Hausbesuche: Hartz-IV-Empfänger ausspioniert
Anwalt rügt "rechtswidrige Schnüffelei" in Göttingen: Behördenmitarbeiter hatten Nachbarn befragt und Leistungen nach den Hartz-IV-Gesetzen daraufhin eingestellt.
Ein anonymer Anrufer meldete im April dieses dem Göttinger Sozialamt: eine Hartz-IV-Empfängerin aus der Stadt halte sich gar nicht regelmäßig in ihrer angegebenen Wohnung auf, sondern lebe bei ihrem Freund. Neun Tage nach dem Telefonat entsandten die Stadt und der Landkreis Göttingen Mitarbeiter, um in der Nachbarschaft der Frau weitere Erkundigungen einzuholen. Dann stellte das Amt die Leistungen ein. Die betroffene Frau wurde weder angehört noch informiert.
"Bis heute weigern sich Stadt und Landkreis Göttingen, die Namen des oder der anonymen Informanten offenzulegen", beklagt Rechtsanwalt Johannes Hentschel. Wegen dieses Falls und weiterer Beispiele von "rechtswidriger Schnüffelei" bei Hartz-IV-Empfängern im Raum Göttingen hat der Jurist jetzt beim Niedersächsischen Sozialministerium Bußgelder gegen insgesamt vier Stadt- und Landkreismitarbeiter beantragt. In zwei Fällen von Hausbesuchen und Nachbarbefragungen schaltete die Kanzlei zudem den Landesdatenschutzbeauftragten ein.
In einem weiteren beanstandeten Fall haben Hentschel zufolge ebenfalls dubiose "Hinweise" anonymer Personen die zuständige Gemeinde Friedland veranlasst, beim Landkreis Göttingen um einen "Hausbesuch" bei einem Leistungsempfänger nachzusuchen. Abgelaufene Konservendosen, Spinnenweben und andere "zweifelhafte Erkenntnisse" hätten hier die Einstellung der Zahlungen zur Folge gehabt.
Für skandalös hält der Jurist auch einen weiteren Fall. Zwei Landkreis-Bedienstete, berichtet Hentschel, standen plötzlich bei einer 82-jährigen Hilfe-Empfängerin "auf der Matte". Begründung für den Spontanbesuch: Die Heizkosten der Frau seien zu hoch.
In der einschlägigen Rechtsprechung gelten die unangekündigten Hausbesuche und die Befragung der Nachbarn für die Behörden als letztes Mittel der Informationsgewinnung. Voraussetzungen sind aber gewichtige Verdachtsmomente, dass Leistungen zu Unrecht bezogen werden. Und es darf keine Möglichkeit einer anderweitigen Klärung geben. Die Praxis der Göttinger Behörden verstoße jedoch eklatant gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Hartz-IV-Empfänger, sagt Hentschel. Auch die im Sozialgesetzbuch geregelten Grenzen der Datenerhebung würden von den Ämtern "bewusst mit Füßen getreten".
Es sei unbestritten, dass für die Sozialbehörden eine Bedarfsüberprüfung möglich sein müsse, stellt der Anwalt klar. Dies dürfe aber kein Freifahrtschein sein, Leistungsempfänger zu Verwaltungsobjekten zu degradieren und ihre Grundrechte außer Kraft zu setzen.
Auf die in einem der Fälle zusätzlich erhobene Dienstaufsichtsbeschwerde hat Göttingens Oberbürgermeister Wolfgang Meyer (SPD) bereits reagiert. In seinem Antwortschreiben heißt es: "Ein Fehlverhalten meiner Mitarbeiterin kann ich nicht erkennen". Der Beschwerde wurde nicht stattgegeben. Eine Überprüfung der Vorfälle durch das Landessozialministerium sowie den Landesdatenschutzbeauftragten könnte dazu geeignet sein, der rechtswidrigen Praxis der Sozialbehörden Einhalt zu gebieten, hofft nun Anwalt Hentschel.
Leser*innenkommentare
uermy
Gast
das ist hier in dieser Gegend wohl so Gang und Gebe, dem steht der Landkreis Northeim in nichts nach. Hier sind
viele Hartz IV-Empfänger der Willkür der Behörde/Beamten ausgesetzt, besonders kann sich das Amt in Bad Gandersheim damit hervor tuen, zu allem Übel kommt noch die Unfähigkeit hinzu, auch werden (nachweislich) Widersprüche einfach nicht weitergeleitet, es wird hier mit Unterstellungen gearbeitet!
Besonders gut kann das die Frau Hartmann, die Spitze darin!
Selbst der Amtsleiter der ARGE Landkreis NOM wehrt D.-aufsichtsbeschwerden mit der Begründung ab, dass sei sowieso zwecklos, sollte man lieber lassen. (ist auch belegbar)Er beweg sich nur, wenn man mit einer dafür entsprechende Klage droht.
Hier herscht Willkür!
uermy
Gast
das ist hier in dieser Gegend wohl so Gang und Gebe, dem steht der Landkreis Northeim in nichts nach. Hier sind
viele Hartz IV-Empfänger der Willkür der Behörde/Beamten ausgesetzt, besonders kann sich das Amt in Bad Gandersheim damit hervor tuen, zu allem Übel kommt noch die Unfähigkeit hinzu, auch werden (nachweislich) Widersprüche einfach nicht weitergeleitet, es wird hier mit Unterstellungen gearbeitet!
Besonders gut kann das die Frau Hartmann, die Spitze darin!
Selbst der Amtsleiter der ARGE Landkreis NOM wehrt D.-aufsichtsbeschwerden mit der Begründung ab, dass sei sowieso zwecklos, sollte man lieber lassen. (ist auch belegbar)Er beweg sich nur, wenn man mit einer dafür entsprechende Klage droht.
Hier herscht Willkür!
Gerhard Roloff
Gast
Zitat:
... 21.07.2010 09:36 Uhr:
von Andreas Knopf:
Im Grundgesetz steht noch immer, wenn mich das nicht täuscht:...
...alle machen eine große Welle wenn mal jemand für die Stasi gespitzelt hat, dabei hat das offenbar fast jeder damals in der DDR...
An Herrn Knopf: Dem ersten Teil Ihres Kommentars kann ich bedingungslos folgen, der letzte Absatz ist eine bodenlose Frech- und Dummheit und hat mit der Sozialschnüffelpraxis so mancher JobCenter absolut nichts gemein!!!
upupintothebluesky
Gast
Das eigentliche Problem unserer Gesellschaft mit dem praktischen Entzug etlicher Grundrechte der Arbeitslosen durch unseren Staat liegt nicht in den einzelnen Artikeln des Grundgesetzes begründet.
Die Verwaltungspraxis entzieht zwar den Arbeitslosen etliche ihrer Grundrechte, wehrt sich allerdings den entsprechenden
Artikel 18 (Grundrechtsverwirkung)unserer Verfassung anzupassen.
Warum kann man nicht einfach Artikel 18 unseres Grundgesetzes erweitern, indem man die Inanspruchnahme von ALG II als Grund für eine
"Grundrechtsverwirkung" erklärt?
Jörg
Gast
Verfolgung von Betrug der Sozialsysteme als Verstoß gegen die Menschenwürde zu sehen ist schon ein interessanterer Gedanke.
vodri
Gast
Interessant, dass Leistungen einfach so aufgrund anonymer Unterstellungen (ohne Information der davon Betroffenen im Sinne einer "Anklage" und darauf gründbares Widerspruchsrecht) gestrichen werden. Das bedeutet konkret:
- Aushebelung der Rechtsprinzipien.
- Tür und Tor offen für böswillige Meineide, die nachträglich auch noch staatlich "legitimiert" werden.
funnyjuliane
Gast
Das ist kein Einzelfall !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Mir ist genau dasselbe passiert.
Andreas Knopf
Gast
Im Grundgesetz steht noch immer, wenn mich das nicht täuscht:
Die Würde des Menschen ist unantastbar (Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz)
Wo allerdings steht, daß Hartz IV Empfänger, Arbeitslose allgemein, Arbeitnehmer, Rentner ect. davon ausgenommen sind?
Was mit den Menschen heutzutage gemacht wird hat mit Würde meines Erachtens nichts mehr zu tun. Wenn man sich dann noch überlegt daß das Grundgesetz einmal aus den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs geschaffen wurde, finde ich die alltäglichen Verstöße dagegen äußerst bedenklich wie auch die oft sehr lasche Auslegung durch das Verfassungsgericht.
Hoffentlich denkt die Gesellschaft da mal um, alle machen eine große Welle wenn mal jemand für die Stasi gespitzelt hat, dabei hat das offenbar fast jeder damals in der DDR, aber wenn heutzutage aus wirtschaftlichen Interessen gespitzelt wird, so wird das akzeptiert.
vic
Gast
"Es war ja nicht alles schlecht"...
So ein IM-System in den "richtigen" Händen ist schon was wert, was?