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Bundespräsidenten-WahlWunsch nach einem Ersatzmonarchen

Am Mittwoch wird entschieden: Der Pfarrer aus Rostock oder der Junge aus Osnabrück. Historisches Schwergewicht oder präsidialer Konsensredner. Gauck oder Wulff?

Am 30.06.2010 wird die Bundesversammlung den künftigen Bundespräsidenten wählen. Bild: dpa

Es ist eine Kandidatur, die aus einer Rede entstand. Am 5. Mai sprach Joachim Gauck im Berliner Hauptgebäude des Axel Springer Verlags, an einem Mittwoch um halb sechs. Der Konzern verlieh Preise an Nachwuchsjournalisten, der frühere Beauftragte für die Stasi-Unterlagen hielt die Festansprache. Niemand konnte zu diesem Zeitpunkt ahnen, dass knapp vier Wochen später der Bundespräsident zurücktreten würde. Aber jeder der Anwesenden wusste: Es war eine hinreißende Rede, die Gauck hier hielt.

Anders als bei vielen seiner Bewerbungsauftritte in diesen Tagen sprach Gauck nicht über sich selbst und nur wenig über seine Erfahrungen während der DDR-Zeit. Er sprach über Unfreiheit in vermeintlich offenen Gesellschaften, über die Zwänge des Journalistenberufs und die Notwendigkeit, sich ihnen zu widersetzen. Über die Liebe zur Wahrheit und die Bereitschaft, sich vom Arbeitgeber notfalls auch feuern zu lassen.

Den Auftritt hatte Welt-Herausgeber Thomas Schmid noch in frischer Erinnerung, als Horst Köhler dann am 31. Mai zurücktrat. "Jetzt bitte keine Notlösung", schrieb er am 1. Juni in einem Leitartikel. "Wie wäre es mit Joachim Gauck?" Noch am selben Tag unterbreitete Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin seinem SPD-Kollegen Frank-Walter Steinmeier den Vorschlag. Am Abend sagte Gauck zu.

Allein die Vorgeschichte seiner Kandidatur scheint Gauck zum idealen Bundespräsidenten zu machen. Denn der Inhaber diese Amtes wirkt nach landläufigem Verständnis vor allem durch seine Reden. Bei der Ausfertigung von Gesetzen, der Entgegennahme von Beglaubigungsschreiben, selbst der Auflösung des Bundestags bleibt ihm wenig Spielraum. Seine öffentlichen Auftritte dagegen kann er selbst gestalten. Das glauben wenigstens diejenigen, die das Amt noch nicht innehatten.

Um, wie Gauck es verlangt, bei der Wahrheit zu bleiben: Politische Reden im eigentlichen Sinn sind dem Bundespräsidenten gar nicht gestattet. Von ihren Anfängen bis heute lebte die Redekunst in offenen Gesellschaften von Auseinandersetzung und Streit. Die klassischen Reden etwa, mit denen Cicero im Jahr 63 vor Christus seinem Widersacher Catilina entgegentrat, faszinieren durch ihre wütende und vielfach ungerechte Polemik.

Auch Bismarck, alles andere als ein Demokrat und ein begnadeter Redner, lief zu seiner besten Form in kontroversen Reichstagsdebatten auf. Die Sitzungen, in denen der Bundestag Anfang der 1970er Jahre über die Ostverträge stritt, zählen zu den Sternstunden des Parlaments. Auch der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder hielt seine besseren Reden in Stunden der Bedrängnis.

Das Staatsoberhaupt dagegen darf nicht reden. Es hält, als politisches Neutrum, Ansprachen. Schon der äußere Rahmen schließt Kontroverses aus. Wenn der Präsident den Veranstaltungsraum betritt, müssen sich die Zuhörer von ihren Plätzen erheben. Seine Worte dürfen sie anschließend nicht kommentieren. Das geht selbst dann nicht, wenn sie selber auf der Rednerliste stehen. Der Präsident spricht stets als Letzter. In Diskussionsrunden unter Gleichen begibt er sich ohnehin nicht.

Das gilt auch für die eine große Ansprache, die seit einem Vierteljahrhundert den Maßstab aller Präsidentenreden abgibt und schon so manchen Nachfolger entmutigte: die Ansprache, die Richard von Weizsäcker zum 40. Jahrestag des Kriegsendes vor dem Deutschen Bundestag hielt. Es war ein einzelner schlichter Satz, der die Größe des Textes ausmachte: "Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung." Seine Stärke bezog er daraus, dass Weizsäcker ein Geschichtsbild offiziell beglaubigte, das sich im größeren Teil der Gesellschaft längst durchgesetzt hatte. Er übte also auch hier eine Rolle aus, die ihm vor allem zusteht, die Rolle eines Notars der Republik.

Weizsäcker hatte es allerdings leichter als seine Nachfolger, sich von einer damals noch stark polarisierten Alltagspolitik abzusetzen. Heute, wo längst nicht mehr die Mobilisierung der eigenen Anhängerschaft, sondern die Einschläferung des politischen Gegners als Ausweis höchster Staatskunst gilt, kurz: wo jeder Parteipolitiker einen kleinen Präsidenten gibt - da wird es für ein Staatsoberhaupt schwierig, sich als Kraft der Mäßigung davon noch abzusetzen. Der Ausweg, einer präsidialen Kanzlerin als Polarisierer entgegenzutreten, darf mit Köhlers Scheitern als versperrt gelten.

Es ist insofern nur konsequent, dass die Kanzlerin nun den konsensorientiertesten aller Ministerpräsidenten zum neuen Staatsoberhaupt machen will. Wer Christian Wulffs Reden der letzten Jahre liest, der mag kaum glauben, dass dieser Mann von der Chance auf einen Umzug ins Schloss Bellevue wirklich überrascht worden ist. So gern Wulff gegen seine Parteichefin stichelt: Es gibt keinen anderen CDU-Politiker, der Merkels Präsidialstil so nahekommt wie er.

"Unser Angebot zur Mitarbeit gilt allen Abgeordneten": So leitete Wulff, gut einen Monat vor Köhlers Rücktritt, seine mutmaßlich letzte Regierungserklärung im niedersächsischen Landtag ein. Als würde er im Ernst erwarten, dass SPD, Grüne und die Linkspartei plötzlich für ihn stimmten. Auch ließ er zuletzt kaum eine Gelegenheit aus, Ansprachen zu präsidialen Anlässen zu halten - zum Gedenken an Konzentrationslager oder Todesstreifen, zum Jubiläum von Grundgesetz oder Westfälischem Frieden.

Vor dem Fernseher

Kontroverses sucht man auch in diesen Texten vergeblich. Zwar ist Wulff durchaus imstande, die DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen. Aber nicht ohne hinzuzufügen, "dass der Begriff des Unrechtsstaates die persönliche Lebensleistung der Menschen nicht betrifft". Es sind Konsensreden und sorgsam abgewogene Referententexte, die der Ministerpräsident in seinen Amtsjahren zumeist vorgetragen hat. Ausfälle, wie sie sich der baden-württembergische Amtskollege Günther Oettinger in der Gedenkrede auf seinen Vorgänger Hans Filbinger leistete, waren bei Wulff nie zu befürchten.

Ins kollektive Gedächtnis eingegraben hat sich die Ansprache, die Wulff auf der Trauerfeier für den Torwart Robert Enke hielt. Wenn es einen Auftritt gab, der ihn für die Kandidatur qualifizierte wie bei Gauck die Rede vor den Springer-Journalisten, dann war es dieser. Es ist kein wirklich bemerkenswerter Text, wenn man ihn heute noch einmal nachliest. Es war ein Auftritt, der seine Stärke aus der Situation gewann. Das riesige Stadion, der Ministerpräsident ganz allein auf den Fußballfeld, den Sarg des toten Sportlers im Rücken.

Seine besseren Auftritte als Redner hat Wulff, wenn er sich als Person zurücknimmt. Biografische Einschübe wirken bei ihm oft unangemessen. Bei allen familiären Härten: Weltgeschichte hat der Junge aus Osnabrück am eigenen Leib nicht erlebt. Zum 20. Jahrestag des Mauerfalls berichtete er am Grenzübergang Marienborn, wie er das Geschehen einst mit Gänsehaut verfolgte. "Vor dem Fernseher", wie er ehrlicherweise hinzufügte.

Ich, wir, mir, mich, uns

Bei Gauck ist das anders, völlig anders. Jede seiner Ansprachen lebt von ihrer Verknüpfung mit der eigenen Person. Welchen seiner politischen Freunde man nach Bekanntwerden der Kandidatur auch anrief: "Eitel" war das Adjektiv, das jedem zur Charakterisierung der Person spontan herausrutschte. Freundlich gewendet, könnte man auch von Authentizität sprechen.

Bei einem Werbeauftritt am vergangenen Dienstag im Deutschen Theater Berlin benutzte Gauck insgesamt 151-mal die Wörter "ich" oder "wir", "mir", "mich" oder "uns". Er gehört heute zu den wenigen Personen des öffentlichen Lebens, für die sich die Diktaturgeschichte des 20. Jahrhunderts noch mit persönlicher Erfahrung verbindet. Helmut Kohl konnte in seinen politischen Reden eindrucksvoll aus Jugenderinnerungen ans kriegszerstörte Ludwigshafen schöpfen. Angela Merkel hat solche Anknüpfungspunkte kaum noch, sie hat auch keine persönliche Widerstandsgeschichte vorzuweisen wie der von ihr bewunderte Gauck.

Es ist natürlich albern, den Pfarrer aus Rostock dem rechten politischen Lager zuzuordnen. Sein Freiheitspathos, das Bekenntnis zu Angstfreiheit und persönlicher Autonomie sind alles andere als konservativ. In den Meinungsumfragen fliegen ihm die größten Sympathien von den Anhängern der Grünen zu, niemand steht ihm so distanziert gegenüber wie die Wähler von Union und FDP. Wenn sich Politiker aus dem Regierungslager für ihn begeistern, wenn das auch vermeintlich konservative Medien tun: Dann zeigt das entweder, wie weit sie sich diese Eliten von ihrer sicherheitsbedürftigen Basis mittlerweile entfernt haben. Oder es hat nichts mit politischen Inhalten zu tun, sondern mit dem Wunsch nach einem Ersatzmonarchen.

Denn dass die Begeisterung für Gauck einem höchst konservativen Amtsverständnis entspricht, steht ebenfalls außer Frage. Es ist die Sehnsucht nach einem weisen und gütigen älteren Herrn, der aus der Kraft seiner Lebenserfahrung schöpft und dabei über den Parteien steht. Dieser apolitische, ja antipolitische Impetus vieler Unterstützer scheint dem Kandidaten mittlerweile selbst peinlich zu sein, jedenfalls hat er sich davon schon öffentlich distanziert. Zwar verglich sich auch Wulff in einer Boulevardzeitung mit Friedrich dem Großen, der Gelehrte wie Voltaire an seinen Hof gezogen habe. Aber niemand regt sich darüber auf, zu absurd erscheint bei ihm der Gedanke an einen Ersatzmonarchen. Am Ende ist das ganz beruhigend.

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11 Kommentare

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  • S
    souveraen

    gute könige haben z.b. diese eigenschaften: gerechtigkeitsengagement, weitsicht, finanzielle seriösität, schutz der natur, den bürgerInnen

    zuhören, rückrat, das leben schätzen/lieben...

    solche eigenschaften wünschen sich viele auch beim präsidenten. und das ist gut so.

     

    gauck spaltet ex-bürgerrechtler der DDR (TAZ)

     

    auch überraschungskandidat fürs präsidentenamt, karl maria schulte aus frankfurt, ist bürgerrechtler. zudem publizist, pädagoge, zukunftsdenker, philosoph,

    politkünstler wie etwa beuys + ai weiwei, verfassungsexperte...

    heute hat er beim präsidenten der bundesversammlung, norbert lammert, seine kandidatur eingereicht.

    das GG wolle nicht nur parteikandidaten.

     

    die demokratische legitimität der bundestagsabgeordneten und abgeordneten aus schleswig holstein (überhangmandate) ist fraglich. vielleicht laufen auch noch wahlprüfungen in anderen bundesländern.

    schulte hat die bundestagswahl angefochten: Az WP 146/09: wählertäuschung mit strafrechtlcher relevanz in sachen steuerpolitik, kundus-affäre, haushaltslage...

    er hat bereits einen erfolg beim bundesverfassungsgericht erzielt: BVerfGE 122, nr. 10

    (karlsruhe prüft wahlen länger).

    vor der wende 1989 waren es auch unregelmäßigkeiten bei wahlen, die erst proteste und dann eine bewegung auslösten: wir sind das volk!

    schultes VISION D beinhaltet auch die einberufung

    eines lebens-, werte- und verfassungskonvents gemäß artikel 146 GG. danach volksentscheid über gesamtdeutsche verfassung.

    siehe dazu: ZAS/FAZ 8.11.09 (26) weckruf/aufruf bürgerkonvent CITOYEN 2010 (schulte). in der ZEIT ihm wohl antwortend: richard davis precht: ... und

    keiner wacht auf!

    vielleicht wachen doch einige auf, morgen in der bundesversammlung.

    sorgen wir für eine überraschung!

  • HP
    Horst Putz

    Wulf ist Gleichschaltung und wird alles abzeichnen was die Kanzlerin diktiert.

  • V
    vic

    Nicht Gauck - nicht Wulff, und auch sonst niemand.

    Die BRD benötigt keinen Bundespräsidenten. Eigentlich dachte ich, das wäre inzwischen deutlich geworden.

    Bellevue sollte für ein NGO-Sozialprojekt zur Verfügung gestellt werden, sowie für eine Regierungs-Kontrollinstanz, besetzt nach dem Zufallsprinzip aus der gesamten Bevölkerung. Jährlich wechselnd und ausgelost mittels Steuernummer.

  • D
    Dirgis

    Da wär` ich aber dafür, sich s o f o r t im veritabelsten der holländischen oder dänischen Krone an den Hals zu werfen... Die Schnäbel unter den Diademen sprechen hervorragend deutsch und die Korpusse sind hübscher angezogen.

     

    Und da hätten wir doch auch- vorerst mal wieder - was länger repräsentativ Bleibendes.

  • M
    Mika

    Dieses Land wird Köhler noch nachtrauern.

  • JV
    Jorge von der Rose

    Gauck geht gar nicht!

     

    Von einem Pfarrer erwartet die Bevölkerung, dass er gemäß den Lehren seiner Kirche lebt.

     

    Mit seiner 20 Jahre jüngeren Freundin als First Lady den Präsidenten geben , ohne von der Ehefrau geschieden zu sein?

     

    Ein selbsternannter "Demokratielehrer" aus dem Osten?

     

    Ein wenig mehr Bescheidenheit, Herr Pastor, wäre vielleicht angemessen!

  • M
    MartinB

    Pest oder Cholera ?

  • BL
    Beste Lösung geht nicht mehr

    Leider wird es einer von den beiden werden.

    Ach ja, wenn Prinzessin Diana noch leben würde...*seufz*

    Ich denke, wir alle hätten ihr liebend gern Asyl gegeben, sie eingebürgert und sie zu unserer obersten Repräsentantin gemacht. Sie hätte dem Amt zu wahrer Würde verholfen.

    Und nun wird´s doch wieder so ein physisch unattraktiver oller Saftsack. Schade eigentlich.

  • H
    hallo

    Es ist natürlich albern, den Pfarrer aus Rostock dem rechten politischen Lager zuzuordnen. Sein Freiheitspathos, das Bekenntnis zu Angstfreiheit und persönlicher Autonomie sind alles andere als konservativ. In den Meinungsumfragen fliegen ihm die größten Sympathien von den Anhängern der Grünen zu, niemand steht ihm so distanziert gegenüber wie die Wähler von Union und FDP. Wenn sich Politiker aus dem Regierungslager für ihn begeistern, wenn das auch vermeintlich konservative Medien tun: Dann zeigt das entweder, wie weit sie sich diese Eliten von ihrer sicherheitsbedürftigen Basis mittlerweile entfernt haben. Oder es hat nichts mit politischen Inhalten zu tun, sondern mit dem Wunsch nach einem Ersatzmonarchen.

     

    ganz schöner schwachsinn, was hier das springer leitmedium schreibt.

    ach ne, ist ja die taz.

    ach ne ist ja.

  • R
    rose

    Ach Bollmann,hättest du nur geschwiegen...

    Den Gauck als Präsidenten-das wird eine Witznummer ohne Gleichen!Der Typ lebt geistig noch im 19.Jh. und würde sich gut als pommerscher Landjunker machen.In Reitstiefeln und mit Reitgerte durch seinen Besitz stolzieren und jeden,der sich nicht tief genug bückt,mit der Peitsche "erziehen"!

  • M
    mimmo

    viele mögen Aale, sehr köstlich -

    aber manchmal auch irgendwie glitschig.