ABSCHIEBUNG IN DEN KOSOVO: "Auf der Müllkippe entsorgt"
Nicht nur der Bund ist schuld: Auch der rot-grüne Senat hat eine Mitverantwortung für die Abschiebung der hier lebenden Roma, sagt Volker Maria Hügel von Pro Asyl.
taz: Herr Hügel, Politiker von Grünen und SPD räumen ein, dass Abschiebungen von Roma ins Kosovo unvertretbar seien. Gleichzeitig sagen sie, dass ein Bundesland alleine nichts dagegen tun kann - und schieben die Verantwortung auf die CDU-Regierung im Bund. Zu Recht?
Volker Maria Hügel: Sicher nicht. Ein Bundesland hat sehr wohl Handlungsspielraum.
Und welchen?
ist Sozialarbeiter und Asylrechtsexperte, ist Mitglied des Bundesvorstands von Pro Asyl.
Bremen kann einen Abschiebestopp in das Kosovo für bis zu sechs Monate beschließen.
Aber dann wird doch nur etwas später abgeschoben!
Nein. Es ist ein ganz wichtiges Signal, wenn ein Bundesland den Mut hat zu sagen, das ist unzumutbar und verstößt gegen die Menschenrechte. Viele Länder sträuben sich, weil es eine informelle Absprache zwischen den Innenministern gibt, dass keiner in der Frage von Abschiebestopps einen Alleingang macht. Gesetzlich hat jedes Land aber die Möglichkeit, und in einer Situation, die so zum Himmel schreit, müssen sie es tun. Wer es trotzdem nicht macht, hat keine Courage Und das ist nicht alles, was eine rot-grüne Regierung in Bremen tun könnte.
Was denn noch?
Der Innensenator könnte einen Erlass zu Rückführungen ins Kosovo verfügen …
… den gibt es schon.
Ja, ich weiß, den kenne ich. Der reicht aber absolut nicht aus.
Warum nicht?
Er hält die Ausländerbehörde überhaupt nicht dazu an, Ausreisehindernisse im Sinne der Betroffenen zu prüfen.
Da wird die Ausländerbehörde entgegnen, dass das wohl kaum ihre Aufgabe ist.
Ist es doch. Sie ist wie jede Behörde verpflichtet, das Für und Wider jeder Entscheidung gründlich abzuwägen. Und in diesem Fall heißt das, dass sie auch nach Gründen suchen muss, die einer Ausreise entgegenstehen. Dazu könnte man sie beispielsweise verpflichten, im Einzelfall mit kompetenten Stellen Rücksprache zu halten.
Dazu gibt es ja die Lagerberichte des Auswärtigen Amtes. Mit wem soll die Ausländerbehörde noch sprechen?
Es gibt unheimlich viele Organisationen, die von der Verwaltung als glaubwürdig eingestuft werden und Abschiebungen ins Kosovo strikt ablehnen. Der EU-Menschenrechtskommissar Thomas Hammarberg, der CDU-ler und ehemalige UNO-Repräsentant für Bosnien, Christian Schwarz-Schilling, der heute Abend auch dabei sein wird, oder Amnesty International - das sind ja alles keine Linksradikalen.
Warum genau sollen Abschiebungen ins Kosovo schlimmer sein als anderswo hin?
Es ist genau dokumentiert, was Roma dort erwartet: Absolute Perspektivlosigkeit. Sie werden von Deutschland im wahrsten Sinne des Wortes auf der Müllkippe entsorgt. Sie leben am untersten Rand der Gesellschaft, ohne Bildung, ohne Gesundheitsversorgung. Gerade hat Unicef in einer Studie festgestellt, dass vier von fünf dorthin abgeschobenen Kindern da nicht zur Schule gehen. Von ökonomischen Perspektiven ganz zu schweigen.
Solche Zustände gibt es in vielen Ländern.
Ja, aber die Roma im Kosovo haben unter anderem durch den NATO-Einsatz gegen Jugoslawien 1999 ihre Lebensgrundlage verloren. Wir haben da ein ethnisch reines Kosovo erbombt. Danach sind 80 Prozent der Roma von dort geflüchtet, weil ihnen Pogrome drohen. Außerdem hat Deutschland durch den Massenmord an Sinti und Roma durch die Nazis eine besondere Verantwortung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!