taz-Serie Sekundarschule (1): Ehe in Eile
Im Wrangelkiez entsteht aus zwei Oberschulen eine neue: die Sekundarschule an der Skalitzer Straße.
In Kreuzberg fusionieren die Carl-Friedrich-Zelter-Hauptschule und die Eberhard-Klein-Schule, bislang kombinierte Haupt-Realschule, mit der Schulstrukturreform zu einer Sekundarschule. Für die Reform, die ab kommenden Schuljahr die Hauptschulen abschafft, sind an den beiden Schulen eigentlich alle. Doch wie kommen die Lehrkräfte mit den veränderten Bedingungen der neuen Schulform zurecht, wie viele Neuerungen sind tatsächlich umsetzbar? Und wie nehmen die Eltern und die SchülerInnen die Schulform an?
Die taz wird die entstehende Sekundarschule an der Skalitzer Straße in ihrem ersten Jahr begleiten und über das Werden einer neuen Schulform in einer Serie berichten. Im heutigen ersten Teil der Serie geht es um die Vorbereitungen für das (auch räumliche) Zusammenwachsen zweier bestehender Schulen zu einer neuen im laufenden Betrieb. AWI
Durch die Turnhalle der Carl-Friedrich-Zelter-Schule dröhnt an diesem Mittwochmorgen ziemlich laute Popmusik. Zu "Waka Waka", dem WM-Song von Shakira, strömen die SchülerInnen in die Halle und lassen sich auf den ausgelegten Turnmatten nieder: vorne die jüngsten, die Siebtklässler, die ältesten ganz hinten - gut 300 Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren, erstaunlich diszipliniert. Es beginnt die "Assembly", die wöchentliche Vollversammlung der Hauptschule.
Der Schulleiter informiert über Neuigkeiten und Termine, eine Lehrerin stellt einen Ausbildungsberuf vor, SchülerInnen berichten über Klassenfahrten und Projekte, einer hält einen Power-Point-Vortrag über die Mannschaften der Fußball-WM und das Gastgeberland Südafrika. "Ein schwieriger Schüler", erklärt Schulleiter Robert Hasse, "aus einer unserer Praxisklassen." In denen bietet die Schule mit einem Mix aus Unterricht und praktischer Arbeit solchen Jugendlichen Chancen, die am normalen Schulalltag scheitern. Ein kleines Wunder, dass der Schüler sich den Vortrag zugetraut und ihn gut über die Bühne gebracht habe, freut sich Hasse.
Seit fünf Jahren leitet der 44-Jährige die kleine Kreuzberger Hauptschule. Nun muss er sie aufgeben: die Schule an der Wilhelmstraße fusioniert mit der Eberhard-Klein-Oberschule im Wrangelkiez - an deren Standort. Der Abschied vom alten Schulgebäude schmerzt. Hasse hat die Carl-Friedrich-Zelter-Schule zu einer der angesehensten Hauptschulen der Stadt gemacht. 2007 wurde sie von Schulsenator Jürgen Zöllner (SPD) als beste Hauptschule Berlins ausgezeichnet, 2009 gehörte sie zu den Gewinnern des deutschlandweiten Wettbewerbs "Starke Schule", ausgerichtet unter anderem vom Arbeitgeberverband. Dabei werden Schulen auszeichnet, die ihre Schüler erfolgreich zur Ausbildungsreife führen. 30 Prozent seiner AbsolventInnen bringt Hasse auf dem ersten Ausbildungsmarkt unter - eine ausgesprochen hohe Zahl für eine Hauptschule.
Dennoch ist der junge Schulleiter über die Schulreform, die ab August die Hauptschule abschafft, nicht traurig. Im Gegenteil: Die Möglichkeiten, die die neue Sekundarschule bietet, scheinen ihn geradezu zu elektrisieren. Hasse sprüht über vor Plänen: Die Assembly will er in die neue Schule einbringen, auch die Zusammenarbeit mit den vielen externen Partnern, die der Zelter-Schule die starke Orientierung auf Praxislernen und den Einstieg in den Arbeitsmarkt ermöglicht hat. Und er hat einen komplett neuen Stundenplan entworfen, der größte Flexibilität in den Unterrichtsalltag bringen soll: "Die Schulreform gibt uns die Möglichkeit, weg vom Fächerdenken und hin zu einem Lernentwicklungsdenken zu kommen", sagt er. Und: "Wir sind da, glaube ich, weiter als andere Hauptschulen. Weil wir vieles von dem, was die Sekundarschule nun machen soll, schon tun."
Nicole Nowarra ist eine von sechs Sozialpädagoginnen an der Eberhard-Klein-Schule. Mit Robert Hasse und Lehrkräften beider Schulen arbeitet sie in den vielen Arbeitsgruppen, die die Fusion der beiden Schulen planen und organisieren: Da gibt es das "Team 7", das den Unterricht für die künftigen SiebtklässlerInnen, den ersten Jahrgang der neuen Sekundarschule, plant. Dann die Schulentwicklungsgruppe, die die Fusion der beiden Schulen als Ganzes durchdenkt: Auch die höheren Klassen müssen ja künftig am gemeinsamen Standort wortwörtlich unter ein Dach gebracht werden. Und die Schulprofilgruppe, die der Sekundarschule ihren pädagogischen Weg weisen soll.
Man könnte, sagt Nowarra, auf den ersten Blick meinen, "dass hier auch zwei verschiedene Schulkulturen aufeinandertreffen": Die Eberhard-Klein-Schule sei eher sozialpädagogisch "vom alten 68er-Denken geprägt"; die Zelter-Schule dagegen sehr managementorientiert. Doch in den Arbeitsgruppen zeige sich, dass die Unterschiede "im Denken der KollegInnen" der beiden Schulen so groß gar nicht seien: Nun gehe es darum, die Kompetenzen beider Schulen zusammenzubringen, so Nowarra.
Seit 1988 ist Johannes Neuwirth Lehrer für Naturwissenschaften und Mathematik an der Eberhard-Klein-Schule. Er leitet das "Team 7", das die ersten SekundarschülerInnen unterrichten soll. Auch Neuwirth freut sich über die Chancen, die die Reform bietet: "Es war überfällig, dass das individualisierte Lernen, die individuelle Förderung jedes Schülers an die Oberschulen kommt." Das sei bisher eher an den Grundschulen üblich gewesen und danach oft "auf der Strecke geblieben".
Wie Robert Hasse kann auch Neuwirth die Stunden, die er in den vergangenen Monaten täglich in die Planung der Fusion der beiden Schulen investiert hat, nicht mehr zählen. Denn die ganze Planung erfolgt ja während des laufenden Schulbetriebs: Eine Reduzierung der Unterrichtsstunden für die daran beteiligten Lehrkräfte sieht die Schulreform nicht vor. Und noch über andere Rahmenbedingungen ärgert sich Neuwirth. Denn während Hasse für die neue Schule ein "System der größtmöglichen Freiheit" entwirft, plagt sich Neuwirth mit den Mühen der Ebene: Externe Kooperationspartner, die etwa AGs für die SchülerInnen anbieten, hätte er auch gerne und hat viele Ideen dazu: "Doch solange ich von der Senatsbildungsverwaltung nicht erfahre, wie ich solche Partner bezahlen soll, kann ich sie nicht anwerben." Ein Stundenplan für den künftigen Ganztagsbetrieb ist so schwer zu erstellen.
Und dann kommen noch die Umzüge dazu, die organisiert werden müssen: Gut 300 Schüler haben beide Schulen und je ein etwa 50 Personen starkes Kollegium. Die siebten, achten und neunten Klassen werden künftig in der Skalitzer Straße unterrichtet, die zehnten ziehen in ein eigenes Gebäude am Fraenkelufer um. Für manche Lehrer wird das bedeuten, zwischen den beiden Standorten zu pendeln - auch etwas, das im Stundenplan berücksichtigt werden muss.
Robert Hasse, der an der Sekundarschule Mittelstufenkoordinator sein wird - die Leitung der Sekundarschule übernimmt der dienstältere Rektor der Eberhard-Klein-Schule, Bernhard Böttig -, bleibt optimistisch: Es gehe darum, "Prozesse anzuschieben", sagt er: "Perfekt können wir am Anfang nicht sein."
Einen ersten Rückschlag muss das engagierte Kollegium der künftigen Sekundarschule bereits verkraften: Obwohl die Lehrkräfte mit Veranstaltungen in den umliegenden Grundschulen und Einladungen für die Eltern im Kiez mit Erfolg für die neue Schule geworben haben - die Anmeldungen für das kommende Schuljahr reichen für vier siebte Klassen aus - hat die Schulverwaltung die Pläne für eine eigene Oberstufe erst mal gestoppt. Dabei, sagt Neuwirth, "wären wir damit ganz genau die Schule, die dieser Kiez braucht".
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