Harz: Sommermärchen im Gebirge

Ein Schwiegershäuser verunglückt mit dem Mountainbike, das ganze Dorf schwärmt aus und sucht ihn - vergeblich. Erst nach 90 Stunden wird er gefunden und gerettet.

Über Stock und Stein: Mit dem Mountainbike durchs Gebirge zu fahren, kann lebensgefährlich sein. Bild: dpa

Der Harz, das ist das läppische Mittelgebirge, das der Reisende, der auf der A 7 unterwegs ist, nur bemerkt, weil braune Sehenswürdigkeiten-Schilder auf ihn hinweisen. Aber, Wanderer, Skifahrer und - ganz besonders - Mountainbiker, der Du unterwegs bist in höhere Züge, unterschätze den Harz nicht!

Der sieht nur so bescheiden aus, tatsächlich aber hat er Tücken. Vergangene Woche erst wurde ein Mountainbiker über drei Tage und vier Nächte vermisst, weil er einen Abhang hinab gestürzt war. Er wurde am Samstagvormittag gefunden, unter anderem von einem Polizisten, der, wie der NDR berichtete, selbst in seiner Freizeit nicht ruhen wollte, ehe der 43-Jährige aus dem Dörfchen Schwiegershausen bei Osterode gefunden war.

Ihm geht es gut, die 90 Stunden, die er verletzt nahe eines Bachlaufes lag, hat er überstanden, die Uni-Klinik in Göttingen meldet baldige Genesung.

Am Dienstag hatte er sich mit seinem Rad von der Ehefrau verabschiedet, zu einer kurzen Tour wollte er aufbrechen. Als er am späteren Abend nicht zurück war, obwohl er den Sohn vom Zug abholen sollte, wuchsen die Sorgen, schwärmten die ersten Suchtrupps aus. In den Tagen darauf nahmen fast sämtliche Dorfbewohner die Suche in die Hand, sie fuhren auf Rädern die Wege ab, die man so fährt, aktivierten auch Suchhundestaffeln und berittene Späher. Der Bäcker stiftete Brötchen, die die Frauen, wie der örtliche Harzkurier weiß, schmierten und verteilten sie an mehreren Stationen an die Helfer. Aber: Vergeblich. Der Vermisste war nirgends zu finden, selbst ein Suchhubschrauber stieg ergebnislos auf, Hunderte von Polizeibeamten fanden ihn auch nicht.

Dann der Zufall in Gestalt des ebenfalls mountainbikebegeisterten Polizisten nach Feierabend. Er sah den Vermissten beim Aufstieg zur Hanskühneburg unten am Bachlauf liegen, stieg herab, sprach ihn an, half mit Wasser, um dem Dehydrierten erste Hilfe zu verschaffen. In Schwiegershausen nannte man dieses glückliche Ende vieler angstvoller Stunden ein "Sommermärchen", in Anlehnung an das national-berauschende Ereignis der Fußball-WM 2006. Der Begriff liegt nahe in diesen Zeiten, in denen wieder WM ist, aber er lässt auch erahnen, wie froh sie dort im Dorf sein müssen. Ein Dankesgottesdienst wurde sogar abgehalten, um der Freude und Dankbarkeit einen Raum zu geben. Bis auf den letzten Platz, heißt es, sei die Dorfkirche gefüllt gewesen.

Wie so etwas passieren kann - im Harz? Ja, sagen die Einheimischen, das Mittelgebirge ist unübersichtlicher, als man denkt. Es ist das erste Gebirge, wenn man von Norden aus kommt, und zwar eines, das es in sich habe. Allerdings wurde der Schwiegershäuser nicht Opfer einer schroffen Felswand oder eines steilen Abgrundes, sondern nur eines Schlagloches, das ihn von der Forststraße in den Abgrund warf. Gerade diese Tücken stellen viele Mountainbiker vor große Probleme, andererseits sind sie es auch, die die Radeltour im Wald erst zur Herausforderung machen.

Manch einer lehnt diesen Zeitvertreib ab, weil er - selbst im Harz - gefährlich ist für Mensch und Natur. Aber der Harz boomt als Mountainbike-Destination, sagt der Tourismusverband. Bald gibt es 2.000 Kilometer beschilderter Wege. Wege, auf denen mitunter tagelang kein Mensch unterwegs ist, auf denen sich des Nachts der Luchs herumtreibt. Dann muss man Glück haben, wenn einem das Schlagloch bei voller Fahrt den Fahrradlenker verdreht.

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