Kampnagel-Sommerfestival: Weiße Burgen und einsame Inseln
Das Sommerfestival hat mit "Wasser" ein Motto gewählt, das politisch und poetisch zugleich ist. Wohl auch deshalb nehmen diesmal besonders viele künstlerische Produktionen das Thema auf.
Schon lange hat das Sommerfestival auf Kampnagel Hamburg - immer etwas in der Peripherie gelegen - einen Brückenkopf in der Innenstadt gesucht; jetzt ist er da: Inmitten der Deichtorhallen wird die 40 Meter lange Hüpfburg namens "White Castle" stehen, die der Choreograph William Forsythe entwarf. Angeblich ist sie die größte der Welt, und jeder darf darauf hüpfen. Ein im wahrsten Sinne demokratisches Projekt, "Kunst für alle", mithin auch ein klein wenig Mainstream.
Nützen wird die Aktion beiden Beteiligten - den chronisch klammen, auf Besucher erpichten Deichtorhallen und dem Sommerfestival, dessen Spielort, die Experimentierbühne Kampnagel, im recht abgelegenen Stadtteil Barmbek liegt. Da ist so eine Dependance im Zentrum als Appetizer gar nicht übel.
Andererseits ist der Plan riskant: Denn was auf Kampnagel selbst geboten wird, geriert sich keineswegs so leicht verdaulich wie Forsythes Hüpfburg: Dem Thema "Wasser" hat sich das Festival diesmal verschrieben, und obwohl Matthias von Hartz, Künstlerischer Leiter des Sommerfestivals, stets engagierte Motti wählt - in den letzten Jahren waren es Klimawandel und Öko-Mode -, gelingt die Symbiose von Kunst und Wissenschaft in diesem Jahr doch am besten: Groß ist die Zahl der Performances, die sich des Festival-Mottos annehmen. Anscheinend ist es bei Performern, Tänzern, Bildenden und Video-Künstlern genauso beliebt wie bei den geladenen Wissenschaftlern. Zudem verleitet Wasser - so politisch wie poetisch - besonders stark, die Grenze zwischen Kunst und Wissenschaft zu überschreiten.
Die Britin Zoe Laughlin wird sich in ihrer "Lecture Performance" mit Flüssigkeiten und deren Aggregatzuständen befassen. Ein bisschen wie im Physik-, aber auch wie im Philosophieunterricht wird es zugehen, vielleicht auch wie im Labor. Bill Violas Installation arbeitet sehr direkt: Ein Mann gerät auf dem Video "The Crossing" in immer stärkeren Regen. Als er nachlässt, ist der Mann fort. Gegangen? Gestorben? Geflohen? Man weiß es nicht; genauso wenig versteht man, warum die Menschen in der Performance "The Sleep" der Big Art Group trotz einer nahenden Giftwolke weitermachen wie bisher. Der Mensch - unfähig, sein Verhalten zu ändern; unflexibler als raffiniert programmierte Roboter? Wie konnte es so weit kommen? Robyn Orlin aus Johannesburg jammert nicht darüber, sondern spielt: mit afrikanischer Wasserknappheit und Postkolonialismus, sucht am Ende gar Mitstreiter für ein kollektives Wasser-Spiel.
Und wenn man es genau nimmt, ist der globale Kampf um Macht nur eine Facette des Problems; eine andere: die Schere zwischen virtueller Hyper-Kommunikation und Echtzeit-Autismus. Bizarre Schneisen hat der japanische Regisseur Toshiki Okada zwischen Sprache und Geste, zwischen virtueller Kommunikation und realer Emotion geschlagen; sein Stück "Chelfitsch" ist ein Panoptikum ständig kommunizierender Autisten.
Der Einsamkeit widmet sich die Performancegruppe Ligna: Für eine Stunde rudert sie je einen Zuschauer für ihr "maritimes Hörspiel" auf eine Alsterinsel. Da sitzt er dann und lauscht über Kopfhörer einer Stimme - der des Wassers vielleicht - und blickt auf Hamburgs Panorama, zu dem er aus eigener Kraft nicht zurückkehren kann.
Wasser ausgerechnet in Hamburg zum Thema eines Sommerfestivals zu machen: eine Idee, die über die Wasserknappheit und den Klimawandel-Diskurs hinausreicht. Denn Hamburg wirbt - wie etliche Städte, deren Häfen verwaisen und zu lukrativen Wohnarealen umgestaltet werden - penetrant mit dem "Wohnen am Wasser"; die "amphibische Stadt" ist längst gängiger Marketing-Jargon geworden. Die Affinität zum Wasser soll, so hoffen Hamburgs Makler, zum neuen Identifikationsmerkmal der Oberschicht werden, als sei diese Idee in einer an Wasser, Fleeten und Kanälen so reichen Stadt gänzlich neu. Überraschend nur, dass dieses so altbackene, um ein Haar an Seefahrer-Romantik vorbeischlitternde Marketing funktioniert. Liest man diesen gesellschaftspolitischen Subtext mit, erweist sich das Sommerfestival auch als ironischer Blick auf einen städtebaulichen Trend, für den Hamburg ein exzellentes Beispiel ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen