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MordprozessKein Mitleid, keine Reue

Gestern begann das Verfahren gegen Gero S., der seine frühere Lehrerin aus Osterholz-Scharmbeck ermordete. Ein Jahr lang habe er alles im Detail geplant, sagte der psychisch gestörte junge Mann vor Gericht.

Kerzen am Gymnasium Osterholz-Scharmbek: Trauer ja, aber keine Aufklärung. Bild: dpa

Gero S. ist einer, der Recht haben muss. Es stimme nicht, was in der Anklageschrift steht, sagte er gestern bei der Eröffnung des Prozesses gegen ihn: Er habe keine "Tötungsabsicht" gehabt, als er an jenem 18. Dezember seiner früheren Lehrerin Heike Block vor deren Bremer Wohnung auflauerte und sie mit 20 Stichen niederstach. Keine "Tötungsabsicht", sondern "Tötungsbereitschaft" sei es gewesen. Er wollte sie eigentlich erst 48 Stunden lang in ihrer Wohnung verhören. Sie habe auch keinen Widerstand geleistet, wie die Anklageschrift behauptet, sondern einem Postboten zugerufen, er solle die Polizei holen. Dann stach er zu.

Neun Seiten lang ist der Zeitplan, den er in den Wochen der Untersuchungshaft aufgeschrieben hat, jedes Wort mehrfach überprüft. Am 3. November 2008, so trägt Gero S. vor, habe er den Entschluss gefasst, seine Lehrerin zu töten - mit einer Axt, von hinten. Damals war er noch ihr Schüler im Gymnasium Osterholz-Scharmbeck. Im Dezember habe er sich dann entschieden, sie "mit einer besonderen Waffe" zu töten - "weil sie ein besonderer Mensch ist".

Ein Jahr lang hat er die Tat minutiös vorbereitet, alle möglichen Details überlegt, verworfen, die Strategie geändert. Er hat mit Video-Überwachung der Autobahnausfahrten ihren Wohnort ermittelt. Mehrfach war er auch in Hamburg, weil er die Option verfolgte, sie dort am Wohnsitz ihrer Eltern zu töten. Er hat erwogen, morgens über den Balkon in ihre Wohnung zu klettern, um einen Tag lang alles durchzustöbern und sie zu überraschen, wenn sie von der Arbeit zurückkommt. Schließlich hat er sich den Dolch mit der 17 Zentimeter langen Klinge gekauft.

Auch zur Bundeswehr, so erklärte er, sei er nach dem vorzeitigen Ende seiner Schulzeit - er wurde zum Abitur nicht zugelassen - vor allem gegangen, um die Monate bis zur Tat zu überbrücken, "da ich noch nicht fähig war, Heike zu töten". Bei der Bundeswehr lernte er in der Sanitätsausbildung, dass Stichverletzungen im Halsbereich tödlich sein können. Er hat seine frühere Lehrerin an den Wochenenden, wenn er keinen Dienst hatte, regelrecht observiert. Monate vor dem geplanten Tatzeitpunkt hatte er "mehrere tausend Fragen" für das Verhör fertig - über ihr Aussehen, ihre Lebensweise, ihre sexuellen Erlebnisse.

Schließlich entschloss er sich, dass sie "einen qualvollen Tod sterben" müsse - wegen ihres "unmoralischen Lebenswandels". Sie ging gelegentlich auf eine Sonnenbank, hatte er festgestellt, sie rauchte und trank Alkohol. Vor allem war sie nett zu anderen Schülern. Warum er keine Gesichtsmaske trug, habe ihn die Kripo gefragt. Seine Antwort: Die Möglichkeit, dass er sie nicht getötet hätte nach dem Verhör, sei hypothetisch gewesen.

"Warum musste Heike sterben?", fragte der Richter gestern. Er habe darüber viele Seiten vollgeschrieben, so kurz könne man diese Frage nicht beantworten, antwortet Gero S. Es stelle sich eher die Frage: "Warum hatte sie ein Recht, zu leben?"

Eine "schizoide Persönlichkeitsstörung" stellte der Gutachter fest, und Gero S. selbst geht davon aus, dass das zutrifft. Seitdem er in U-Haft sitze, gehe es ihm deutlich besser, sagt er.

Aus ihrem Bioethik-Unterricht habe er die Argumente für einen Selbstmord bekommen, hatte der Schüler der Lehrerin Heike Block im Herbst 2007 erklärt. Sie redete mit ihm, hörte ihm zu, wollte ihm helfen. Irgendwann kam er ihr aber zu nah. "Es war mein Wunsch, lieb zu werden", sagte er vor Gericht. Die Lehrerin informierte die Schulleitung - und die Polizei. Das legte ihr Gero S. als Vertrauensbruch aus. "Hass und Verachtung" empfinde er seitdem für sie, sagt Gero S. vor Gericht.

Kurz nach dem Mord habe sie ihm doch Leid getan, erklärte er dem Gericht - nachdem er nun aber in den Prozessakten gelesen habe, in welchem Umfang sie sich über Belästigungen seinerseits beklagt habe, empfinde er kein Mitleid mehr. Das sei die Wahrheit, und es sei ihm egal, wenn ihm dafür, dass er sie sagt, drei Jahre mehr Haft drohten.

Stundenlang redet Gero S. an diesem ersten Verhandlungstag, mit großer Präzision. Er würde auch die 6.500 Fragen vortragen, die er im Verhör stellen wollte, mit seiner 70-seitigen "Analyse", warum er diese und jene Frage stellen wollte. Vier Aktenordner hat er mitgebracht. Es sieht fast so aus, als sei er zufrieden mit der Rolle, die er da auf der Anklagebank spielen kann.

"Ich habe selten einen Fall erlebt, bei dem es im Vorfeld so viele Warnsignale für ein Verbrechen gegeben hat", sagt Staatsanwalt Uwe Picard. Hätte es eine Chance gegeben, den Mord zu verhindern, wenn einer der Beteiligten sich anders verhalten hätte? Die Frage ist müßig. Er habe seine "Verhörfragen" auf einem Stick gespeichert, aber wenn die Polizei, die Monate vor jenem Dezember 2009 seine Wohnung durchsuchte und Schwarzpulver fand, einmal den Ordner "Dokumente" aufgerufen hätte, dann wären ihr wohl eindeutige Dokumenten-Namen aufgefallen, sagt Gero S. selbst vor Gericht.

Er habe Gero S. "im Griff", hatte der Schulleiter zwei Jahre vor dem Mord gesagt, als eine besorgte Kollegin sich an ihn wandte. Später bekam er Sorge, Gero S. könnte Amokläufer nachahmen. Aber ein psychologisches Gutachten gibt Entwarnung, das Amtsgericht lehnt seine Einweisung in die Psychiatrie ab. Am 17. Januar 2008 notierte die Lehrerin in ihrem Tagebuch: "Entschluss von mir, dass ich Gero nicht mehr in meinem Kurs haben möchte. Entscheidung von Herrn Schmidt (Schulleiter), dass Gero in meinem Kurs verbleibt und dass es besser für alle ist, wenn ich ihn einzeln betreue." Warum hat sich die Lehrerin nicht geweigert? Ihr Vater, dem sie sich oft anvertraut hat, hat eine schlichte Antwort: "Weil die Beurteilung für ihre Verbeamtung anstand." Nachdem diese Beurteilung vorlag, gab es keinen Einzelunterricht mehr.

Die Eltern der ermordeten Lehrerin haben nun eine Dienstaufsichtsbeschwerde formuliert, in der dem Schulleiter mangelnde Fürsorge für die junge Lehrerin vorgehalten wird: Er hätte die Gefährdungspotenziale erkennen müssen. Die Strafverteidigerin Barbara Kopp, die die Eltern als Nebenkläger vertritt, fasst die Vorwürfe so zusammen: "Der Direktor hat Heike Block im Stich gelassen und sie dem Stalker regelrecht ausgeliefert." Die Schule widerspricht dem. "Ihrer Fürsorgepflicht sind im vorliegenden Fall alle damit betrauten Schulleiter über den gesamten Zeitraum umfassend und sorgsam nachgekommen", beschloss die Personalkonferenz der Schule. Zudem sei der Mord ein halbes Jahr nach dem Ausscheiden von Gero S. aus der Schule passiert.

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1 Kommentar

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  • D
    David

    "Zudem sei der Mord ein halbes Jahr nach dem Ausscheiden von Gero S. aus der Schule passiert."

     

    Selten so gelacht... :-I

    Heißt dass, was nach der Schule passiert, damit hat die Schule NICHTS zu tun?

     

    Mit solchen Chefs war die arme Fr. Block wirklich gestraft.