Debatte Afghanistan: Außen vor
Die Wikileaks-Dateien zeigen: Es gibt zwei Kriege am Hindukusch – einen offiziellen und einen geheimen. Der Letztere hat kein deutsches Mandat.
E in pakistanischer General gibt Aufständischen um den afghanischen Altfundamentalisten Gulbuddin Hekmatjar Tipps, wie man Raketen auf den Flughafen von Bagram abschießt. Paschtunische Islamisten, die in Kabul in der Regierung von Präsident Karsai sitzen, halten Kontakt zu Hekmatjar. Tadschikische und usbekische Warlords bauen eigene Milizen gegen die - ebenfalls paschtunischen - Taliban auf und werden dabei von der US-Armee unterstützt. Währenddessen führen Spezialkommandos wie die Task Force 373 geheime Operationen durch, die von unbekannten Planungsstäben im Pentagon angeordnet werden und an den offiziellen Mandaten von Isaf und "Operation Enduring Freedom" vorbeigehen.
Was jetzt dank Wikileaks aus den Geheimakten der US-Armee öffentlich geworden ist, zeigt: In Afghanistan gibt es nicht einen Krieg, es gibt zwei Kriege. Der eine ist für die Öffentlichkeit im Westen bestimmt: Es ist der militärisch geschützte Wiederaufbau und der Kampf gegen den Terror, den die Parlamente der beteiligten Nationen regelmäßig aufs Neue absegnen. Er dient dem Schutz universeller Menschenrechte, wie Außen- und Verteidigungspolitiker gern beteuern. Der andere findet jenseits jeder parlamentarischen Überwachung statt. Dessen Strategen setzen auf innerafghanische Konflikte, um deren Akteure langfristig gegeneinander auszuspielen. Es ist das klassische "Teile und herrsche".
Zwei parallele Kriege
46, ist als freier Journalist im Auftrag der ARD häufig in Afghanistan unterwegs. Seine Reportagen über Krieg, Fundamentalismus und Demokratie erschienen jüngst
in "Afghanistan-Code" (Nautilus).
Die Militärs des ersten Kriegs unterstützen die des zweiten. Sobald US-Spezialkräfte mit unbekannter Agenda auf Flugplätzen der Bundeswehr einschweben, verlangen und erhalten sie logistische Hilfe. Dabei gibt es nur ein Problem: Deutsche Soldaten sind an parlamentarische Beschlüsse gebunden. Der Auftrag, den die Bundeswehr bekommen hat, sieht nicht vor, der US-Armee bei geheimnisvollen Operationen zur Hand zu gehen, deren Informationsbasis, Ziele und Mittel unkontrollierbar sind.
"Assistance Force" bedeutet, auf Anfrage aus Kabul zu assistieren. Die afghanische Regierung um Hamid Karsai mag unseriös sein, doch das steht auf einem anderen Blatt. Operationen an der afghanischen Regierung vorbei darf es laut Isaf-Mandat eigentlich nicht geben. Ruprecht Polenz, CDU, Vorsitzender des auswärtigen Bundestagsausschusses, wies unlängst den Vorwurf zurück, Deutschland könne der US-Armee womöglich bei Operationen helfen, die durch das Mandat nicht abgedeckt sind. Die Bundeswehr, so konstatierte er erfreut, werde ja in solche Operationen nicht mit einbezogen oder im Vorfeld darüber aufgeklärt. Er schloss daraus: "Wer nicht informiert wird, assistiert auch nicht. Der ist dann ja im Grunde außen vor."
Strategie des 21. Jahrhunderts?
"Außen vor" - damit kann man sich zwar juristisch absichern. Die Formel beschreibt aber einen unhaltbaren Zustand. Wenn man bei vielen von dem, was die Verbündeten so tun, einfach wegschaut, damit man nicht zum Mitwisser wird, bringt man ihnen viel Vertrauen entgegen. Darf man das?
Vieles spricht dafür, dass der zweite Krieg längst das Primat über den ersten Krieg - und dessen Kommandeure damit das Primat über die Politik - erlangt haben. General Petraeus verbohrt sich zusehends in die Aufstandsbekämpfung. In populär gehaltenen Enthüllungsbüchern, die mit der mangelnden Kriegsfähigkeit der Bundeswehr ins Gericht gehen, wird diese Strategie als Konzept der Zukunft gepriesen. Die Deutschen müssten sie endlich auch anwenden, fordern Autoren wie Julian Reichelt, Jan Meyer und Marc Lindemann: Anderenfalls verpasse man den Sprung in die Strategie des 21. Jahrhunderts.
In der Tat hat Aufstandsbekämpfung (Counterinsurgency, kurz Coin genannt) Erfolge gezeitigt. Allerdings nur taktische: Sie hielten meist gerade lange genug an, damit Kolonialmächte ihre Truppen abziehen und dem angerichteten Scherbenhaufen den Rücken kehren konnten. Die Muster "erfolgreicher" Aufstandsbekämpfung, die in den neuen US-Feldhandbüchern erwähnt werden, sprechen Bände. Ihre Orte lauten: Französisch-Indochina, Algerien, Vietnam und zuletzt Irak.
Dessen Beispiel liefert in den Augen vieler US-Militärs die Blaupause für den Krieg in Afghanistan. Dort ist die Idee eines Staatsaufbaus durch das Konzept der "Stabilität" ersetzt worden. Die Folge ist, dass sich jeder Bewohner dieses Landes mit Leib und Seele dem jeweiligen Stammesfürsten, Milizen- oder Schiitenführer, der über seinen Distrikt herrscht, unterwerfen muss.
Nicht reif für die Demokratie
Kulturell einfühlsame Politiker und die erwähnten Buchautoren legitimieren diese Doktrin, indem sie argumentieren, Iraker und Afghanen seien ohnehin nicht für die Demokratie geeignet. Besser wäre es, wenn sie sich auf ihre ureigenen Traditionen besännen und sich ihren traditionellen Führern unterordneten, seien es Geistliche oder Stammeschefs. Solche starken Männer könnten dem Westen dann verlässlichere Ansprechpartner sein als "kulturell entwurzelte" Demokraten - jedenfalls so lange, bis die Afghanen in vielleicht 100 oder 200 Jahren "reif genug" für die Demokratie wären.
Einen solchen Kurs schlägt die US-Armee jetzt ein, indem sie die Milizen der alten Nordallianz aufrüstet und deren Führer gegen Hamid Karsai und dessen Bündnis mit paschtunischen Fundamentalisten ausspielt. Ist das ein Konzept für das 21. Jahrhundert? Nicht im Ernst. Wer aber wie im Jahr 1890 denkt, sollte nicht vergessen, wohin dies geführt hat: zu Staaten ohne jede Zivilgesellschaft und zu jenem latenten oder aggressiven Fundamentalismus, den man mit Auslandseinsätzen immer wieder glaubt bekämpfen zu müssen. Die Katze beißt sich in den Schwanz.
Die Schlussfolgerung kann eigentlich nur lauten: "Außen vor sein" reicht nicht. Die Politik sollte sich vom Militär wieder die Lufthoheit zurückholen. Militärs sind keine Heilsbringer, sie haben der Politik zu dienen. Wenn sie an erteilten Mandaten vorbei agieren, müssen sie gestoppt werden. Oder die Bevölkerung muss ihnen ein anderes Mandat erteilen.
Liebe Aufstandsbekämpfer, eine Frage: Halten Sie nur die Afghanen für ungeeignet für die Demokratie? Oder uns am Ende auch schon?
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