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Interview zum Sparpaket"Kürzungen interpretieren"

Vielleicht muss die Bundesagentur für Arbeit gar nicht so viel kürzen, wenn die Wirtschaft besser läuft und die Erwerbslosenzahlen sinken, hofft Vorstand Heinrich Alt.

"Wenn ich preiswert wohne, habe ich mehr Geld für anderes zur Verfügung", erklärt Heinrich Alt. Bild: dpa

taz: Herr Alt, laut "Sparpaket" der Regierung sollen bei der Bundesagentur für Arbeit allein im kommenden Jahr 1,5 Milliarden Euro gekürzt werden. Wie soll das gehen?

Heinrich Alt: Die erfreuliche Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt wird sicher die Sparanstrengungen beeinflussen. Für die Kurzarbeit und für die Gewährung von Arbeitslosengeld I werden wir voraussichtlich weniger Geld brauchen als bisher gedacht.

Das Minus im Haushalt der Bundesagentur wird aber nicht verschwinden.

ap

Der Politologe Heinrich Alt (60) war einst Arbeitsamtsdirektor und ist heute im Vorstand der Bundesagentur für Arbeit zuständig für den Bereich Grundsicherung.

Richtig. Wir werden auch für 2011 einen Haushalt auflegen, der mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Defizit aufweist. Die Frage ist, wie die Sparauflagen der Bundesregierung aussehen - und ob der Defizitausgleich als Zuschuss gewährt wird, wie in diesem Jahr, oder, wie im Gesetz vorgesehen, als Darlehen.

Wo würden Sie kürzen, wenn die Regierung dies verlangt?

Darüber haben wir im Vorstand der Bundesagentur noch nicht gesprochen. Bei Kürzungen muss man auch immer sehen: Wie ist das zu interpretieren? Wir haben zum Beispiel eine sogenannte Aktivierungsquote in der Grundsicherung. Danach wollen wir 25 Prozent der Menschen, die hilfebedürftig und erwerbsfähig sind, in sinnvoller Form aktivieren, etwa durch Weiterbildungen oder Arbeitsgelegenheiten. Wenn ich nun rückläufige Arbeitslosenzahlen erwarte und dann nach dieser Quote einen Haushalt berechne, kommen auch geringere Ausgaben heraus.

Stichwort Hartz IV: Einige Sozialpolitiker, besonders der FDP, fordern feste Mietpauschalen für Arbeitslosengeld-II-Empfänger. Auch Sie sind dafür. Wie hoch sollen die denn sein?

Über ein Viertel der Widersprüche und Klagen im Bereich des Arbeitslosengeldes II betrifft Mieten und Wohnnebenkosten. Man könnte den Menschen eine Wahlmöglichkeit lassen zwischen einer Pauschale, die regional nach dem Mietspiegel festgelegt wird, oder der konkreten "Spitzabrechnung". Ich glaube, dass sich 90 Prozent für eine Pauschale entscheiden würden, weil sie dann mehr Gestaltungsfreiheit hätten.

So viel Gestaltungsfreiheit gibt es dann auch wieder nicht, wenn man beispielsweise über 350 Euro Mietpauschale frei verfügen könnte.

Es gibt viele Menschen, die mit diesem Geld auskommen müssen, zum Beispiel Studenten oder Rentner. Da fragt keiner: Wie leben die eigentlich? Ein privates Beispiel: Ich habe zwei erwerbstätige Töchter mit abgeschlossenem Studium und ordentlichem Job, die leben beide auf weniger Quadratmetern, als ihnen nach Hartz IV zumutbar wäre. Die sagen, wenn ich preiswert wohne, habe ich mehr Geld für anderes zur Verfügung.

Wer heute etwa in der Altenpflege einen Job annimmt, verdient mitunter nur 200 Euro mehr, als ein ALG-II-Bezieher bekommt. Die FDP will deswegen Niedrigverdienern mehr ergänzende Hartz-IV-Leistungen gewähren, um die Jobmotivation zu erhöhen. Sinnvoll?

Eins muss man dabei beachten: Erweitert man die Hinzuverdienstgrenzen für Hartz-IV-Empfänger, haben in der Folge auch mehr Niedrigverdiener Anspruch auf eine Aufstockung durch diese Leistung. Wenn wir eine Regelung hätten, die um 50, 60, 70 Euro mehr Zuverdienst im Monat belässt, hätten wir schon 1,5 Millionen Menschen mehr im aufstockenden Hartz IV. Ich persönlich kann das nicht befürworten. Der Transferbezug sollte immer die Ausnahme sein. Außerdem entlassen wir die Arbeitgeber damit aus der Verantwortung, für existenzsichernde Löhne zu sorgen.

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5 Kommentare

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  • G
    Gast

    Herr Alt liegt falsch:

    Eine Ausweitung der Hinzuverdienste bedeutet nicht, dass dadurch mehr in den Hartz 4 Bezug kommen. Das ist eine falsche Auslegung und entspricht nicht der Wahrheit!

     

    Hinzuverdienst heißt: Von dem was abgezogen und verrechnet wird, mehr behalten dürfen! Ich wiederhole:

    Mehr behalten dürfen+++mehr behalten dürfen+++...

     

    Diejenigen die arbeiten und aufstocken müssen, sollen mehr in der Tasche haben, damit die Kosten, die für die Erhaltung der Arbeit entstehen, besser gedeckt werden können.

     

    Ein Hartz 4 Empfänger kann 100 Euro nur einmal ausgeben, in der Praxis wird jedoch verlangt, dass man möglichst alles, was nicht bewilligt wird, aus den Regelleistungen zahlen muß! Man kann Geld nur einmal ausgeben, ist das denn so schwer zu kapieren???

  • H
    Huss

    Nach einer Krise und massenhaftem Kurzarbeitergeld kann der Arbeitsmarkt so erfreulich nicht sein. Außerdem gibt es viele Leute, die wirklich Arbeit suchen, aber keine finden. Und es gibt viele Leute, die notgedrungen in einer Zeit- bzw. Leiharbeitsfirma arbeiten, aber dort weg wollen = auch suchen.

    Ich bezweifele, dass es wirklich so einfach ist.

  • A
    Amos

    Wie wäre es, wenn man mal an der Verwaltung der Arbeitslosen spart und dafür ein Bürgergeld einführen würde. Und wie wäre es, dass sich die Politiker nicht mehr so unverschämt aus der Rentenkasse bedienen würden. Wenn die da oben von Sparen sprechen, so heißt das nichts anderes als mehr Armut schaffen. Beim Sparen sollte man mal ganz oben anfangen und nicht so tun als wären die Arbeitslosen an diesem System schuld.

    Man gibt immer der Globalisierung die Schuld an der Arbeitslosigkeit, wagt sich aber nicht zu sagen, dass

    der imperialistische Kapitalismus die Globalisierung ist. Würde man da oben maßvoller Leben brauchten die da unten weniger zu darben.

    Wenn man denen, die da "mit sieben Mäulern fressen"

    dieses erklärt, ist man direkt Kommunist. Das dieses kapitalistische System ein System ohne Verantwortung ist, sieht man doch am besten an BP.

  • H
    Hanna

    Bei diesen Fragen kann Heinrich Alt sagen, was er will. Aber die Berechnungen für die Ausgaben bei der Aktivierung sind doch nur für die Bundesregierung ein Thema. Die Teilnehmer sind genervt von Abzockern, Pro-Forma-Angeboten und ausbleibenden Effekten. Solange die sogenannte Aktivierung nicht qualitativ hinterfragt wird, sorg die Agentur für eine hohe Anzahl von Arbeitslosen.

    Gerade 1-EURO-Jobs und Trainingsmaßnahmen sind vollkommen unzureichend und vielfach drastisch veraltetete, was den Inhalt angeht. Bei vielen 1-EURO-Jobs kassieren auch Vereine und Verbände ab, die vielfach weder Mitglieder noch einen tieferen Sinn, geschweige den Zielsetzung, aufweisen. Der Sinn und Zweck besteht im Einstreichen von Staatsgeld.

    Bei 1-EURO-Jobs habe ich noch nie von einer Eingliederungsquote von 30 Prozent gehört, selbst Akademiker mit Berufserfahrung landen hier bei 12 bis 16 Prozent. Wenn man das auf ein technisches Gerät überträgt, wird deutlich was ich meine: Wenn nur 12 oder 16 Prozent von 100 Schiffen wirklich in den Zielhafen einlaufen würden, würde niemand mehr in so ein Schiff steigen. Aber der Staat steigt stetig ein und das Jahr für Jahr.

    Und hier macht Arlt auch noch Werbung dafür, noch weiter in diese Maßnahmen zu investieren bzw. für Nichts zu blechen. Irgendwo muss diese Behörde auch mal die Gesetze akzeptieren: Wenn es um die Integration von Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt gehen soll, dann kann das Geld nicht bei dubiosen Trägern hängen bleiben, ohne dass diese ihre verprochene Leistung auch bringen.

     

    Das Alles kann doch Heinrich Alt nicht verborgen geblieben sein? Und das viele Träger zutiefst unseriös sind, aber Jahr für Jahr abermals bedacht werden, dass fällt doch auf - oder? Oder vielleicht auch nicht, denn es wurde ja in der oberen Etage der Bundesagentur nach B-Tabelle (Merkel, Botschafter) entlohnt, wo eigentlich nur A angesagt war. Ein Schelm wer Böses dabei denkt ...

  • RW
    Rainer Wenk

    Interessant, dass stets der Fokus auf den Arbeitsuchenden aber niemals auf die BA gerichtet wird. 3.153.000 registrierte Arbeitslose, 1.58 Millionen unterbeschäftigte Personen in Arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen sowie 395.000 Nichtleistungsempfänger ergeben ohne große Recherche im großen Zahlenwerk der BA 5 Millionen 128.000 Arbeitslose.

    Schaut man sich Seite 20 etwas genauer an, erkennt man schnell die wirkliche Dimension der realen und dennoch verschleierten Arbeitslosigkeit. Zitat für Februar 2010: 2.987.000 Personen oder 48 Prozent bekamen Leistungen, ohne Arbeitslos zu sein.

    Im Juni hatte die BA für den ersten, ungeförderten Arbeitsmarkt 334.000 freie Stellen zur Verfügung. Abzüglich von Scheinangeboten (Quelle: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,403459,00.html) bleiben ca. 230.000 Stellenangebote bei der BA auf dem ersten, ungeförderten Arbeitsmarkt, für 6,5 Millionen nach „Arbeit“ suchender Menschen!

    (optimistische Aussage, betrachtet man die aktuelle Auswertung des Statistischen Bundesamtes, nach der über 8,5 Millionen Menschen im Jahr 2009 mehr Arbeit suchten: http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pm/2010/06/PD10__226__132,templateId=renderPrint.psml)

     

    Im Vergleich zum ersten Jahr nach Inkrafttreten des SGB II (2005) wurden vom Bund im Haushaltsjahr 2009 pro SGB II-Bedarfsgemeinschaft 44 Prozent mehr für die SGB II-Verwaltungskosten aufgewendet! Die Ausgaben für den vom Bund zu tragenden Anteil an den SGB II-Gesamtverwaltungskosten1 stiegen von 3,607 Milliarden Euro im Haushaltsjahr um 16,7 Prozent (603 Millionen Euro) auf 4,210 Milliarden Euro im Haushaltsjahr 2009. Unglaubliche 4,4 Milliarden sind für 2010 als „Verwaltungskosten für die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende“ im Bundeshauhalt veranschlagt. Berücksichtigt man alle zu finanzierenden Kosten, ergeben sich 5 Milliarden Euro! Reformen bei der BA? Fehlanzeige! Für die Steigerung der Verwaltungsaufgaben erhielt diese Behörde erst vor einigen Tagen den Controllerpreis des internationalen Controller Vereins in München! (http://www.arbeitsagentur.de/nn_27044/zentraler-Content/Pressemeldungen/2010/Presse-10-030.html)

    Und diese Verwaltung wird bewusst und mutwillig noch weiter aufgebläht. Denn der Bürokratismus soll noch weiter ausgebaut werden. (http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32753/1.html) Mit der Einführung eines neuen „Amtsdeutsch“ sind noch mehr Widersprüche und Klagen vorprogrammiert.

    Dafür wurden aktuell über 3.000 befristete Mitarbeiter der BA in ein festes Angestelltenverhältnis übernommen, obwohl eine Studie des zur BA gehörigen IAB genau das Gegenteil verlangt. (http://www.iab.de/de/informationsservice/presse/presseinformationen/kb1210.aspx)

    Die Forscher haben ermittelt, dass bis 2025 die Arbeitslosigkeit dramatisch absinken wird.

    Nach dieser Logik müssten auch die Anzahl der Beschäftigten in den Jobcentern verringert werden. Während im Bund dem Sparpaket der Bundesregierung 15.000 Stellen zum Opfer fallen, strebt man trotz der Erwartung sinkender Arbeitslosenzahlen für die BA genau das Gegenteil an. (http://www.bundestag.de/presse/hib/2010_06/2010_189/01.html) Es sollen noch mehr Mitarbeiter fest angestellt werden! Mehr Vermittler schaffen auch eine Absenkung der Arbeitslosigkeit? Als Vergleich gab es zum Start der Hartz IV Reformen im Jahr 2005 und 5 Jahre später im Januar 2009 25.615 Leistungsempfänger mehr! Auf dem Papier und statistisch kann vieles zu einer Absenkung führen, aber selbst der BA Chef Weise hat bereits 2006 eingestanden: "Unser Hauptproblem ist, dass wir nichts im Angebot haben", sagt Weise. "Nichts" heißt hier: keine Arbeit. "Wir können nur mit äußerster Mühe den Mangel verwalten." http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2006/05/11/a0102

    Fördergelder für Arbeitslose werden zur Finanzierung der Personalkosten in den Argen eingesetzt. (http://www.muensterschezeitung.de/lokales/muenster/Muenster-Arge-finanziert-ihre-Angestellten-mit-Arbeitslosen-Mitteln;art993,841761) Luxus-Arbeitsverträge ohne Ausschreibungen mit Boni, Geschäftswagen und zusätzlichem Urlaub werden abgeschlossen.(http://www.focus.de/finanzen/news/arbeitsmarkt/bundesagentur-fuer-arbeit-gutduenken-und-geschacher_aid_508308.html) Für die Imagepflege des Arbeitsministeriums werden Millionen unter Ausschluss der Öffentlichkeit bereitgestellt. (http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/1-6-millionen-euro-die-teure-imagepflege-der-ursula-von-der-leyen;2593210)

    Und alles unter dem Deckmantel der Arbeitsvermittlung. Es gibt ungefähr 35.000 Jobvermittler. Rechnerisch stehen somit jedem Vermittler ca. 7 freie Stellen zur Vermittlung bei der BA zur Verfügung. Gleichzeitig wurden im Juni 59.813 Sanktionen ausgesprochen. (z.B. 22.387 wg. Meldeversäumnis / 16.901 wg. verspäteter Arbeit suchend Meldung) Somit hat jeder Vermittler rechnerisch 1,7 Sanktionen ausgesprochen. Betrachtet man das Verhältnis, sollte man sich die Frage stellen, wozu die BA eigentlich tätig ist? Um zu sanktionieren, oder zu vermitteln? Denn insgesamt gibt es bei der BA ca. 100.000 Angestellte. Es bleiben 2 zu vermittelnde Stellen für den ersten, ungeförderten Arbeitsmarkt pro Mitarbeiter bei der BA! Denn es ist gängige Praxis, (oder bewusste Ablenkung?) die Anzahl der Vermittler in den vermeintlichen Jobcentern immer einer Anzahl zu betreuender Kunden gegenüber zu stellen. (würde ein privater Arbeitsvermittler zusätzliches Personal für die Vermittlung einstellen, wenn ihm lediglich zwei zu vermittelnde Stellen zur Verfügung stehen?) Im Jahr 2009 wurden insgesamt 843.000 Sanktionen ausgesprochen. Dabei betrafen lediglich 2,5 % die Ablehnung eines Arbeitsangebotes! Die BA ist noch nicht einmal in der Lage, die einfachsten eigenen Zahlen in ihrer monatlichen Wunderstatistik korrekt zu addieren. Insofern sollte man sich die Frage stellen, was diese Statistik wirklich wert ist? Weitere Einzelheiten über die BA können den „Geschichten eines Hartz IV Paria“ http://www.s-o-z.de/?p=20408#more-20408 entnommen werden.