Kolumne Fernsehen: Luder, Loden, Mittelalter
Das Sex-und-Mittelalter-TV-Drama "Die Wanderhure" hatte gute Quoten – und unser Autor deshalb Angst: vor historischen Samenergüssen auf Veronica Ferres.
Nach den hymnischen Reaktionen auf meine letzte, wie ich finde, etwas halbgare Kolumne über die Vox-Barbie Daniela Katzenberger kam mir die Idee, dass ich hier viel häufiger über Fernsehphänomene schreiben sollte, die in der zu Recht auf Qualität bedachten Medienberichterstattung der taz sonst nicht vorkommen, eine Art Trashecke, wenn man so will.
Deswegen widme ich mich heute dem Sat.1-Historiendrama "Die Wanderhure". Lief am Dienstag. Das Problem ist nur: Ich habe den Film nicht gesehen. Wobei, was heißt hier Problem? Nennen wir es lieber "Challenge", Herausforderung. Goethes "Wahlverwandtschaften" habe ich auch nie komplett gelesen und war im Deutschunterricht trotzdem nie um eine Antwort verlegen. Mehr noch: Ich habe sogar - wie auch später im Studium - von mir aus mitdiskutiert und nicht nur auf Lehrerfragen reagiert. In dieser leicht zweifelhaften Tradition sehe ich auch diese Kolumne, ach was, eigentlich mein ganzes journalistisches Schaffen.
Über "Die Wanderhure" weiß ich nur, dass Alexandra Neldel die Titelrolle spielt und der Film sagenhaft erfolgreich war: 9,75 Millionen Zuschauer haben eingeschaltet, so viele wie heute eigentlich nur noch bei "Wetten, dass ...?". Mehr muss ich auch nicht wissen, um Angst zu haben - eine Angst, mit der ich nicht alleine bin: Michael, ein Facebook-Freund von mir, von Beruf Drehbuchautor, postete: "Nach dem sensationellen Erfolg der WANDERHURE bei Sat.1 denke ich über neue Stoffe nach ... DER DRUIDENSTRICH ... DAS TEMPLERBORDELL ... DIE HEXENSWINGER ... Jemand Interesse?"
Das klingt lustiger, als es ist, viel lustiger sogar. Denn natürlich wird dieser Erfolg Nachahmer finden. Was einmal funktioniert hat, wird wieder funktionieren, so die Hoffnung der Branche, die leider auch durch Erfahrungswerte gestützt wird. Sex und Mittelalter - das nächste große Ding auf dem Drehbuchmarkt. Wer Geld verdienen will, sollte jetzt schnell zur Feder greifen und Veronica Ferres einen historischen Samenerguss auf den drallen Leib schreiben. Wie wäre es - nur so ein Vorschlag für den Arbeitstitel - mit "Die Mittelalte"? Nee, sorry, das war noch nix! Klingt außerdem zu sehr nach Gouda. Hmm, oder vielleicht "Die Frau von Burg Blankeneck"? Nee, das ist es auch noch nicht, zu wenig Sex drin, kommt mir aber irgendwie bekannt vor. Es müsste mehr so in Richtung MILF gehen, also "Die Mutter des Ritters, die reihenweise dessen Kumpels verführt", aber das ist leider noch nicht "catchy" genug.
Man kann wohl mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass ich dieses Drehbuch nicht schreiben werde - und Michael höchstwahrscheinlich auch nicht. Schließlich schreibt er wie Ingeborg Bachmann. Ergab zumindest dieser Online-Test der FAS, der den eigenen Schreibstil mit denen berühmter deutschsprachiger Schriftsteller vergleicht. Michaels lakonischer Kommentar: "Wenn das wahr ist, kann ich einpacken."
Vielleicht hätte er einfach ein paar Kraftausdrücke mehr in sein Textbeispiel einfügen sollen. Der Erfolg von "Die Wanderhure" liefert da ja Inspiration genug. Und dafür muss man den Film nicht mal gesehen haben.
Leser*innenkommentare
Ulf Schiewe
Gast
Man sollte als Journalist nicht über etwas schreiben, das man nicht gesehen hat. Vor allem nicht abfällig. Denn Sex kommt im Film nur andeutungsweise vor und wenig explizit. Der Titel stammt vom originalen Roman, und da dieser sehr bekannt ist, muss man sich über die Einschaltquoten nicht wundern.
Es handelt sich um einen für Sat1 recht gut gemachten Unterhaltungsfilm, nicht nur für Historienfans.
Siegfried Bosch
Gast
@Katja Vanzo: Hier werden Vergewaltigungen nicht verherrlicht, ganz im Gegenteil werden die beteiligten Männer al äußerst primitive, gewaltätige Wesen gezeigt. Genauer gesagt war das sogar das Männerbild der ganzen Sendung, denn eigentlich gab es nur einen Mann, der nicht diesem Stereotyp entspricht (nämlich ihren Freund); sogar ihr Vater war moralisch durch seine Zustimmung zur Zwangsheirat korrumpiert. Dieser Film war also ganz klar sexistisch -- und zwar gegen Männer, wie so oft.
Katja Vanzo
Gast
Wenn es sowas wie die Wanderhure öfters gibt dann können viele einpacken, da werden Vergewaltigungen gezeigt und verherrlicht.Frauen erniedrigt. Gerade denen es real passsiert ist, kommt es wie eine Zustimmung der Gesellschaft vor. Da sieht man es mal wieder, das es den Deutschen nur um Sex geht.
Das Niveau der Deutschen geht nur noch bergab.
corinna
Gast
Ich frage mich, ob es nun politisch korrekt ist,
wenn man Alexandra Neldel als Schauspielhure bezeichnet?
Oder ist Darstellerhure angebrachter
oder ist sie jetzt eine Hurenschauspielerin?
Und ich frag mich auch, was der wertkonservative Familiensender SAT1 wohl seinen Zusehern rät, was sie ihren Kindern sagen sollen, wenn die wissen wollen, was dieses lustige Wort "Hure" aus dem Vorabendprogramm eigentlich bedeutet?