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Satirische Köhler-WebsiteZurücktreten mal anders

Eine satirische Horst-Köhler-Website wird zum Internetrenner – und verschwindet urplötzlich aus dem Netz.

Versteht er Spaß? Satireseite "Horst Köhler Consulting". Bild: Screenshot

Dass Horst Köhler einen beleidigten Abgang aus dem höchsten Amt des Staates gemacht hat, das ist offenbar. Aber kann ein angesäuertes Exstaatsoberhaupt so betroffen sein, dass auf seinen Amtsrücktritt ein spaßfreier Medienfeldzug folgt? Was am Tag darauf mit einer parodistischen Homepage passierte, lässt einen diese Frage stellen. Und die nach der Verfasstheit der Meinungsfreiheit im Netz.

Es ist die verstörende Geschichte einer charmanten Idee: Bereits wenige Stunden nach dem Rücktritt des Bundespräsidenten ging die auf den ersten Blick seriös wirkende Homepage horst-koehler-consulting.de online, auf der vermeintlich Horst Köhler selbst seine Beratungsdienste in der freien Wirtschaft anbot.

Auf der Seite fand sich neben dem Zitat zur Verbindung von Außenhandelspolitik und Afghanistankrieg, über das Köhler politisch gestolpert war, auch folgendes Beratungsangebot: "Mit Hilfe vielseitiger Kontakte in Politik und Wirtschaft ermutigen wir Sie, in die richtigen Bereiche zu investieren. Es geht um die Fortführung der Wirtschaft mit anderen Mitteln." Wer die Homepage besuchte, musste ihren satirischen Gehalt erkennen.

Innerhalb weniger Stunden fand die Seite massive Verbreitung im Netz, wurde laut Providerangaben bei Google zeitweise an erster Stelle gerankt und schaffte es angeblich auf bis zu 2.000 Zugriffe pro Sekunde. Noch viel besonderer: Nach nur zehn Stunden verschwand die Seite vollständig aus dem Internet. Weder unter ihrer URL noch im Google-Cache war sie zu finden.

Der Urheber der Website, der Student und Bewegungsaktivist Jean Peters, erfuhr vom Provider nicht, aus welchen rechtlichen Gründen sie nicht mehr zu finden war und wie sie selbst bei Google verschwinden konnte.

Das krisengeschüttelte Bundespräsidialamt reagierte auf Anfrage genervt. "Ich schließe aus, dass das Bundespräsidialamt oder Horst Köhler in Person auf die Sperrung der Homepage hingewirkt hat", sagte Sprecher Steffen Schulze der taz. In der Tat liegt die Frage nahe, weshalb Köhler oder auch nur einer seiner Anwälte am Folgetag seines Rücktritts nichts Besseres zu tun haben sollte, als einen witzigen Medienauftritt zu vereiteln.

Ob es von anderer staatlicher oder privater Seite ein Drängen darauf gab, die Seite gestern aktiv aus dem Cache zu entfernen, will Google nicht sagen. Auch der Provider wollte nicht mitteilen, ob das Ersuchen an den Provider zivilrechtlicher oder strafrechtlicher Natur war. Wie die Seite gestern komplett aus dem Netz verschwinden konnte, darüber kann man also nur spekulieren.

Der Rostocker Spezialist für Internetrecht, Johannes Richard, sagt: "Es ist äußerst ungewöhnlich, dass eine erfolgreiche Website mit einem offenbar satirischen Inhalt sowohl vom Provider als auch aus dem Google-Cache spontan so spurlos verschwinden kann. Das hört sich danach an, als ob es hier ein Interesse von höchster Stelle gibt." Richard beobachtet, "dass die Meinungsfreiheit, die ja ein sehr hohes Gut ist, auch im Netz zunehmend mit Füßen getreten wird. Das Internet hat mittlerweile eine Funktion, die der der klassischen Medien längst gleichkommt."

Peters, der auch eine Kolumne für die taz schreibt, hatte zuvor bereits unter dieter-lenzen.de mit dem Dieter-Lenzen-Fanclub ein satirisches Protestbündnis an der Freien Universität Berlin gegründet. Auf einem taz-Kongress Ende April hatte er über Strategien und Taktiken der Kommunikationsguerilla referiert.

Er erhielt nun vom Provider die Genehmigung, auf angeblich eigenes Risiko die Seite mit anderen Inhalten wieder online gehen zu lassen, und arbeitet derzeit mit anderen AktivistInnen und Anwälten daran, sie auch inhaltlich schnellstmöglich wieder bereitzustellen. Der taz sagte er: "Wenn ich in Deutschland Präsident gewesen wäre, hätte ich eine lebendige satirische Kultur doch als ein Zeichen ausgeprägter Demokratie empfunden. Ja ich würde meine Verunglimpfung als Respekt vor meinem Amt bezeichnen."

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20 Kommentare

 / 
  • A
    aufgepasst

    Leider sinkt das TAZ-Niveau mit dem Niveau ihrer "Journalisten" und Schreiber(linge). Statt wirklich zu recherchieren und der Wahrheit verpflichtet zu sein kann z.B. jener Herr Peters seinen kritiklos übernommenen Zitate-Müll der "Blogger" als "Satire" verkaufen. Der TAZ stände es gut zu Gesicht, Herrn Bundespräsident Köhler auch journalistisch zu rehabilitieren, statt dem Mainstream der Häme beizupflichten. Ich empfehle eine gute Hintergrund-Recherche - vielleicht diesmal ohne Beteiligung von "Rote-Kloster"-Journalisten und anderen U-Booten in der Redaktion. Sie werden dann erkennen, welche Themen Herr Köhler im Rahmen seiner Möglichkeiten als Bundespräsident tatsächlich angeschoben hat - das "letzte Wort" Köhlers, eines aufrechten Staatsmannes wird noch nachhallen, wenn die MeinungsMinderheit der Blogger&Co (und welche Interessen sich dahinter auch immer verbergen mögen) schon lange wieder Jagd auf ein neues Objekt der Zersetzung macht - und die Trägheit in den Redaktionen weiterhin unkritisch und ohne selber nachzuforschen jeden beliebige "Meinungs"-Angebot als bare Münze verkaufen.

    Schade - die TAZ sollte in sich gehen - das gilt auch für die Chefredateurin Frau Pohl, die aus einer guten journalistischen Ausbildung kommend, sich hoffentlich wieder Ihrer Wurzeln besinnt. Der Auftritt bei Beckmann war ihrer nicht würdig und hat die TAZ schlecht vertreten.

  • K
    Kaktus

    Ich weiß nicht, was Verletzung und Verunglimpfung noch mit (Meinungs-)Freiheit und Demokratie zu tun hat. Die Würde des Menschen ist unantastbar. So steht es im Grundgesetz. Wenn ich die eigene Freiheit benutze, um meinem Nächsten ins Gesicht zu spucken, und dabei noch schreie: Freiheit Freiheit! mache ich mich unglaubwürdig.

  • SB
    Sich bewerbender Arbeitsloser

    Mir gefällt die Idee der Bewerbung

    Arbeitsloser für das Amt des Bundespräsidenten.

  • JP
    jean peters

    die Seite ist seit gestern wieder online. horst-koehler-consulting.de

  • S
    Stefan

    Die Seite ist doch online. Vielleicht ein technisch bedingter Ausfall?

  • Q
    "unbekannt"

    Zu "Rücktritt Köhler" auf dem Gästebuch der Stadt

    Graz (Rathaus) - "02.06.2010, 09:52" - und dem

    "Kommentar" vom "01. Juni 2010 um 08:41" auf

    auf dem Blog "schlagloch ver:ständigung" in Kärn-

    ten über einen Soldaten der deutschen Bundeswehr

    und zum "Leserkommentar" von "Dr. Siegfried P.

    Posch (Graz)" zum Artikel "Chaos vor der Ampel"

    auf der "Tageszeitung", Berlin - "02.06.2010 06:17"

     

    In Deutschland wird ein Bundespräsident vom Volk

    nur in hohem Maß indirekt gewählt, soll aber trotz-

    dem die auffallend genau gleiche Autorität ausüben

    wie ein österreichischer Bundespräsident, der direkt

    vom Volk gewählt wird. Liegt hier nicht das auffal-

    lend genau gleiche, ganz große Rätsel vor wie im

    Johannesevangelium (in Österreich hat die "Bibel"

    eine Schulbuch-Nummer) - 7,37-52: Jesus ist er-

    folglos gegenüber den Gebildeten im Staat, über-

    zeugt aber ausgerechnet das ungebildete Volk

    durch seine Art, Sprache zu handhaben. Mit einer

    christlichen r e c h t s s t a a t l i c h e n Lehre zu argumentieren überläßt Jesus hingegen sei-

    nem übervorsichtigen, subtilen Schüler Nikodemus.

    Nun haben wir einen globalen Rechtsstaat wohl nicht

    vor dem Jahr 1700 u.Z. Durch welches Ereignis

    welches Jahres nach 1700 träte der moderne

    Rechtsstaat in der Tat in eine präzise Beziehung

    Johannesevangelium?

  • Q
    query

    Oder: Wer schlägt die Kanzlerette?

     

    Als Kandidaten stehen zur Verfügung:

     

    Roman Herzog

    Hans-Jürgen Papier

    Paul Kirchhof

    Jutta Limbach

    Winfried Hassemer

     

    Nach der Präsentation der Kandidaten wirft die Kanzlerette die Show u. verkündet trotzig, daß U.vdL Ihre Wunschkandidatin ist.

     

    Begründung: Gg. die fünf Nominierten habe sie keine Chance, da dies alles Verfassungsrechtler seien u. damit kenne sie sich halt nicht so genau aus. Aber die vdL würde ihre grundgesetzwidrigen Gesetzesvorlagen sicher ohne wirklichen Widerspruch durchwinken. Außerdem fühle sie sich von der vdL bei der nächsten BTW bedroht, da die im Hosenanzug doch die bessere Figur mache - trotz sieben Kindern.

     

    Das hätte der Raab souveräner u. cleverer gemacht!

  • P
    Pete

    also bei mir funtioniert die seite horst-koehler-consulting.de/ noch (oder wieder?).

     

    vielleicht liegt es daran, dass ich in den nierdelanden sitze.

  • NJ
    Nils Jansen

    Die Seite ist ab sofort wieder online. Wenn auch wieder arg belastet durch die vielen Zugriffe...

     

    http://horst-koehler-consulting.de

  • G
    google

    Der erste Kommentar war auch mein erster Gedanke : Selbst schuld, sich von einem deutschen Provider - WELCHEM ? BOYKOTTEURE BOYKOTTIEREN ! - abhängig zu machen. Aber meine zweiter Gedanke war, wieso zu Teufel verschwindet die Seite ausserdem aus dem Google-Cache ?! ( Und da tun die .de-Domain bzw. der D-Provider nichts zur Sache. ) Haben wir nicht langsam die Schnauze voll von den faschistoiden Google-Gewohnheiten ? Diese Leute denken doch auf allen Gebieten, sie stünden über dem Gesetz, jedenfalls da, wo das Gesetz ausnahmsweise mal individuelle Freiheitsrechte der Bürger schützt - aber kaum passt mal ( u.U. nicht mal gute, aber scheissdrauf ) Satire der Obrigkeit irgendwo auf der Welt nicht, wird gar der Cache gelöscht ?! Tja, wie man gehorcht, haben die Typen ja in China gelernt, aber dennoch sollten sie danach differenzieren, wo es für sie persönlich gefährlich werden kann, und wo noch Reste von Rechtstaatlichkeit vorhanden sind, sodass sie nicht gleich vom Geheimdienst kaltgemacht werden, wenn sie mal nicht gleich gehorchen.

     

    Ich würde so gerne sagen, Google habe bei mir ausgeschissen, aber leider ist Google Defacto-Monopolist. Gäbe es wirklich keinerlei Möglichkeit, das zu ändern ? Ich wäre bereit, monatlich 10 euro ( denn seien wir realistisch, bei 20 euro siegte dann wieder der Blick auf den Geldbeutel ) dafür zu bezahlen, um eine BESSERE Suchmaschine als Google nutzen zu können, und Millionen ( = weltweit zusammengenommen ) sehen das sicherlich genauso - gibt es dennoch keinerlei Möglichkeit ? Hat uns der Raubtierkapitalismus mithilfe seiner Polithuren also endgültig besiegt ?

  • O
    Oskar

    "Wenn ich in Deutschland Präsident gewesen wäre, hätte ich eine lebendige satirische Kultur doch als ein Zeichen ausgeprägter Demokratie empfunden. Ja ich würde meine Verunglimpfung als Respekt vor meinem Amt bezeichnen."

    Hahahaha.:D

  • F
    flattrerer

    Ja, bitte, bleibt da dran.

     

    Daß die Seite nun wieder online gehen "darf", ist ja nett, aber bei weitem nicht so interessant, wie die vorherige Seite ohne Gerichtsbeschluß, oder was man da braucht, quasi wie in China mir nichts, dir nichts verschwinden kann.

     

    (Wenn ein Stoppschild zu sehen gewesen wäre, .. naja, lassen wir das)

     

    Also, bitte recherchiert das Mal, bzw. verklagt zunächst mal den Provider. Danke.

    Hab euch auch geflattred.

  • S
    Shirai

    Ist ja wohl klar, dass das nur der Verfassungsschutz oder (bei den heutigen Befugnissen) das BKA (od. ein LKA) gewesen sein kann.

  • W
    wosindwadenn?

    Seltsame Dinge passieren derzeit in diesem Land!

     

    Aber solange es nur satirische Websiten sind, welche plötzlich verschwinden haben wir doch nichts zu befürchten oder?

     

    Ob kritische Stimmen auch bald plötzlich verschwinden werden ohne, dass jemand etwas gewusst haben will?

  • B
    Ben

    Beeindruckend, wobei ich mir nicht so ganz vorstellen kann das eine Seite schon nach ein paar Stunden von Google indexiert ist und sogar schon im Cache gespeichert ist ...

  • HV
    Herr von Neubabelsberg

    Der deutschen bürgerlichen mitte steckt der faschismus so tief und fest in den knochen, lieber Herr Kaul, daß sich Preußen um seine zukunft nicht zu sorgen braucht. Man schaue und höre sich nur den Polizeiministerpräsidenten von Brandenburg, Herrn Platzek an, einfach schauderlich der mann. Since 1933 something is rotten in the state of Germany!

     

    Wer es wagt, einem Kanzler Schröder die haare im internet einzufärben, wird symbolisch einen kopf kürzer gemacht. Handlanger gibt es ja zu genüge.

    Der gemeine volksvertreter ersäuft sich den sinn für ironie und satire lieber auf dem Münchener Oktoberfest, brüstet sich mit der länge seines pimmels statt mit der gabe seines geistes - kastrationsängste inklusive.

     

    Es sind nach wie vor skrupellose machtmenschen, primitivlinge, kulturbanausen, eindimensionale und fachidioten am werk, die sich von Titanic & Caricatura nicht beeindrucken lassen.

    Genaugenommen hat sich seit Heinrich Heine nicht viel an diesem zustand geändert, im gegenteil, die verdummung schreitet weiter voran.

     

    Wer so frontal wie Jean Peters/Dieter Lenzen gegen den methodischen und tiefenpsychologischen ernst der politischen klasse in der BRD vorgeht, bringt eine armee von parteiübergreifenden feinden gegen sich auf.

     

    Die vielzahl von charakterlich fragwürdigen und inkompetenten akteuren auf der bühne des Deutschen Bundestages läßt meines erachtens folgenden schluß zu: Hätte sich der Holocaust noch nicht ereignet, Deutschland wäre auch nach heutigen maßstäben kandidat Nr. 1 fürs organisationskomitee, soll heißen: engstirnigkeit in der kommunikation führt zu vernichtungswahn!

  • P
    pille

    Es hätte doch keine de-Domain sein müssen. Selbst schuld.

  • R
    rheinelbe

    Deutschland sucht den Superpräsi!

     

    Die Casting-Show

     

    Mit Karaoke, Sackhüpfen, Schattenboxen, Tanzen und Strippen, Catchen, Halma & Elfmeterschießen, vielen doofen Witzen und und und …

     

    Moderation: Thomas Schrottschalk

    Musik: Dieter Kohlen

     

    Die Kandidaten:

     

    Udo Lindenberg, Roland Koch, Dagobert Duck (bringt Geld mit!), Obelix (echt stark), Nina Hagen, Lena, die Köhlerin (Horst Köhlers Ehefrau), die sieben Zwerge (Ämtersplitting), irgendein Arbeitsloser (muss sich auf jeden Job bewerben), Rentner Jupp (hat viel Zeit), Silvio Berlusconi und das Deutsche Fernsehballett.

     

    Demnächst auf Satt 3

     

     

    Und danach casten wir die nächste Bundesregierung.

  • K
    Kriegsmann

    Liebe Taz,

     

    bitte bleibt da dran. Ich möchte wirklich wissen wie das ausgeht.

     

    Ach ja.. falls es mal wieder an Euch vorbeigegangen sein sollte. Dieses Wochenende tagt die Bilderberg Konferenz in Spanien und ich hätte darüber auch sehr gerne einen Bericht. Also wenn ihr noch jemanden für einen Trip nach Spanien abstellen könntet, ich wäre fan. Russia today und der Guardian haben es dieses mal geschafft Ihren Mut zusammen zu nehmen. Warum nicht die Taz als erste deutsche Zeitung!!

     

    (mal gespannt ob der hier die Zensur schafft)

  • O
    Oskar

    Zinsi- Zensar- Zensursula....