Fußball und Pop: Die Treibjagd des Mammuts
Shakira, Udo Jürgens oder Uwu Lena - Musik gehört zum Fußball wie der Ball ins Tor. Was ein Hit wird, entscheidet das Publikum - oft gegen die Pläne der Plattenfirmen.
BERLIN taz | Fußball ohne Musik, das ist wie Poker ohne Einsatz von Geld - eine erschreckend dröge Angelegenheit. Zieht man die Musik ab, dann wirkt so ein Spiel wie der Rohschnitt eines traurigen Filmes, bevor die fröhliche Tonspur darübergelegt worden sein wird. Das Lebendigste an solchen Veranstaltungen sind da noch die Zwischenrufe, die "aus dem Bauch raus". Mal anfeuernd, mal pöbelnd, immer impulsiv reagiert das Publikum darauf, was sich ihm so auf dem Platz darbietet. Klingt seltsam - aber hier fängt die Musik an.
Fußball ist populär, Pop fast schon ubiquitär. Und wo sonst als beim Fußball wird noch gemeinschaftlich aus Leibeskräften gesungen? Deshalb sucht auch die musikverarbeitende Industrie ihren Platz im Stadion, auf den Rängen. Und findet ihn nur sehr, sehr selten. Wem es gelingt, dem "zwölften Mann" einen Refrain unterzujubeln, der hat die Bank geknackt. Daher die etwas verkrampften Bemühungen von Shakira ("Waka Waka") über Ricky Martin ("The Cup Of Life") bis zu Nelly Furtado ("Força"), mit besonders massenkompatiblen Melodien den Geschmack einer entfesselten Masse zu treffen. Planen kann man das freilich nicht, sonst wäre ein fröhlicher Schwulenstampfer wie "Go West" oder eine pathetische Homoballade wie "We Are The Champions" wohl kaum jemals zur quasioffiziellen Hymne einer tendenziell ja nach wie vor eher schwulenfeindlichen Szene avanciert. Hätten Queen oder die Pet Shop Boys sonst nichts veröffentlicht, diese Songs allein hätten sie auf ewig satt alimentiert.
Planen lässt sich ein solcher Sechser im Lotto natürlich nicht, zumal Pop, will er wirklich fußballtauglich sein, inhaltlich über vage Selbstertüchtigungsfloskeln nicht hinauskommen darf. Nur sehr selten ist das Spiel selbst Gegenstand der Texte. Wann hätte jemals ein lyrisches Stürmer-Ich zu schmachtendem Soul um den Ball gebettelt, wann ein überwundener Torhüter in funkigem Trotz verkündet: "I will survive"? Warum gibt es nicht einmal im aggressiv-martialischen Thrash Metal einen einzigen Song, der eine Blutgrätsche verherrlichen würde?
Fußball mag ja Pop sein, Gegenstand von Pop ist er so gut wie nie. Selbst ein nahezu perfekter Popsong wie "Three Lions" ("Footballs coming home…"), bei dem die Lightning Seeds fußballenglische Befindlichkeiten in drei Minuten gepresst haben, mag im Radio oder unter der Dusche ein Hit sein. Gespielt wird aber auf dem Platz, und da hat er sich nicht durchgesetzt. Statt dessen adaptierte der stets melodienhungrige Schwarm zuletzt ausgerechnet das hübsch rumpelnde, dabei aber völlig fußballferne "Seven Nation Army" von den geradezu fußballverachtenden White Stripes.
Die Offiziellen: Shakiras "Waka Waka (This Time For Africa)": harmlos-flotte Popnummer für die ganze Familie, die selbst Sechjährige sofort nachsingen können.
"Oh Africa" von Akon, US-Amerikaner senegalesischer Herkunft: harmlos-flotte Popnummer für die ganze Familie - et cetera. Nett: Der Künstler ist an einer südafrikanischen Diamantenmine beteiligt.
***
Das Inoffizielle: "Schland O Schland" von Uwu Lena: Studentenjux auf Basis von Lenas "Satellite", von Stefan Raab nach erstem Misstrauen abgesegnet.
***
Klassiker: "Youll Never Walk Alone": 1945 von Rodgers & Hammerstein für das Musical "Carousel" komponiert, klassisch durch Gerry & The Pacemakers 1963.
"Three Lions" von den Lightning Seeds: offizielle Britpophymne der englischen Nationalelf bei der EM 1996, nett vor allem wegen der Samples aus Reportagen: "Well go on getting bad results".
***
Bonus: In Matthew Barneys "Cremaster" spielt Slayer-Drummer Dave Lombardo ein Solo zur Vuvuzela … Pardon, zu einem Bienenschwarm
Eine historische Ausnahme wie die vom Fanblock des FC Liverpool geadelte Musicalnummer "Youll Never Walk Alone" ist längst von ihren Urhebern entkoppelt und zum Volkslied geworden - was so nur in England mit seiner unverkrampft anglikanischen Gesangstradition möglich gewesen ist. Oder in Frankreich, wo derzeit mit "Allez! Ola! Olé!" von Jessy Matador ein maßgeschneiderter Fußballjubelsong die Charts anführt - ein musikalischer Querschläger, der zuvor beim Eurovision Song Contest durchgefallen war (Platz 98). Hierzulande könnte sich eine unbedarft-studentische Coverversion von Lenas "Satellite" ("Schland O Schland") zur inoffiziellen WM-Hymne mausern. Auf Platz 1 schafft man es mithilfe von Coca-Cola, wie derzeit der Sänger Knaan mit "Wavin Flag" beweist.
Vorbei die Zeiten, da ein Udo Jürgens die Nationalmannschaft in einen rührend unbeholfenen Gesangsverein verwandeln konnte ("Der Mann mit der Mütze"). Nein, längst erkennt man die Absicht und ist entsprechend verstimmt, was leider auch für ähnlich gelagerten Crossover-, Ranschmeiß- und Anverwandelversuche von den Sportfreunden ("54, 74, 90, 2006") bis zu Oliver Pocher ("Schwarz und Weiß") gilt.
Ein Fußballstadion ist eben kein Club, und es ist auch etwas völlig anderes als ein Stadion, das von einer "stadiontauglichen Band" wie U2 bespielt wird. Es ist für die Dauer des Spiels ein autonomer, nach innen akustisch geöffneter und nach außen immerhin optisch abgedichteter Hallraum. Hier, wo das Publikum für neunzig Minuten der eben nicht von König Fußball regierten Welt massenhaft geschlossen den Rücken kehrt, um sich buchstäblich konzentrisch auf ein ritualisiertes Kriegsspiel in seinem Mittelpunkt zu konzentrieren, gelten andere, jedenfalls ältere Gesetze als die des Marktes.
Vielleicht führt keine direkte Linie von der im vergangenen Jahr auf der Schwäbischen Alp gefundenen Gänsegeierknochenflöte zur Vuvuzela - fest steht, dass Musik schon vor 35.000 Jahren ein Teil menschlichen Lebens war.
Dabei dürfte sie nicht nur den an Mußestunden nicht eben reich gesegneten paläolithischen Menschen erklungen sein, sondern ganz handfesten Zwecken gedient haben: zur akustischen Einschüchterung der Beutetiere (oder verfeindeter Rudel), wie es in der frühen Neuzeit noch bei Militärkapellen oder heutigen Treibjagden der Fall ist. In diesem Zusammenhang stiftet Musik einerseits Gemeinschaft, schüchtert andererseits aber auch ein - ganz wie heute auf dem Fußballplatz, wenn der Gegner niedergesungen, wegtrompetet oder kleingetrommelt werden soll.
Wo sind wir, wenn wir unsere Musik hören? Wenn wir dabei im Stadion sind, kann diese alte Frage eindeutig beantwortet werden: Wir sind mit unserem Clan wieder im hüfthohen Gras oder zwischen Schneeverwehungen unterwegs, das Mammut zu erlegen - oder eben die üblen Gestalten aus dem Nachbartal.
Deshalb ist die Vuvuzela auch so vielen Menschen ein Dorn im Ohr: Die "Terrortröte" (Bild) egalisiert mit ihren 466 Hertz all die konkurrierenden Lautäußerungen, an die wir uns bei einem Fußballspiel so gewöhnt haben, um sie alle zusammen mit dem öffentlichen Raum in einem vibrierenden Drone-Sound aufzulösen.
Das ist neu, aber gewiss keine Avantgarde. Für seinen verstörenden Filmzyklus "Cremaster" hat der Künstler Matthew Barney schon 1999 Dave Lombardo, den Schlagzeuger von Slayer, im Studio ein Solo spielen lassen - begleitet nur von einem aufgebrachten Bienenschwarm.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!