Kommentar Kosovo: Abschied vom Albanerhut
Ideen für eine Modernisierung der Gesellschaft waren von der bisherigen Koalitionsregierung nicht zu erwarten. Jetzt sollte endlich die jüngere Generation ans Ruder.
D ie Regierung im Kosovo ist geplatzt. Der "großen Koalition" zwischen der früheren Nationalpartei "Demokratische Liga" des legendären Staatsgründers Ibrahim Rugova und der UÇK-Nachfolgepartei unter Hashim Thaci werden nicht allzu viele Leute Tränen nachweinen. Außer der Unabhängigkeitserklärung im Februar 2008 hat sie nur wenig erreicht: Der wirtschaftliche Aufschwung blieb aus, eine neue politische Kultur konnte sich nicht durchsetzen.
Nach wie vor versuchen einzelne Gruppen und "verdiente Kämpfer", den Staat für sich zu funktionalisieren oder ihre Familien in Stellung zu bringen. Dass Verkehrsminister Limaj das Land in eine Baustelle verwandelt hat, wäre ja noch zu ertragen. Dass aber viele Aufträge an Scheinfirmen aus seiner Verwandtschaft gegangen sein sollen, müsste auch die duldsamsten Kosovaren zur Weißglut treiben.
Nein, diese Regierungskoalition spiegelte nur die alten, traditionellen Sektoren der Gesellschaft und die UÇK-Generation wider. Die einstmals ins Exil gedrängten Kämpfer übernahmen die Macht und nahmen dazu noch die alten dörflichen Autoritäten und städtischen Kleinbürger mit ins Boot. Ideen für eine Modernisierung der Gesellschaft waren von ihr nicht zu erwarten - Ideen etwa, wie der neue Staat mit einem demokratischen Geist zu füllen und eine Politik zu formulieren sei, die sozial gerecht ist und Investitionen in das Land bringt.
Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent für die Länder Ex-Jugoslawiens.
Doch jetzt klopft eine junge Generation an die Türen der Macht. Sie trägt keine Albanerhüte mehr und fühlt sich auch nicht mehr den alten Guerillaführern verpflichtet, sondern als Teil der globalisierten Welt. Wenn diese jungen Leute ihre Chancen wahrnähmen und sich in den jungen und modernen Parteien, die sich jetzt formieren, engagieren, könnten die vorgezogenen Neuwahlen für einen echten Wandel sorgen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Sie nehmen mich wahr als Müll“