Diskussion um Koranverbrennung: Terry Jones Schatten fällt auf Berlin
Dass in den USA Korane brennen sollen, trübt die Stimmung vieler Berliner Muslime. Kritik gibt es auch am Verhalten von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Verbrennt er ihn, oder verbrennt er ihn nicht? Die geplante, abgesagte und vielleicht immer noch geplante Koranverbrennung des US-PredigersTerry Jones lässt auch Berliner Muslime nicht kalt. Nicht zuletzt wegen der Ehrung des Karikaturisten Kurt Westergaard durch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Ali Mennicker ist aufgebracht. "Diese Hetze gegen den Islam ist ein großer Wahnsinn", sagt der 65-Jährige. Mit einer Hand stützt er sich gegen die Hauswand eines Schuhgeschäfts in Neukölln und zittert vor Aufregung. Mennicker, gebürtiger Deutscher, ist vor zwei Jahren zum Islam konvertiert. Unter seiner Gebetsmütze quillt weißes Haar hervor. Seine Wut richtet sich gegen den amerikanischen Pastor Terry Jones, der angekündigt hatte, zum Jahrestag des Terroranschlags vom 11. September den Koran öffentlich zu verbrennen.
Mennicker glaubt, dass es auch in Berlin zu Protesten gegen die Verbrennung kommen kann. In Neukölln ist er mit dieser Auffassung nicht alleine. "Es wird hier schon Unruhen geben, genau wie nach der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen", sagt eine Albanierin, die in einem Café kellnert. Es sei eine öffentliche Provokation gegen ihre Religion. "Wenn Bibeln verbrannt würden, gäbe es auch einen Aufschrei in der ganzen Welt", glaubt die 36-Jährige.
Die Kellnerin zieht auch Parallelen zu antiislamischen Provokationen in Deutschland. Erst vor kurzem sei ein blutiger Schweinekopf von unbekannten Tätern vor einem Gebetsraum in Berlin ablegt worden.
Der Araber Hassan sitzt in Neukölln vor einem Bäckergeschäft, von der Nachricht hat er noch nichts gehört. Als er von Jones erfährt, ist seine Empörung groß. "Es ist eine sehr schlimme Sache, denn solche Aktionen treiben einen Keil zwischen die Kulturen", sagt der 63-Jährige. Ignorieren will er das nicht, denn es sei eine Beleidigung gegen "Allah und somit gegen alle Muslime".
Safter Cinar, Sprecher des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg, will die Wogen glätten: "Ganz wichtig ist es, dass sich die führenden Politiker in den USA gegen die Verbrennung des Korans gewandt haben." Dass die Stimmung schlecht ist, hat er aber auch beobachtet. "Viele Muslime glauben, dass es eine antiislamische Stimmung gibt." Für Cinar kein Wunder: "Da kommen gerade drei Sachen zusammen: Sarrazin, Merkels Würdigung des Karikaturisten und die geplante Aktion in den USA."
Tolga Aktürk gehört zu denen, die sich von der Verbrennung nicht provozieren lassen wollen. "Ist mir doch egal, was die da drüben machen", sagt Aktürk. Er steht an seinem Fischstand auf dem Markt am Hermannplatz und säubert eine Pfanne. "Wenn es hier einen Protest gegeben hätte, dann schon nach den Aussagen von Sarrazin", sagt der 29-Jährige.
Den Ball flach halten, das ist auch die Devise von Yavus Selim Akgül. Der Vorsitzende der Sehitlik Moschee am Columbiadamm meint: "Die Leute wissen schon, dass das die Sache einer Gemeinde ist und nicht die Sache ganz Amerikas." Von geplanten Protesten sei ihm bislang nichts bekannt. Dennoch würden viele Muslime aufgebracht sein: "Hier soll schließlich das heiligste Buch einer Glaubensgemeinde verbrannt werden."
Auch Akgül kritisiert Bundeskanzlerin Merkel, die sich genau wie US-Präsident Barack Obama gegen die Koranverbrennung gewandt hatte. "Ich kann nicht verstehen, wieso man auf der einen Seite eine Provokation kritisiert, und auf der anderen die Karikaturen gut heißt."
Uwe Rada, Caspar Schlenk
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Plan für Negativ-Emissionen
CO2-Entnahme ganz bald, fest versprochen!