Heiligsprechung: Meyer-Werft wird Wallfahrtsort

Die Kreuzfahrtschiffe der Meyer-Werft sind zu groß für die Ems. Deswegen wird der Fluss seit Jahrzehnten den Wünschen der Werft angepasst. Jetzt hat die Werft sogar einen Radwanderweg bekommen - finanziert aus öffentlichen Geldern. Nicht alle sind davon begeistert.

Wallfahrtsort: Zu den Schiffsüberführungen kommen Tausende von Schaulustigen - und fahren wieder ab. Bild: dpa

"Es hat nicht geregnet!" Sagt die Lokalzeitung. Gelogen. Für die Papenburger Meyer-Werft wird sogar das Wetter gebotoxt. Die Topmeldung der Ostfriesen Zeitung passt zur Euphorie, mit der im Emsland ein neuer Radweg gefeiert wird, der nur dem einen Ziel dient: die Überführung von Kreuzfahrtschiffen der Meyer-Werft ganzjährig erlebbar zu machen.

Sonntag, 9 Uhr. 70 EröffnungsradlerInnen frieren an der Dockschleuse in Papenburg. Die Hälfte zittert im Dienste der Stadtverwaltung. Die Wolken hängen tief. Hin und wieder Nieselregen. Später schüttet es. Papenburgs Bürgermeister Jan Peter Bechtluf (CDU) hält eine Rede: "Kreuzfahrtschiffe kommen nur dreimal im Jahr durch die Ems. Wir wollen, dass Sie dieses Erlebnis das ganze Jahr über haben." Das isses -jeden Tag Weihnachten.

Was der Bürgermeister sagen will: Wenn Meyers Kreuzfahrtschiffe von Papenburg durch die Ems zur Nordsee geschubst werden, wollen das tausende Besucher illegal auf den Deichen der Ems miterleben. 2009 verzeichnete die Papenburger Tourismus GmbH rund 100.000 Besucher in dem von ihr gemanagten Besucherzentrum auf der Meyer-Werft.

Geschichte: 1795 in Papenburg gegründet, hat die Meyer-Werft als einzige in der Stadt die Umstellung vom Holzschiffbau zum Eisenschiff geschafft. 20 andere Werften sind daran gescheitert.

Spezialität: Mitten in der Werftkrise der 80er Jahre fand Meyer seine Nische als Kreuzfahrtschiffbauer. Mit technischen Innovationen etablierte sich die Werft auf dem Weltmarkt. Sie beschäftigt je nach Ertragslage 1.500 bis 2.000 Arbeiter.

Lage: Weil die Werft im Binnenland liegt, musste die Ems zur Bundeswasserstraße umgebaut werden. Bisher weigert sich das Unternehmen beharrlich, einen Teil seiner Produktion ans Meer, etwa nach Emden, zu verlagern.

Besitzverhältnisse: Die Meyer-Werft befindet sich in Familienbesitz, ihr derzeitiger Chef ist Bernard Meyer.

Spektakel: Am 30. Oktober dockt das neueste Kreuzfahrtschiff, die Disney Dream, aus, die Emsüberführung ist für Mitte November geplant.

All diese schönen Gäste reisen aber gleich wieder ab, und genau da setzt der neue Radweg an, der auf den schönen Namen "Kreuzfahrtweg" hört. Nicht alle sind damit glücklich, dass die Stadt Papenburg und die ostfriesischen Fremdenverkehrsverbände den alten Radwanderweg zum Meyer-Weg umfunktioniert haben. Widerstand kommt etwa von der Bürgerinitiative "Rettet die Ems". "Sicher ist der Kreuzfahrtweg politisch beladen, aber es gibt diese touristische Komponente", formuliert Heike Brunken-Winkler. Sie ist Projektleiterin des Kreuzfahrtweges.

Von Stukenbrock bei Bielefeld, dem Quellgebiet der Ems, bis Papenburg ist der Fluss ein sanft vor sich hin mäanderndes Idyll. Flussstrände, Sandbänke, Auenwäldchen. Nur die Einleitungen der Landwirtschaft stören, und das Atomkraftwerk Lingen, an dem der Fluss angenehm warm dahinschlängelt. Das Bild ändert sich schlagartig ab Papenburg. Ab da ist der Fluss als Bundeswasserstraße ausgebaut. Von einem "Meyerkanal" spricht die Bürgerinitiative "Rettet die Ems".

Ab Papenburg will der neue Kreuzfahrtweg die Strecke touristisch "schärfen", wie es heißt. Die EU gibt Geld, anliegende Kommunen müssen dazu zahlen. 50.000 Euro habe der "Meyerweg" bislang gekostet, heißt es aus dem Papenburger Rathaus. Der Bürgermeister von Leer, Wolfgang Kellner, soll angesichts der Projektplanung vor Wut geschäumt haben. Extra für Meyer wurde die gerade sanierte Jan-Berghaus-Brücke in Leer erweitert. Das kostete Millionen. Es kam zu "Bauschwierigkeiten". Die Brücke war fast ein Jahr gesperrt. Wegen der Bauten an der Ems für die Meyer-Werft ist der Leeraner Hafen sowieso nur noch eingeschränkt nutzbar.

Die zehn "Erlebnisstationen" des neuen Radweges "Kreuzfahrt" sind nicht leicht zu finden - es gab Probleme bei der Standortfreigabe der Stationen, zum Beispiel mit den Küstenschützern der Deichverbände. Die sahen die Deichsicherheit gefährdet. Außerdem war das Leitsystem der Route, bestehend aus 30 Silhouetten der bisher auf der Werft gefertigten Kreuzfahrtschiffe, schon am Eröffnungstag lückenhaft. Irgendjemand muss das Mantra von Werftenchef Meyer ("Wir müssen flexibel sein") falsch verstanden haben. Eine flexible Eingreiftruppe hatte einige Stelen abgesägt. Der Staatsschutz ermittelt. "Naturschützer" sollen der Meyer-Werft Gewalt angetan haben, vermutet die Ostfriesen Zeitung.

Die erste Station steht vor der Kulisse der gewaltigen Trockendocks der Meyer-Werft, doch keine Station sagt wirklich etwas zum Schlick. Die Ems wurde mehrfach für die Meyer-Überführungen ausgebaggert. Dadurch erhöhte sich die Fließgeschwindigkeit. Erst vor ein paar Wochen spülte das Wasser vor dem Emssperrwerk bei Gandersum ein riesiges Loch aus. Ein tonnenschwerer Pfeiler am Eingang der Sperrwerksdurchfahrt verschwand darin. Deiche drohen unterspült zu werden. Die Flut transportiert Millionen Kubikmeter Schlick ins Binnenland.

"Unsere Häuser zerreißen wegen der Ausbaggerungen", sagt Elfi Oorlog aus Mitling Mark an der Ems. Von der Decke bis ins Fundament klafft ein zugiger Riss in ihrem Wohnzimmer. "Der Werfttourismus ist Leichenbeschau an der Ems", meint Willi Ostendorp aus Westoverledingen. Weil das Schlickproblem zu bedrohlich wird und nicht mehr zu managen ist, haben WWF, Bund und Nabu vorgeschlagen, einen Kanal von Papenburg oder Dörpen bis nach Emden zu bauen, um so die Meyer-Schiffe ans Meer zu bringen.

"Die Verbände haben uns mit dem Kanalvorschlag auf gut Deutsch vor die Kommode geschissen", schimpft Frau Oorlog. Die Aktivisten vor Ort fordern, die Werft nach Emden zu verlagern. Das wollte sogar der ehemalige Ministerpräsident Gerhard Schröder. Meyer ließ den Basta-Mann abklatschen und die Werft in Papenburg ausbauen.

Zur Zeit wird die Ems für die Schiffsüberführungen nicht nur ausgebaggert, sie wird auch aufgestaut. Dabei ertrinken flugunfähige Jungvögel in den überschwemmten Deichvorländern. Allerdings hat der Landkreis Leer der Meyer-Werft verboten, während der Schiffsüberführungen "Time to say good bye" aus allen Lautsprechern der Vergnügungsschiffe zu dudeln. Begründung: Die Vögel im Naturschutzgebiet der Vordeiche würden gestört.

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