen Recht. "Hier ist bayerisches Obst streng verboten, ganz anders nebenan in der Verschlussbrennerei."

Kleiner Wermutstropfen für die Obstlieferanten von Illertissen über Füssen bis München: Wenn sie nicht aus Baden-Württemberg kommen, wirds ein paar Euro pro Liter teurer, denn Bayern erhebt höhere Steuern aufs Schnapsbrennen.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.