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Schauspielhaus-Intendant über seinen Rücktritt"Ich hinterlasse ein gut bestelltes Haus"

Äußerst überraschend trat er Mitte September als Intendant des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg zurück. Bis vor wenigen Tagen schwieg Friedrich Schirmer. Jetzt erklärt er, warum es trotz der noch vergleichsweise geringen Sparerfordernisse nicht anders ging.

Tief enttäuscht von der Hamburger Kulturpolitik: Friedrich Schirmer. Bild: dpa
Interview von Petra Schellen

taz: Herr Schirmer, bereuen Sie Ihr Amt aufgegeben zu haben?

Friedrich Schirmer: Nein, ich hatte keine andere Möglichkeit. Leider. Jedenfalls haben wir - die engsten Mitarbeiter, Jack Kurfess und ich - sie nicht gesehen. In der Spielzeit 2009 / 10 wurde ein mir bei der Vertragsverlängerung zugesagter und bis dahin auch gezahlter Sonderzuschuss für das Junge Schauspielhaus nicht mehr gewährt. Darüber hinaus wurde nur wenige Monate später eine Kürzung von 330.000 Euro für die Spielzeit 2010 / 11 verfügt.

Wie haben Sie darauf reagiert?

Friedrich Schirmer

der 59-Jährige war von 1989 bis 1993 Intendant am Freiburger Stadtheater. Ab 2006 leitete er das Staatstheater Stuttgart und seit 2005 das Hamburger Schauspielhaus. Am 15. 9. kündigte seine Intendanz denkbar kurzfristig: zum Ende des selben Monats.

Als uns klar wurde, dass wir nicht beides verkraften würden, habe ich darum gekämpft, dass entweder die Zusage eingehalten oder die Kürzung zurückgenommen wird. Vergeblich. Anfang September war dann klar, dass wir mit einem Defizit von 250.000 Euro und ohne weitere Reserven in die nun beginnende Spielzeit gehen sollten. Ich habe daraufhin drei Tage überlegt und mit meinen engsten Mitarbeitern diskutiert. Wir kamen einhellig zu dem Schluss: Ich muss von der Stadt fordern, die Zusage einzuhalten oder die Kürzung zurückzunehmen und wenn das nichts fruchtet, das Haus dann den Mitarbeitern übergeben und zurücktreten, mich also quasi selbst einsparen. Die nächste schon geplante Sparrunde hätten wir erst recht nicht verkraftet. Deshalb wollte ich jetzt ein Zeichen setzen, die Stadt wach rütteln.

Ist das Signal erhört worden?

Natürlich habe ich gehofft, dass mein Rücktrittsangebot in der Kulturbehörde etwas bewegen würde. Aber der Senator ist mir nicht einen Millimeter entgegengekommen. Er hat sein Bedauern ausgedrückt, mein Angebot, dann sofort und ohne Abfindung zu gehen, großherzig genannt und es angenommen.

Wenn der Aufsichtsrat das defizitäre Budget genehmigt hätte - was er ja dann tat - wären Sie juristisch unangreifbar gewesen.

Ja. Und ich war und bin der Meinung, dass wir auch damit nicht hingekommen wären.

Auf viele Beobachter wirkte Ihr Rücktritt überstürzt.

Ich habe mir mein Karriere-Ende auch strahlender vorgestellt. Aber mein Rücktritt war weder mimosenhaft noch beleidigt - und schon gar nicht trotzig. Ich habe mir das vielmehr genau überlegt und bin zu dem Schluss gekommen, dass dies der einzige und beste Weg ist. Ich hinterlasse ein gut bestelltes Haus mit Mitarbeitern, die auch ohne mich agieren können.

Woran sind Sie letztlich gescheitert?

Den Begriff "gescheitert" bringe ich nicht mit Hamburg in Verbindung. Die ersten Jahre in Freiburg und Stuttgart waren auch schwer. Trotzdem war ich für Hamburg guter Hoffnung. Ich wusste, ich bin ein Marathonläufer und habe die Kraft, auch Gegenwind auszuhalten und mich langfristig durchzusetzen - wenn die finanzielle Basis stimmt. Wenn sie so ausgehöhlt ist wie in Hamburg, wird es schwierig. Das, was ich hier zeigen wollte, ist nicht vollendet, das ist wahr. Und auch im Unvollendeten steckt viel Schönheit. In Hamburg habe ich es so gut gemacht, wie ich konnte und mich nicht unterkriegen lassen. Die von Jahr zu Jahr steigenden Besucherzahlen haben mir bestätigt, dass die Richtung stimmt. Nun muss jemand anders den Kampf weiterführen. Aber um diese Kampfenergie zu erzeugen, musste ich mich quasi im Amt verbrennen. Dass ich nicht mehr mitkämpfen kann, tut mir weh. Andererseits kann Hamburg jetzt - befreit von der Frage, ob Schirmer ein guter Intendant ist oder nicht - über den Stellenwert des Schauspielhauses diskutieren und für das Haus kämpfen.

Wie muss Ihr potenzieller Nachfolger beschaffen sein?

Man braucht unendlich viel Kraft, und das laugt aus. Es ist ja kein Zufall, dass das benachbarte Thalia Theater seit 1945 bis heute nur sieben Intendanten hatte und das Schauspielhaus dagegen knapp 20. Dieser Intendanten-Verschleiß kommt nicht von ungefähr und spricht für sich. Eine schlechte Aufführung am Thalia ist bloß eine schlechte Aufführung. Am Schauspielhaus ist es gleich eine Katastrophe. Und die mittelmäßigen Aufführungen: Im Thalia haben sie immer eine Chance, im Schauspielhaus nie.

Welches war beim Amtsantritt in Hamburg Ihre gravierendste Fehleinschätzung?

Den Unterschied zwischen Theorie und Praxis unterschätzt zu haben. In der Theorie waren mir alle Probleme des Schauspielhauses bewusst. Im Herbst 2003, kurz nach meiner Berufung, hatte ich allerdings die Wahrnehmung, dass in Hamburg etwas Schreckliches passieren würde. Trotzdem war mir klar, dass ich vor dieser Herausforderung nicht kneifen darf. Ich wusste, ich muss Stuttgart verlassen und den Schlag, von dem ich nicht wissen konnte, wann und wie er kommen würde, auf freiem Feld erwarten.

Was machen Sie jetzt?

Ich weiß es nicht. Ich wollte seit meinem 15. Lebensjahr zum Theater und habe mich systematisch ausgebildet und bin als Intendant von Esslingen nach Freiburg, von Stuttgart nach Hamburg gekommen. Jetzt gibt es diese Vision nicht mehr. Alles ist offen. Vielleicht liegt darin die Chance zu lernen, ein Held des Alltags zu werden - nicht mehr auf die Zustimmung von außen zu schielen, mich stattdessen selbst auszuhalten und Wert zu schätzen - ohne all diese Übersprungshandlungen. Ich werde mit offenem Herzen weiter durchs Leben gehen. Und was das Berufliche betrifft: Irgendein Ort, an dem ich gebraucht werde, findet mich schon. Vielleicht werde ich auch unterrichten, moderieren oder endlich einmal spielen.

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