Abstimmung über A 100: SPD sucht Ausfahrt
Am Samstag stimmt der SPD-Parteitag zum zweiten Mal über eine Verlängerung ab. Die Autobahn-Befürworter wollen mit fadenscheinigen Maßnahmen überzeugen.
Der Konflikt verbirgt sich hinter Tagesordnungspunkt 11, "Beratung sonstiger Anträge". Es ist der vorletzte Punkt, der auf diesem Parteitag der Berliner SPD verhandelt werden wird. Und es ist der umstrittenste.
Wenn die Delegierten sich am Samstag in den Räumen des Berliner Congress Centers am Alexanderplatz treffen, werden ihnen bei Punkt 11 zwei Anträge zum selben Thema vorliegen. Sie befassen sich mit der geplanten Verlängerung der A 100, die in einem ersten Bauabschnitt durch Treptow und in einem zweiten durch Friedrichshain führen soll. Bereits bei einem Parteitag im Mai letzten Jahres hatte sich die Parteibasis gegen den Bau ausgesprochen - zum Ärger von Verkehrssenatorin Ingeborg Junge-Reyer, die damit ihre eigene Partei gegen sich hat.
In dem ersten Antrag, eingereicht vom Fachausschuss Natur, Energie und Umweltschutz, heißt es: "Der Landesparteitag möge beschließen: Die Berliner SPD sieht keine Notwendigkeit für die Verlängerung der Autobahn A 100". Der zweite, vorgelegt von Fachausschuss Mobilität, will genau das Gegenteil: "Der Landesparteitag möge beschließen: Die Berliner SPD spricht sich für den Weiterbau der A 100 aus (…)". Die Antragskommission hat neben die Anträge ihr Votum geschrieben, das sie auch den Delegierten in der Abstimmung nahelegt. "Annahme" steht beim ersten Antrag und "Ablehnung" beim zweiten. Die Worte, die jeweils in Klammern dahinter stehen, machen den Konflikt noch deutlicher: "Kein Konsens".
Der aktuelle Stadtentwicklungsplan Verkehr (Step) stammt aus dem Jahr 2003. Derzeit wird an einem neuen Plan gearbeitet, der sich aber noch im Entwurfsstadium befindet. In den vergangenen Monaten traf sich dazu ein runder Tisch, an dem unter anderem Verbände und Vertreter aus Politik und Verwaltung beteiligt waren. Im kommenden Winter soll der neue Plan vom Senat beschlossen werden.
Die Inhalte des Step will die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung als "Auftrag zur Umsetzung" verstanden wissen, so ein Sprecher.
In dem derzeitigen, unveröffentlichten Entwurf sind unter anderem mehrere Pilotprojekte vorgesehen. Dazu gehören eine Integration von öffentlichem Nahverkehr und Taxis, eine grüne Welle für Radfahrer, Projekte zu Mobilität im Alter und ein Projekt zur "Differenzierung der Lkw-Maut". Das könnte zum Beispiel eine höhere Maut auf der Stadtautobahn sein, die den Verkehr auf die außerstädtischen Autobahnen lenkt.
Die A 100 ist der wunde Punkt der Verkehrspolitik, innerhalb der SPD und auch in der Koalition mit der Linkspartei. Eigentlich ist das 420 Millionen Euro schwere Bauprojekt im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Doch nach und nach wollten erst die Linkspartei, dann auch die SPD-Basis, erst nur unter der Hand, dann ganz offen, den Weiterbau der Autobahn nicht mehr mittragen. Zu hoch die Kosten, zu stark die Beeinträchtigungen von Anwohnern und Umwelt, zu gering der Nutzen. Nun, am Samstag, sollen die SPD-Delegierten noch einmal abstimmen. Die Fraktion hat erklärt, dem Votum diesmal folgen zu wollen.
Doch Antrag Nummer zwei, der den Ausbau befürwortet, enthält noch mehr. Denn der Fachausschuss Mobilität hat eine Reihe von Maßnahmen zusätzlich zum Autobahnbau hineingeschrieben, die Skeptikern den Wind aus den Segeln nehmen sollen. Eine "verstärkte Geschwindigkeitsüberwachung" gehört ebenso dazu wie "zielführende Maßnahmen zur Verringerung des Individualverkehrs zugunsten des öffentlichen Personenverkehrs". Damit, so die Überzeugung der Autoren, werde das Projekt A 100 "moderner sozialdemokratischer Verkehrspolitik" gerecht. Nebenbei wird die These der Verkehrssenatorin, wonach die Verlängerung selbst zu weniger Verkehr in der Innenstadt führe, konterkariert. Denn: Werden diese Maßnahmen nicht umgesetzt, so stellen die Antragsteller klar, würden mehr Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs auf das Auto umsteigen und Lärm und Luftverschmutzung weiter zunehmen.
Was die Autobahn-Skeptiker überzeugen soll, stößt auf Kritik. "Die Maßnahmen an sich sind nicht verkehrt", sagt Jutta Matuschek, verkehrspolitische Sprecherin vom Koalitionspartner Linkspartei. "Aber das sind uralte Dinger, die größtenteils schon im Stadtentwicklungsplan Verkehr von 2003 drinstehen."
Beispiel Parkraumbewirtschaftung. Die Antragsteller nehmen hier selbst auf den Stadtentwicklungsplan Verkehr Bezug, in dem eine "starke Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung" in der Innenstadt vorgesehen ist. Das Problem: Für die Umsetzung sind die Bezirke zuständig und die treiben die "starke Ausweitung" unterschiedlich schnell voran. Auch die Bürger sind gespalten: Während ein Bürgerbegehren in Charlottenburg-Wilmersdorf sich erfolgreich gegen eine Parkraumbewirtschaftung wehrte, scheiterte ein Bürgerbegehren mit gleichem Ziel in Mitte. Das zeigt: Der Senat kann höchstens versuchen, auf die Bezirke einzuwirken, Konzepte erstellen, gut zureden.
"Die Einführung von Tempo-30-Strecken auf Hauptverkehrsstraßen" fordert der Fachausschuss in Punkt 3. Neu ist auch die Idee nicht: Bereits 2006 richtete der Senat Tempo-30-Zonen auf Hauptstraßen ein - Proteste der Autofahrerlobby inklusive. Mittlerweile gibt es nach Angaben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung knapp 300 Punkte, an denen dauerhaft die Geschwindigkeit reduziert wurde. Der Haken: Die Verkehrsmanagementzentrale maß vor ein paar Jahren, dass die Autofahrer ihre Geschwindigkeit auf den Abschnitten zwar um durchschnittlich 15 Prozent reduzierten. Stellenweise fuhren sie aber einfach 48 statt 56 Kilometer pro Stunde - also in einer Geschwindigkeit, die sie auch zuvor schon hätten einhalten müssen. Das könnte natürlich Punkt 7 ändern, in dem der Fachausschuss für eine "verstärkte Geschwindigkeitsüberwachung" plädiert. Mit der A 100 hat das allerdings nur noch wenig zu tun. Dazu kommt: Laut Stadtentwicklungsverwaltung sind derzeit keine weiteren konkreten Abschnitte auf Hauptstraßen geplant, auf denen das Tempo von 50 auf 30 verringert werden soll.
Im letzten Punkt plädieren die Autoren für eine "effektive und effiziente Lärmdämmung an allen Autobahnabschnitten". Finanziert werden soll das durch das Bundesprogramm zur Lärmsanierung an Bundesstraßen. Der Berliner Landesverband des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) findet dafür in einem Positionspapier unterstützende Worte. Der Lärmschutz sei in der Vergangenheit entlang der bisherigen Autobahntrassen vernachlässigt worden, heißt es. Matuschek zweifelt aber an der Umsetzbarkeit: "In dem Programm ist fast kein Geld drin. Mittel fließen vor allem in den Neubau von Autobahnen statt in die Lärmsanierung." Kein Wunder: Wenn nicht nur Lärmschutzwände gebaut werden sollen, sondern auch Flüsterasphalt und Lärmschutzfenster zum Einsatz kommen, wird es teuer.
Claudia Hämmerling, verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, geht darüber hinaus davon aus, dass die geforderten Maßnahmen nicht finanziert werden können. Berlin habe einen großen Sanierungsrückstand im Verkehrsbereich. "Für diese Maßnahmen stünde so gut wie kein Geld zur Verfügung", ist sie sicher.
Die Autoren des Antrags halten trotzdem daran fest. "Es ist richtig, dass die Maßnahmen alle schon irgendwo geschrieben stehen, aber sie sind noch nicht ausreichend umgesetzt", sagt einer der Autoren des Antrags, der nicht namentlich genannt werden möchte. Er hofft, dass, wenn der Antrag angenommen wird, die Priorität der darin enthaltenen Maßnahmen steigt. "Man muss auch Druck erzeugen", sagt er. In einem nächsten Koalitionsvertrag sollten dann konkrete Vorhaben samt Zeitplan festgeschrieben werden.
Ob es überhaupt so weit kommen kann, wird sich am Samstag entscheiden. Sowohl in der SPD als auch in der Linkspartei mehren sich die Stimmen, die von einer Ablehnung der A 100 ausgehen. Matuschek hofft, das der Koalitionspartner "klug und weise" so entscheidet, wie es die Antragskommission den Delegierten empfiehlt.
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