Politische Farbenspiele: Scheuerl umarmt Hamburgs SPD
Nach Sieg gegen die Primarschule liebäugelt Reformgegner Walter Scheuerl mit einer Parteigründung. Ziel seien Wähler aus der Mitte. Denkbarer Partner: die SPD.
In Hamburg wird die Gründung einer neuen Partei immer wahrscheinlicher. Bis zum Frühjahr will die Volksinitiative "Wir wollen lernen", die im Sommer die Primarschul-Reform stoppte, entscheiden, ob sie im März 2012 zur Hamburg-Wahl antritt. Auf die Frage, ob sie es am Ende bei der Ankündigung bewenden lassen könnten, sagt ihr Sprecher Walter Scheuerl: "Es sieht im Moment nicht danach aus. Ich habe den Eindruck, dass wir Verantwortung übernehmen."
Neu ist, dass nun von einer richtigen Partei die Rede ist. Noch vor Wochen sprach Scheuerl nur von einer Wählergemeinschaft zu schulpolitischen Fragen. Inzwischen positioniert der Anwalt sich aber auch gegen die Sparbeschlüsse des Hamburger Senats, etwa die Schließung des Altonaer Museums.
Die Initiative hatte beim Volksentscheid am 18. Juli 276.000 Stimmen bekommen - 60.000 mehr als die vier Parlamentsfraktionen für ihre Primarschule. Seither genießt der Rechtsanwalt eine Dauer-Medienpräsenz. Sollte Scheuerl antreten, wäre der Einzug ins Parlament nicht unwahrscheinlich.
Zweimal haben sich in Hamburg (klein-)bürgerliche Protestparteien mit Erfolg versucht.
Die Statt-Partei spaltete sich 1993 unter dem "Partei-Rebellen" Markus Wegner von der CDU ab. Sie zog mit 5,6 % und acht Abgeordneten in die Bürgerschaft ein und regierte vier Jahre lang mit der SPD unter Bürgermeister Henning Voscherau.
1995 verließen Wegner und der Abgeordnete Klaus Scheelhaase nach internen Querelen die Statt-Partei und saßen noch zwei Jahre als Fraktionslose im Parlament. Die Statt-Partei scheiterte 1997 mit 3,8 % an der Fünf-Prozent-Hürde und 2001 mit nur noch 0,4 %.
Die Partei Rechtstaatliche Offensive (PRO) des Amtsrichters Ronald Schill wurde 2001 mit 19,4 % und 25 Abgeordneten drittstärkste Fraktion. Sie bildete zusammen mit CDU und FDP eine Koalition unter Bürgermeister Ole von Beust.
Als Innensenator entlassen wurde Schill im August 2003. Er verließ seine Partei und gründete mit fünf PRO-Getreuen die Ronald-Schill-Fraktion.
Bei der Neuwahl Anfang 2004 verpasste diese als "Pro Deutsche Mitte / Schill" mit 3,1 % den Einzug in die Bürgerschaft, die PRO kam auf nur noch 0,4 %. (smv)
"Wir rechnen nicht gleich mit der absoluten Mehrheit", sagte Scheuerl zur taz, aber "denkbar wäre eine Koalition mit der SPD." Denn die werde mit großer Wahrscheinlichkeit in Hamburg stärkste Partei. "Unser Ziel ist, der SPD ein attraktiverer Koalitionspartner zu sein, als es die Grünen oder die Linke wären. Ob es mit der CDU reicht, eine Koalition zu bilden, wage ich zu bezweifeln."
Scheuerl will Bürgern, für die die CDU "unwählbar" wurde, eine Alternative bieten. Man sei, betont Scheuerl, "bürgerliche Mitte, nicht rechts von der CDU".
In Hamburg hatten es 1993 mit der Statt-Partei und 2001 mit der Schill-Partei bereits zwei Neugründungen auf Anhieb ins Parlament geschafft, zerbrachen aber später an internen Querelen. Um so etwas zu verhindern, suche man Menschen, die Politik "um der Sache Willen" machen und "in ihrer wirtschaftlichen Existenz nicht von einem Amt abhängig sind", sagt Scheuerl. "Wenn das nicht gelingt, spricht das dagegen, eine Partei zu gründen." Er bekomme viel Zustimmung zur Partei-Idee. Zum Plenum der Initiative kämen regelmäßig etwa 70 bis 80 Aktive.
Er selber liebe seinen Beruf und wolle den nicht aufgeben -"schließlich muss man auch eine Familie ernähren". Mit einem Senatorenamt wäre die Arbeit als Rechtsanwalt nicht zu vereinen, wohl aber mit einem Mandat in der Bürgerschaft.
Scheuerls Avancen an die SPD sind erklärlich: Bis es im Frühjahr zu einem parteiübergreifenden Pakt für die Primarschule kam, hatten maßgebliche Sozialdemokraten ebenfalls erbittert gegen das grüne Projekt gekämpft. Und seit dem Volksentscheid unterstützt der SPD-Schulpolitiker Ties Rabe wieder jeden schulpolitischen Vorstoß von Walter Scheuerl, zuletzt in der Frage, dass Grundschulkinder weiterhin benotete Diktate schreiben sollen.
In der SPD-Zentrale wollte man sich zu Scheuerl nicht äußern, da es dessen Partei noch gar nicht gebe. "Wir wünschen uns eine Koalition aus SPD und GAL", sagte Jörg Schmoll, der Sprecher von SPD-Landeschef Olaf Scholz. Äußerungen des CDU-Politikers Robert Heinemann, die SPD befördere gar eine neue bürgerliche Partei, um das konservative Lager zu spalten, wies Schmoll zurück: "Die CDU fürchtet zu Recht, bei der nächsten Wahl bitter abgestraft zu werden. Dass da haltlos spekuliert wird, ist nicht verwunderlich."
Deutliche Worte fand der SPD-Abgeordnete Thomas Böwer. Zwar müsse im Parlament jeder mit jedem koalieren können. "Das Abgebot von Scheuerl, die SPD als geborenen Koalitionspartner zu sehen, muss man aber dankend ablehnen."
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