Kolumne Männer: The Crying Game
Männer und Frauen weinen meist aus unterschiedlichen Gründen - nur sind es leider selten die richtigen.
A ls Journalist zu arbeiten macht mir Spaß, wirklich. Ich darf Leuten dumme Fragen stellen und mosern, wenn mir ihre Antworten nicht passen. Frauen finden einen Journalisten tendenziell interessanter als, sagen wir mal, einen Außendienstmitarbeiter des Staubsaugerherstellers Vorwerk ("Eine neue Rundbürste für Ihren ,Kobold' oder ,Tiger' gefällig?"). Doch ein Nachteil ist, dass man selbst häufig Opfer dummer Fragen wird. Die schlimmste fängt an mit "Warum schreibst du nicht mal was über …?"
"Warum schreibst du nicht mal was über Weinen?", fragt mich eine gute Freundin. Nichts läge mir ferner: Es ist Wochenende, die Sonne scheint, als kriegte sie's bezahlt, und wir fahren im Auto zu einem wunderschönen See im Brandenburgischen. Das Leben wiegt uns in Sicherheit.
"What the fuck?", frage ich daher sehr höflich. "Na, wegen der Fußball-WM und wegen deiner Männer-Kolumne. Dauernd sind heulende Spieler im Bild. Die gibt es sonst nie zu sehen. Schreib das doch mal auf."
Matthias Lohre ist Parlamentskorrespondent der taz.
Weinende Männer. Ohgottohgottohgottohgott. Hoffentlich lässt sie gleich davon ab. Lässt sie aber nicht. "Wann hast du denn das letzte Mal geweint?" Ich blicke stumm aus dem Fenster. Brandenburg sieht eigentlich ganz hübsch aus, wenn keine Brandenburger zu sehen sind.
"Ooch, jetzt komm schon." Wann werden Frauen begreifen, dass sie oft Fragen stellen, auf die sie keine ehrlichen Antworten wollen? Keine Frau will eine sachlich korrekte Entgegnung auf die Frage "Die neue Hose steht mir gut, findest du nicht auch?" Sie will Bestätigung. Und wann werden Männer lernen, im richtigen Moment die brandenburgische Landschaft zu bestaunen - und den Mund zu halten?
Deshalb erzähle ich nicht besagter Freundin, sondern nur Ihnen, was ich in jenem Moment dachte. Ich dachte daran, dass Weinen für Männer etwas extrem Intimes ist. Es sei denn, man heißt Gerhard Schröder. Der wischte sich Tränen aus dem Gesicht, als ihm beim Zapfenstreich zum Ende seiner Regierungszeit Bundeswehrsoldaten auf persönlichen Wunsch "My Way" vortröteten. So gerührt war er von sich selbst.
Ich dachte daran, dass ich Frauen darum beneide, dass sie Stress und Wut wegweinen können. Männer gucken da eher "Aliens vs. Predator 2" oder Geschichtsdokus auf N24.
Seit dem Ende meiner Pubertät weine ich sehr selten. Weil es mich seither dazu nur drängt, wenn ein mir naher Mensch gestorben ist oder ich an diesen denke. Und weil ich schon sehr lange nicht mehr "Farm der Tiere" geguckt habe, wo das fleißige, mutige Pferd eines Tages abgeholt wird und im letzten Moment bemerkt, dass der Lastwagen ihn nicht zum Tierarzt fährt, sondern zur Seifenfabrik, und dann rennt sein bester Freund, der Esel, ihm schreiend hinterher und …
Ich habe schon zu viel gesagt.
"Also ich war neulich in Israel", erzählt die Freundin auf dem Rücksitz. "Im Hotel gabs RTL. Da lief ,Ice Age 2 - Jetzt taut's', und dann war da diese Szene, wo der Säbelzahntiger Diego scheinbar stirbt, aber der stirbt gar nicht! Da konnte ich gar nicht aufhören zu heulen."
Brandenburg ist wirklich sehr hübsch, finden Sie nicht auch?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen