Autor John Carlin über Fußball in Südafrika: "Die Rugby-WM war wichtiger"

Nach der Rugby-WM 1995 feierten in Südafrika Schwarze und Weiße gemeinsam. Der Fußball wird keinen Identitätsstiftenden Effekt haben, glaubt Journalist und Autor John Carlin.

Die Fußball-WM wird die Menschen nicht so vereinen wie Rugby: Hier feiert Südafrika den zweiten Weltmeistertitel. Bild: dpa

taz: In "Playing The Enemy", Ihrem Buch über die Rugby-WM 1995, zitieren Sie Nelson Mandela: "Kaum etwas sonst hat eine solche Macht, Menschen miteinander zu vereinen, wie der Sport." Wird der Fußball diese Macht auch während der WM in Südafrika entfalten?

John Carlin: Nein. Jedenfalls nicht so wie 1995.

Damals gewannen die südafrikanischen Springboks überraschend den Rugby-Titel, den Schwarz und Weiß gemeinsam feierten. Ein Triumph, der heute als Geburtsstunde der Regenbogennation gesehen wird. Warum sollte sich so etwas nicht wiederholen?

Weil die politische Situation eine völlig andere ist und das Land keinen vergleichbaren historischen Augenblick erlebt. Damals war die Demokratie gerade frisch installiert, sie war noch sehr fragil. Die Zerrissenheit, für die die Apartheid verantwortlich war, war nicht einmal in Ansätzen überwunden. Heute ist die Situation eine ganz andere. Auf der Liste drängender Probleme ist das Verhältnis von Schwarz und Weiß ziemlich weit unten. Ganz oben stehen Probleme, die man auch aus anderen Ländern kennt: Armut, Kriminalität, Korruption, die Krise des öffentlichen Bildungssystems.

Mandela hat die Rugby-WM 1995 sehr bewusst eingesetzt, um eine nationale Identität zu stiften. Ist dieser Prozess abgeschlossen?

Ich finde schon. Südafrika ist zwar immer noch ein kompliziertes Land. Und wenn der ANC es nicht schafft, die Probleme des Landes zu lösen, eine gerechte Gesellschaft zu schaffen, wenn er weiter eine populistische Politik verfolgt, dann könnte es wieder gefährlich werden. Dann ist in ein paar Jahren vielleicht wieder solch ein identitätsstiftender Moment nötig.

Kann die WM positive Auswirkungen auf die aktuellen Probleme Südafrikas haben?

Die WM mag ein paar ökonomische Verbesserungen bringen, die Infrastruktur wird verbessert und vielleicht gibt es ein paar ausländische Investitionen mehr. Aber sie wird keinen größeren Effekt haben als eine WM in Mexiko oder Brasilien.

Wie wird Südafrikas Regierung die WM zu nutzen versuchen?

Vor allem zur Imageverbesserung nach außen. Man will zeigen, dass Südafrika ein freundliches und glückliches Land ist, aber vor allem auch ein effizientes Land, ein funktionierendes Land. Die Regierung wird die Gelegenheit nutzen, um zu zeigen, dass die afrikanischen Klischees nicht zutreffen.

Und nach innen?

Sollte Südafrikas Mannschaft wider alle Erwartungen gut abschneiden, wird die Regierung sich in diesem Erfolg sonnen. Das wäre ja in allen Ländern so.

Südafrikas Sportminister Arnold Stofile nannte Rugby "das Opium der Buren". Ist Fußball das Opium der Schwarzen?

Das ist Fußball ja in vielen Ländern, auch in Deutschland vermutlich. Die Trennung, die vor allem außerhalb von Südafrika gern aufgestellt wird, Rugby als Sport der Weißen und Fußball als der Sport der Schwarzen, ist aber bei weitem nicht so dramatisch: Die Schwarzen sind mehrheitlich fußballverrückt, aber das gilt auch für einen großen Teil der weißen Bevölkerung.

Da gibt es keine Unterschiede?

Wenige. Es wird ablaufen wie in anderen Ländern auch, wie in Deutschland 2006: Durch die WM werden sich auch Menschen, viele Frauen zum Beispiel, für Fußball begeistern, die bisher nicht so viel damit anfangen konnten. Und alle, Schwarze und Weiße, werden gemeinsam hoffen, dass die Südafrikaner gut abschneiden. Nicht, dass daran irgendjemand glaubt. Alle erwarten, dass die Mannschaft schon in der Vorrunde ausscheidet. Auch da sind sich Schwarz und Weiß ziemlich einig.

Und wen werden Sie anfeuern?

Spanien.

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