TV-Fussball in der Notaufnahme: "Immerhin spielt Trochowski"
Dass Fans eine wichtige Partie nicht mit ansehen, kann unterschiedlichste Gründe haben. In einem Hamburger Krankenhaus herrscht während der Begegnung Deutschland gegen Spanien ungewöhnliche Ruhe.
Jens-Peter Möller hat viele Monitore um sich herum, aber auf keinem treten Jungs gegen den Ball. Jens-Peter Möller hat ein schwarz-rot-goldenes Band um den Hals, an dem sein Mobiltelefon hängt, schwarz-rot-goldene Schweißbänder an den Handgelenken, eine schwarz-rot-goldene Fahne hängt aus seiner Hosentasche.
Es gibt Jobs, bei denen ein Fußballfan am Abend des WM-Halbfinales Deutschland gegen Spanien in den Arsch gekniffen ist. Möller hat so einen Job: Er sitzt bis 22 Uhr am Empfang der Asklepios Klinik Nord, Tangstedter Landstraße, Hamburg. Und Möllers Chefs waren der Meinung, dass an seinem Platz nicht mal ein kleines bisschen Radio geht. Das wäre jetzt eingeschaltet: Es ist 19.35 Uhr.
In der Klinik Nord sind an diesem Abend etwa 500 Patienten - die in der Notaufnahme nicht mit gerechnet - die von 100 Ärzten, Schwestern, Pflegern und Zivildienstleistenden behandelt werden. Es gibt Ärzte, die Fußball gucken, Pflegepersonal, das guckt, Patienten, die gucken. Und solche, bei denen das nicht geht.
Zu spät geplant
Auf der Intensivstation. Anästhesist Sven Meyberg, 34, hat Dienst bis 22.30 Uhr, offiziell - erfahrungsgemäß wird es später. Das Verhängnis des Dienstplans ist ihm "erst relativ spät aufgefallen". Meyberg, Fußballfan, hat es nicht geschafft, "die Fußball-WM in die Überlegungen den Dienstplan betreffend einzubauen". Tauschen? Hat er versucht, "war aber schwierig, um nicht zu sagen: unmöglich". Überredungsversuche seien "müde belächelt" worden. Wäre er zu Hause, hätte er Freunde eingeladen. Am Wochenende hat er frei und hofft auf den Sonntag - vergeblich, wie wir, wenn dieser Text erscheint, wissen.
Bis auf die Intensivstation - acht Mitarbeiter, 14 Patienten - dringt die WM nicht vor. Eine Patientin ist wach, da könnte man, sagt Meyberg, über ein Radio nachdenken, denn: "Die Freude über deutsche Erfolge im Fußball unterstützt den Heilungsprozess." An einem Tisch sitzt Mirko Hollstein, heute als einer von drei Anästhesisten für die Narkose im Operationssaal zuständig. Das Spiel in Durban beginnt in zehn Minuten, eben war ein ziemlich dringender Kaiserschnitt in der 27. Schwangerschaftswoche zu erledigen. Kinder, die auf die Welt wollen, bedenken nicht, dass WM ist. "Dem Kindchen geht es gut", sagt Hollstein. Jetzt wird ein Trümmerbruch im Oberschenkel für die Operation vorbereitet. Da Unfallopfer nicht nüchtern sind, wenn sie verunglücken, ist die Narkose kitzlig. So gegen 21 Uhr kommt dann auch noch ein akuter, schmerzhafter Schleimbeutel im Ellenbogen rein. Wahrscheinlich laufen beide OPs parallel.
Es gibt ja Chirurgen, die hören, das Skalpell in der Hand, mehr oder weniger leise Tschaikowsky, aber ob sie NDR 2 hören, heute Abend? Hollstein, Dienst bis 21.30 Uhr, zuckt mit den Schultern. Er ist großer Fußballfan, geht zum HSV ins Stadion, hat bislang alle WM-Spiele der deutschen Mannschaft gesehen. Den 11. Juli hat er sich im Dienstplan gesperrt - den 7. nicht. Auch er hat versucht "mit Frauen" zu tauschen. "Die sind aber inzwischen", sagt er, "auch voll drauf."
Christiane Hilbert ist eine von vier Krankenschwestern auf der Intensivstation, dazu ein Pfleger. Sie steht auf Abwehrspieler Arne Friedrich, demnächst beim VfL Wolfsburg. "Alle", sagt sie, "stehen auf Arne Friedrich". Sie hat um 14.30 Uhr angefangen und muss bis 21 Uhr arbeiten. Würde sie nach Hause fahren, bekäme sie gar nichts mit, also geht sie nach Feierabend ins Lokal "Schweinske" schräg gegenüber. Auch die Patienten kriegen nicht mit, was in Durban passiert. "Wenn die fernsehen könnten", sagt Hilbert, "wären sie nicht hier."
Das ist auf anderen Stationen anders. "Mir ist es egal, wer gewinnt", winkt Carl Pedersen ab, Däne und Stoiker, der hier arbeitet. Im Sozialraum der Kardiologie sitzen Spät- und Nachtdienst plus Zivi Rasmus in einem Zimmer und sehen fern. Keiner der 36 Patienten klingelt - weil sie selbst gucken. Ist das gut fürs Herz? Schwer zu sagen. Wenn ein Patient klingelt, etwa um sich über den Schiri zu beschweren, geht der Däne, weil der es am leichtesten verschmerzt. Der Spätdienst ist noch da, obwohl die längst weg sein könnten, "und man ja normalerweise froh ist, wenn man nach Hause kann", sagt Schwester Stefanie, "nur heute nicht." Nein, heute guckt der Spätdienst "das hier jetzt zu Ende". Der Nachtdienst wiederum ist früher gekommen, um nichts vom Spiel zu verpassen.
Die ganze WM hier
Günter Petri hat es sich gemütlich gemacht. Linker Fuß auf dem Bett, den Stuhl mit Decken ausgelegt. Er guckt, für 2,50 Euro pro Tag, Fußball. Ist seit drei Wochen hier, hat die ganze WM hier gesehen. "Allerdings nicht alles mitbekommen", sagt er, "ich schlafe immer zwischendurch mal ein." Petri, 80, hatte vor drei Wochen einen Herzinfarkt mit Ausfall der Nieren und braucht noch eine Computertomografie. Dann kann er, falls der Befund okay ist, nach Hause. Er sollte eigentlich schon zu Hause sein, "aber das CT-Ding ist kaputt und nun ist die Liste von Patienten entsprechend lang", sagt er.
Sein Zimmergenosse ist nicht da. "Wird heute operiert", sagt Petri, der darüber nicht unglücklich ist, "denn nun kann ich mein Bett stellen wie ich will - und außerdem schnarcht der". Das Spiel, gerade ist Halbzeit, "ist langweilig, nicht so wie gegen England und Argentinien", sagt Petri, "aber immerhin spielt Trochowski".
Ruhe in der Notaufnahme
In der Notaufnahme war ab 20.15 Uhr "wenig los" für einen Mittwoch, sagt Schwester Inge Fejny. Es wird darüber diskutiert, ob ein deutscher Sieg mehr Notaufnahmen bringt als eine Niederlage. "Einen Grund, sich den Kopp an zu hauen, findet man immer", sagt Fejny.
Da kommen ein Vater und sein Sohn. "Wir wollten Fußball gucken", sagt der Vater, der Sohn streckt den Finger in die Luft. Aufgeschnitten, mit einem Blatt Papier. "Zeig mal", sagt der Arzt. Das erledigt der hausärztliche Notdienst, der auch hier sitzt, der Finger muss nicht die Notaufnahme. "Kannste alleine?", fragt der Vater - und ist schon auf dem Weg zum Fernseher in der Notaufnahme, als der Arzt den Sohn, der so über den Daumen 14 Jahre alt ist, zum Nähen mitnimmt. "Ja, ja", sagt der Sohn. Aber der Arzt besteht darauf: "Der Vater muss mit." Und so bleiben die Frau mit der Infusion, die vor dem Apparat sitzt, und der Mann mit dem zugeklebten Auge und die anderen unter sich.
Nun ist es 22.10 Uhr, noch hat Carles Puyol nicht geköpft. Jens-Peter Möller hat Feierabend, zieht sein Hemd aus, darunter trägt er das Trikot der Nationalelf. Jetzt schnell rüber ins "Schweinske" - dann kommt er gerade rechtzeitig zum 0:1.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!