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Studie über K-GruppenGroße Bizarre Kulturrevolution

Die antiautoritäre Bewegung überließ sich in den 1970ern den maoistischen Gruppen. Unter ihrem Einfluss wurde ein ungeschminkter Nationalismus vertreten.

Vorbild: Der große Mao Zedong. Bild: ap

Bis zu 150.000 durchliefen in den 1970er Jahren die am Maoismus orientierten deutschen K-Gruppen. Deren Führungskader legten später beeindruckende Karrieren hin, bis ins Auswärtige Amt und das Bundestagspräsidium arbeiteten sich die geläuterten Anhänger der Großen Proletarischen Kulturrevolution hoch. Davon abgesehen erinnern heute nur noch vergilbte Schulungsbroschüren über Imperialismus und Volkskrieg, die in den Ramschkisten linker Antiquariate Staub ansetzen, an das wohl bizarrste Phänomen, das die an Skurrilitäten nicht eben arme Linke nach 1945 hervorgebracht hat.

Jens Benicke zeichnet in seiner Studie "Von Adorno zu Mao" die Entstehung der marxistisch-leninistischen Organisationen als Verfallsgeschichte nach. Ausnahmslos alles, was an der antiautoritären Bewegung von 1968 richtig war, wurde nun verdrängt und offen bekämpft. Die Bemühungen um eine Klassentheorie, die der veränderten Gestalt des "Gesamtarbeiters" (Marx) Rechnung trägt, wichen einem Kult der schwieligen Arbeiterfaust und des schaffenden Volkes.

Die eben erst als gesellschaftskritische Lehre entdeckte Psychoanalyse wurde als kleinbürgerlich diffamiert. Die prekären Versuche, den Kampf für die gesellschaftliche Emanzipation nicht zulasten der individuellen zu führen - vielleicht der Lebensnerv der antiautoritären Bewegung schlechthin -, galten im Eifer des Parteiaufbaus nur noch als Kinderkrankheit.

taz

Dieser Artikel ist aus der aktuellen Sonntaz vom 24. Juli 2010 - ab Sonnabend gemeinsam mit der taz am Kiosk erhältlich oder direkt an Ihrem Briefkasten.

Neben vielem Bekanntem schildert Benicke insbesondere, wie die K-Gruppen urdeutschen Ressentiments freien Lauf ließen, wann immer sie mit der nationalsozialistischen Vergangenheit sowie der Kritischen Theorie, der die antiautoritäre Bewegung wesentliche Einsichten verdankte, konfrontiert waren. Hatten sich die aufbegehrenden Studenten - allerdings eher vor dem Höhepunkt ihrer Bewegung - sehr konkret mit dem Fortwirken des NS befasst, wurde nun unter Rückgriff auf Georgi Dimitroff ein formelhafter Faschismusbegriff gepflegt, der einer Entlastung der deutschen Bevölkerung gleichkam und die Vernichtung der europäischen Juden bagatellisierte.

Das Weltbild der K-Gruppen schloss Attacken auf das "Parasitendasein" des Intellektuellen Adorno ebenso selbstverständlich ein wie den Befund, die "Zionisten" seien "die Nazis unserer Tage". Unter dem Einfluss der chinesischen "Drei-Welten-Lehre", die ein Bündnis von Dritter Welt und Westeuropa gegen USA und Sowjetunion propagierte, wurde ein ungeschminkter Nationalismus vertreten, der in der Forderung nach Rückgabe der "deutschen Ostgebiete" und "Wehrertüchtigung für die gerechte Sache der Unabhängigkeit gegen die beiden Supermächte" gipfelte.

Gerade in diesen Passagen wird allerdings das Manko der Studie deutlich: Die Verlautbarungen der deutschen Marxisten-Leninisten sind bei weitem zu dumm, als dass ihre Kritik klüger machen würde. Aufschlussreicher wäre es, der weltweiten Anziehungskraft des maoistischen China nachzugehen, die mitnichten auf den organisierten Marxismus-Leninismus begrenzt blieb, sondern auch gemeinhin der "undogmatischen Linken" zugerechnete Fraktionen erfasste, zeitweise selbst einen der Kritischen Theorie nahestehenden Intellektuellen wie Alfred Sohn-Rethel. Als Überblick über das Verhältnis von Kritischer Theorie, antiautoritärer Bewegung und K-Gruppen erfüllt das Buch jedoch durchaus seinen Zweck.

Jens Benicke: "Von Adorno zu Mao. Die schlechte Aufhebung der antiautoritären Bewegung". ça ira 2010, 260 S., 20 Euro

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5 Kommentare

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  • F
    Fandorin

    @Hena

     

    Die undogmatische Linke kneift leider auch wenn es darum geht unter den eigenen Teppich zu schauen. Ich finde dieses Buch war schon lange überfällig. Lieber Kritik aus dem eigenen Lager als die Lesart kaltkriegerischer Antikommunisten.

  • RF
    Richard Fährmann

    @von Holger B.:

     

    "Wer ist denn Jens Benicke, der sich anmaßt, über eine Zeit, eine Bewegung, über Menschen und Organisationen zu urteilen, die den Versuch unternahmen, 14 Jahre nach dem KPD-Verbot eine neue revolutionäre Partei in der BRD aufzubauen?"

     

    Wieso, wer bist du denn Holger?

     

    Schön. Eine "Revolutionäre Bewegung" die einem diktatorischem Massenmörder namens Mao unterstellt ist. Darf man diesbezüglich auch nichts gegen die "nationalrevolutionäre" NPD sagen, die "nur" den Versuch unternahm nach NSDAP und SRP Verbot eine neue verfassungsfeindliche Partei aufzubauen?

     

    "Wir kämpften für eine andere Gesellschaft. Wir unterstützten die Befreiungskämpfe der unterdrückten Völker in Vietnam und Kambodscha, in Afrika und Lateinamerika - aber auch in Palästina, womit dieser Herr Benicke wohl auch seine Probleme hat."

     

    Kambodscha? Ihr habt also quasi für Pol Pot und die roten Khmer gekämpft? Das damit Herr Benicke ein Problem hat, kann ich ihm nicht verdenken. Gut das dass mit eurer "anderen Gesellschaft" nicht geklappt hat. Eine andere Gesellschaft ist nicht automatisch eine bessere! Wenn du lieber einen steingewordenen Kommmunismus mit übermenschlichen Antlitz haben willst, dann besuch mal Nordkorea oder Weißrussland. Nimm dir aber schön viel zu essen mit!

  • HB
    Holger B.

    Wer ist denn Jens Benicke, der sich anmaßt, über eine Zeit, eine Bewegung, über Menschen und Organisationen zu urteilen, die den Versuch unternahmen, 14 Jahre nach dem KPD-Verbot eine neue revolutionäre Partei in der BRD aufzubauen? Ich bezweifle, ob sich dieser Herr Benicke jemals mit den Programmen der marxistisch-leninistischen Organsiationen der siebziger Jahre auseinandergesetzt hat. Ob er jemals die Reden und Aufsätze, die Programme der Thälmann-KPD gelesen (und verstanden) hat?

     

    Wir kämpften für eine andere Gesellschaft. Wir unterstützten die Befreiungskämpfe der unterdrückten Völker in Vietnam und Kambodscha, in Afrika und Lateinamerika - aber auch in Palästina, womit dieser Herr Benicke wohl auch seine Probleme hat.

     

    Und wer bei der Forderung nach einem unabhängigen, vereinten und SOZIALISTISCHEN Deutschland an die "Rückgabe der Ostgebiete" denkt, dem muss man unterstellen, dass er kein Interesse an der Aufarbeitung der 70er Jahre hat, sondern nur Kohle machen will (bei einem Ladenpreis von 20 Euro bleibt für den Autor schon noch 'was übrig).

     

    Herr Baum, ich kann ja verstehen, dass Sie ein Buch, dass Ihnen als Rezensionsexemplar vom Verlag kostenlos überlassen wurde, rezensieren müssen. Aber hätten Sie sich dafür nicht eine andere Zeitung suchen können?

     

    Holger B.

    (kommunistischer Student der 70er Jahre)

  • RF
    Richard Fährmann

    Ich bin in der DDR geboren und finde es ziemlich absurd das Leute die auf individuelle Freiheit geschworen haben und den Spießer verflucht haben dieses System hofierten. Ähnlich absurd ist die Lobhudelei für Mao, Lenin und Milosovic. Nicht alles was sich antkapitalistisch gebärdet muß deswegen rosa verfärbt werden. Man muß seine Helden nicht unbedingt in undemokratischen Regimen suchen.

  • H
    hena

    das ist doch nicht zu fassen.

    Da wird allein die nationalistische und antizionistische richtung in den K-Gruppen

    behandelt.

    Es gab dort durchaus kritische Positionen zu

    beiden themenbereichen

    und-

    die antiautoritäre Linke hat nur überlebt, weil sich

    aus ihr konkrete Organisationen mit durchaus

    erfolgreicher Politik entwickelten.

    Dass DKP und die nationalistische MLPD ÜBERLEBT HABEN,

    hat seine Ursachen in der altkommunistischen tradition

    in deutschland.

    Beide Organisationen haben realpolitisch nichts mehr zu sagen.

    Besonders die DKP mit ihren 2 Linien kämpft ums Überleben.

    Was aber entstanden ist. ist die undogmatische Linke

    in der Partei der Linken - die fundamentalisten kommen aus der alten DDR und haben nur wenige anhänger